Die Pfauenbrüder

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Märchen beginnen mit den Worten „Es war einmal“. Dieses Märchen nicht. Vielleicht ist es auch gar kein Märchen, sondern nur eine Geschichte über Geschwisterliebe, Fantasie, Träume und Wunder.

Alles fing mit dem Tod einer Mutter an.

Sie zog alleine ihre zwei Kinder auf, da ihr Mann früh aus der Welt geschieden ist. Sie tat es mit Stolz und Liebe zu ihren prächtigen Söhnen. Leider macht das Schicksal keiner Seele das Leben einfach. Vor allem Gott schien eine wichtige Berufung für sie zu haben. Eine Berufung, der sie nicht auf Erden folgen konnte. Viel zu früh hatte sie sich ins Himmelreich begeben müssen.

Als die Mutter spürte, dass ihr Lebensfaden bald schon durchschnitten werden soll, ließ sie den Älteren der beiden zu sich rufen.

„Mein Sohn, ich werde bald diese Welt verlassen.“

Sie umfasste sanft seine Hand, und als sie los ließ, lag ein Medaillon in seiner Handfläche. Es glänzte golden vom Licht der untergehenden Sonne, welches das milchige Glas des Fensters durchbrach.

Die Sicht von einem Tränenschleier getrübt, betrachtete der Junge den edlen Gegenstand. Lilien, Rosen und Efeuranken zierten das Medaillon. Er versuchte es zu öffnen, doch es gelang ihm nicht.

„Sohn, dies ist ein Erbstück“, unterbrach ihn die Mutter mit zittriger Stimme. „Sie wurde immer an den Erstgeborenen der Familie weitergegeben. Achte gut darauf. Es wird deinem Bruder und dir den Weg weisen. Und sich öffnen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.“

Wenige Tage später verstarb die Frau, deren Augen stets zu lachen schienen.

Die Brüder, die nur ein Altersunterschied von 6 Jahren trennen konnte, gelangten in ein Waisenhaus. Das Gebäude war herabgekommen, die Farbe gebleicht. Auch schien das Leben der Waisenkinder dort, trist und grau zu sein. Doch die Brüder hielten zusammen und halfen sich gegenseitig, nicht in das Loch von Trauer und Dunkelheit zu fallen.

An einem Tag, und es war zufälligerweise einer dieser Tage, an dem das Waisenhaus Ausflüge veranstalteten, geschah etwas. Etwas Bedeutendes für die Brüder.

Sie waren gerade dabei gewesen durch die alten Straßen der Stadt kommandiert zu werden, als man bemerkte, dass eines der Mädchen verschwunden war. Die Menge fing an zu tuscheln. Panik breitete sich aus. Der ältere Bruder, geprägt von einem starken Beschützerinstinkt, lief geschwind los um sie zu suchen. Sie war ein Mädchen, das seine Eltern bei einem Hausbrand verloren hat. Doch ihr Feuer war noch nicht erloschen.

Der Bruder bildete sich ein, eine Stimme zu hören, die ihn lenkte. Gehetzt lief er über Pflastersteine und Pfützen, bis er vor einer Gasse stand.

Komm! Hier bist du richtig! Lauf weiter!

Er zögerte kurz.

Die Gasse war eng und durch ihre Länge gelangte wenig Tageslicht in den dunklen Winkeln der Gemäuer. Die Wände waren mit zerrissenen Werbeplakaten, alten Geschmiere und vergilbten Steckbriefen von Menschen, auf denen ein Kopfgeld gesetzt worden ist, bedeckt.

Der Junge sah vorne am Ausgang der Gasse etwas funkeln, und lief wieder los.

Bevor er aber endlich der Dunkelheit der Gasse entfliehen konnte, verlangsamte er seine Schritte, denn er erhaschte schon einen Blick auf die Prächtigkeit des Platzes. Nun langsam gehend, betrat er diesen verwunschenen Ort. Mit angehaltenem Atem überflog er die Gegenstände, die aus der Antike zu stammen schienen . Ein Springbrunnen aus glänzendem Marmor plätscherte in der Mitte des Platzes vor sich hin. Und ein steinender Pfau zierte sein Haupt. Es gab viel mehr zu sehen, doch sein Blick haftete an dem verschwundenen Mädchen. Es tanzte einem ihm unbekannten Tanz. Leise Musik aus unbekannter Quelle umgab sie wie ein feiner dichter Nebel und so fühlte er sich auch. Benebelt.

Die PfauenbrüderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt