Kapitel 47

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''Da seit ihr ja endlich!'' rief Luise und rannte auf sie zu. Als wären wir ein Jahr weg gewesen, dachte Vera grimmig. Übertrieben warf sich Luise in Veras Arme und sie taumelte nach hinten.    
   ''Und? Hattet ihr Spaß?'' grinste Pia, die gerade auf sie zu kam. ''Wo wart ihr überhaupt?'' fragte Pia. ''Paris und Wien'' antwortete Aaron grinsend. ''Paris ist zu der Zeit wirklich schön'' bestätigte Pia nickend. 
  ''Geht´s dir gut, Vera?'' fragte sie. ''Wenn ich gleich noch lebe, bestimmt'' sagte Vera und löste sich aus Luises Umklammerung. ''Aber sonst ist alles gut?'' lachte Pia und Vera nickte. Aaron legte ihr den Arm um die Taille, zog sie an sich und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf den Scheitel.
   ''Ich bin gleich kurz im Krankenhaus, komme aber sofort wieder'' flüsterte er ihr ins Ohr. Er brauchte Blut und das dringend. Sein letzter Versuch, sich zu nähren, war wegen seiner Gefangennahme vereitelt worden.
   ''Ist gut, aber beeil dich'' sagte Vera und küsste ihn auf die Wange. Wenige Sekunden später war Aaron verschwunden.
   ''Du musst mir Alles erzählen!'' drängte Luise. ''Ich muss gar nichts. Du könntest mir erst einmal erklären, was diese ganzen Anrufe sollten'' forderte Vera und verschränkte die Arme vor der Brust. Verlegen sah Luise zur Seite, ''hab mir Sorgen gemacht.''
   ''Ach ja? Wenn Aaron bei mir ist? Wo du genau weißt, dass mir nichts geschieht, wenn ich mit ihm unterwegs bin?'' fauchte Vera wütend. ''Tut mir leid'' murmelte Luise. Belustigt beobachtete Pia Vera und Luise. ''Erzählst du es mir trotzdem?'' bat Luise kleinlaut. ''Ja, aber nicht hier'' sagte Vera und sah Pia entschuldigend an.

Sie saßen auf der Hollywoodschaukel und wippten hin und her.
   ''Und, wo wart ihr?'' fragte Luise neugierig. Vera erzählte ihr von Paris. Von dem Museum Louvre. Sie erzählte, wie eine Frau sie in der großen Kathedrale herum geführt hatte und wie beeindrucken alles gewesen war. Mit Fotos von Notre-Dame, schilderte sie ihre Eindrücke und begeistert lauschte Luise. Als sie ihren Vortrag mit der Wien-Tour beendet hatte, blieb es lange Zeit still.
   ''Also, ist nichts passiert?'' fragte Luise, doch Vera wusste nicht, wovon sie sprach. ''Ich mein, ihr habt nicht...?'' deutete Luise an. Langsam dämmerte es Vera, geschockt starrte sie Luise an. ''Nein, wir haben nicht miteinander geschlafen'' sagte Vera. Enttäuscht seufzte Luise.
   ''Na ja, du bist auch ein Mensch, dann ist es bestimmt normal'' meinte Luise beiläufig. ''Und was soll das heißen?'' fragte Vera mit steigender Wut. Bin ich deshalb nicht begehrenswert, oder was? Pff.. ''Menschen zögern öfter als Vampire. Bei uns geht es sehr schnell. Wir spüren, wenn wir zueinander passen. Dieses Talent habt ihr leider nicht. Ihr lernt euch erst kennen, verbringt Jahre miteinander, ohne einen Gedanken an Sex oder Heirat'' sagte Luise schulterzuckend. Pff.. Wir lassen uns zu viel Zeit. Ist klar... Obwohl...Recht hat sie.
   ''Ähm...Luise?'' fragte Vera und begann ihre Finger zu kneten. ''Ja?''
   ''Wie läuft das ab mit dem Beißen?'' fragte Vera unruhig. Luise lehnte sich an die Lehne und beobachtete Vera. ''Was soll der Biss denn bezwecken?'' fragte sie. Vera biss sich nervös auf die Unterlippe. ''Es sollte DAS herbeiführen'' murmelte Vera. ''Ich verstehe. Also, ein Biss ist oft für beide Beteiligten angenehm und betörend. Selbst, wenn der Vampir vorhat, den Partner zu töten. Ich weiß nicht, wie das genau abläuft, aber ein Biss löst Glücksgefühle aus. In sexuellen Momenten, kann ein Biss erotisch wirken'' erklärte Luise sachlich.
   ''Jetzt will ich aber wissen, warum du danach gefragt hast'' forderte Luise. Sie zögerte. Luise war ihre Schwester, sie wollte nicht mit ihr über Sex reden. Aber Luise war auch ihre beste Freundin.
   ''Ähm..'' setzte Vera an. ''Irgendwie hatte ich das Verlangen danach, als er mich geküsst hat.'' Luise grinste breit. ''Also habt ihr etwas geknutscht'' zwinkerte sie. Etwas...?? ''Vielleicht'' stammelte Vera nervös. ''Damals haben die crudelis Lamia, ihre Opfer mit diesem Verlangen töten können, ohne das sie sich wehrten'' erzählte Luise.
   Ein Schauer lief Vera über den Rücken und hinterließ eine Gänsehaut. Das Vampire, ihre Opfer, so besser töten konnten, war beängstigend.
   ''Ich glaube eher weniger, dass Aaron dich tot sehen will'' witzelte Luise, doch Vera konnte nicht darüber lachen. ''Vera, dass ist nur noch bei den Roten üblich. Bei uns bedeutet es, gegenseitiges Vertrauen und Hingabe.'' Etwas beruhigt lächelte Vera ihrer Schwester zu.
   ''Und tut es weh?'' Luise zuckte die Achseln. ''Ich hab keine Ahnung. Aaron fand mich, als ich bewusstlos war, ich habe keinerlei Erinnerung daran'' sagte Luise.
   Grinsend nahm Luise Veras Hand und entblößte perfekte lange Eckzähne. Behutsam drückte sie Veras Finger an einen ihrer Eckzähne. Vera spürte, wie ihre Haut nachgab und ein witziges Loch hinterließ. Es fühlte sich wie eine Blutentnahme an.
   ''Und?'' fragte Luise neugierig. Herzhaft begann Vera zu lachen. ''Ist das dein Ernst?'' Luise stimmte mit ein, ''sag schon, tut es weh?'' fragte sie lachend. Verneinend schüttelte Vera den Kopf. Heiße Tränen rannen ihr über die Wange und ihr Bauch tat vom ganzen Lachen weh. Lachend starrten sie auf Veras Finger. Ein winziger Blutstropfen quoll aus dem Loch.
   ''Was gibt’s zu Lachen?'' fragte Aaron. Geschockt starrten sie Aaron an, der plötzlich vor ihnen stand. Luise und Vera sahen sich an und prusteten wieder los. Vera krümmte sich vor Lachen. ''Scheiße'' quiekte Luise.
   Sie war die Erste, die ihre Fassung wieder fand. ''Nichts'' grinste Luise Vera an und begann wieder zu lachen. ''Haben rum geblödelt'' kichere Vera und versuchte wieder ernst zu werden.
   Kopfschüttelnd betrachtete Aaron die lachenden Schwestern, ''ihr seit mir Zwei..'' Freundschaftlich knuffte er Luise an der Schulter und gab Vera einen Kuss auf den Scheitel.
   ''Hat Luise dir wenigstens das Haus gezeigt?'' fragte Aaron, als Vera und Luise aufgehört hatten zu kichern. ''Nur das Untergeschoss. Weiter sind wir nicht gekommen'' gestand Luise, stand auf und umarmte ihre Schwester. ''Bis später''
verabschiedete sich Vera.
   ''Na komm, ich zeig dir den Rest.'' Aaron hielt ihr die Hand hin und Vera ergriff sie.

Es gab drei Gästezimmer, ein riesiges Bad, ein Arbeitszimmer und zwei verschlossene Türen.
   Aaron blieb vor einer großen, rosa Tür stehen. ''Das ist Luises Zimmer'' sagte er und öffnete die Tür.
   Ein großer, heller und freundlicher Raum tat sich vor ihr auf. Überall hingen Fotos, Poster und selbst gemalte Bilder. Ein großes Bett, ein Kleiderschrank, mehrere Regale mit Büchern und ein Schreibtisch gaben dem Zimmer das gewisse Etwas.
   ''Früher hat sie es abgeschlossen, damit ich nicht herum schnüffle. Seit 3 Jahren ist die Tür immer offen. Nachdem sie mir von dir erzählt hatte'' erklärte Aaron. ''Sie hat dich wirklich beschützt, sogar vor mir.''
   Vera lief durch den Raum. Auf einigen Fotos waren Aaron und Luise zu sehen, aber auf den meisten war Vera. Fotos von Luise, vor ihrer Verwandlung, waren auch darunter. Ein Foto hatte es Vera angetan und sie nahm es vom Regal.
   Das Bild zeigte Vera, sie war circa 6 Jahre alt und baute eine Sandburg am Strand. ''Das war im Sommer. An dem Tag haben meine Eltern gestritten, es ging um mich'' murmelte Vera, vollkommen in ihren Gedanken vertieft. Behutsam stellte sie das Bild zurück an seinen Platz und griff zum Nächsten.
   Es zeigte Vera im Alter von 15 Jahren. Vera lachte in die Kamera. Ihre Erinnerung an diesen Tag war verschwommen. Sie wusste nur noch, dass sie ein Fotoshooting mit ihren Freundinnen gehabt hatte. Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern und eine Wodka Flasche manifestierte sich vor ihrem inneren Auge.
   ''An den Tag erinnere ich mich kaum. Meine Freundinnen und ich hatten einiges getrunken'' murmelte Vera verlegen.
   ''Du siehst glücklich aus'' bemerkte Aaron, der plötzlich hinter ihr stand, ''selbst wenn du etwas getrunken hattest.'' Vera lächelte traurig.
   Diese Zeit, war Vera nicht besonders positiv ins Gedächtnis gebrannt. Lauter schlechte Einflüsse, das ständige Gefühl der Einsamkeit. Ihre Elten, die ihr kaum Aufmerksamkeit schenkten. Eine leise Träne quoll hervor und Vera wischte sie schnell weg.
   Sie lief weiter und blieb bei einem Foto von Luise und ihren Eltern stehen. Ihre Eltern lächelten glücklich, so wie Vera sie noch nicht gesehen hatte. Neidisch strich sie über das Foto.
   Nachdenklich geworden ließ sie sich auf Luises Bett nieder und starrte auf ihre Hände. Das Atmen viel Vera schwer, als würde ein Stein auf ihrer Brust liegen und sie schloss die Augen.
   Bilder ihrer Freunde tauchten auf und dann, dass Bild dieser eigenartigen
rothaarigen Frau, die ihr so bekannt und gleichzeitig unbekannt vorkam. Ihre geteilten Augen leuchteten bedrohlich. Der Traum, den sie vor Monaten geträumt hatte, erschien ihr. Verschiedene Augen und diese Frau. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
   Diese Träume waren keine Träume.
   ''Wieso hast du mir nie gesagt, dass meine Träume, keine Träume sind?'' fragte Vera leise. ''Woher weißt du, dass es keine Träume sind?'' fragte Aaron und setzte sich neben sie.
   ''Ich hatte schon immer das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt. Aber seit ich euch kenne, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich nicht nur ein gewöhnlicher Mensch bin. Und diese Träume... ich weiß auch nicht...'' gab Vera zu. Aaron schien in Gedanken zu sein. 
   ''Vera...'' sagte Aaron. ''Die Frau, die du gesehen hast... sie gehört zu den Ältesten und Mächtigsten. Ihr Name ist Baalissa. Keiner kennt sie oder weiß, was sie ist. Aber alle folgen ihr. Sie ist gütig und hilft jedem Wesen.'' Vera schüttelte den Kopf. ''Aaron, da ist mehr hinter. Ich glaube, dass ihr selbst nicht wisst, wie gefährlich sie ist. Ich war in ihr...und ich habe nichts Gutes gespürt.''
   ''Du irrst dich'' beharrte er. ''Nein, dass tue ich nicht. Ich spüre, dass etwas mit dieser Frau nicht stimmt.''

Vom Engel geküsst Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt