29. Ein Abendessen

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Nachdem ich mich einigermaßen wieder gefasst habe, gehe ich langsam zum Wohnzimmer. Mein Kopf fühlt sich mittlerweile an als würde er gleich platzen und die verschiedenen Gefühle in mir bringen mich vollkommen durcheinander. Misstrauen, Wut, Trauer, Verwirrung, Scham, Verzweiflung, Angst. Ein Tornado in meinem Herz.
"Jim?", frage ich mit leiser Stimme, doch ich bekomme keine Antwort. Als ich ganz ins Wohnzimmer schauen kann, sehe ich Jim in einem seiner grauen Anzüge im Sessel sitzen, nachdenklich in die Ferne starrend. Offensichtlich ist er ganz professionell.
"Wer war das?", stelle ich nun eine andere Frage, leicht verärgert über seine nicht vorhandene Aufmerksamkeit.                     
"Hm?"
Endlich hat er mich bemerkt und dreht den Kopf zu mir.
"Wer das war, will ich wissen", wiederhole ich die Frage und beiße mir auf die Unterlippe. Irgendwie habe ich Angst vor der Antwort.
"Irene Adler."
Wow, so weit war ich auch schon.
"Und was wollte die hier?", hake ich weiter nach, bemüht nicht ohne Grund wütend auf Jim zu sein. Auch wenn ich in meinem momentanen Zustand dazu nicht wirklich in der Lage bin.
"Sie ist eine Klientin", gibt mein Mann kurz angebunden zurück, da platzt mir innerlich der Kragen.
"Klar, meine Klienten treffen sich auch immer am Wochenende mit mir in meiner Wohnung, machen sich verboten schick und flirten mit mir."
Einerseits bin ich wütend, ohne genau zu wissen warum, andererseits auch enttäuscht, weil es schon wieder eine fremde Frau im Leben meines Mannes gibt. Darüber hinaus auch noch eine so attraktive Frau.
"Melody, beruhige dich bitte. Es ging nicht anders, okay?", versucht Jim mich zu besänftigen, wobei auch er nervlich am Ende zu sein scheint.
"Miss Adler hat lediglich meinen Rat bezüglich einiger Fotos eingeholt, sie wollte wissen wieviel Geld sie damit verdienen könnte", erklärt er, und ich nicke. Dann gehe ich ohne ein weiteres Wort ins Bad, um eine Tablette gegen die aufsteigenden Kopfschmerzen zu nehmen. Keine Ahnung ob die noch von heute Morgen sind, oder ob mein gefühlsmäßig stressiger Tag etwas damit zu tun hat.
Immer wieder gehe ich Jims Erklärung in Gedanken durch, und jedes Mal stört sie mich mehr. Wenn es sich wirklich nur um ein geschäftliches Beratungsgespräch gehandelt hat, was meinte diese Irene Adler dann damit, dass sie gerne wüsste, ob ich genausogut im Bett sei wie Jim? Wie sollte sie das beurteilen können? Beziehungsweise, wieso will sie das wissen?
Diese Fragen tun meinem Kopf alles andere als gut, aber schon bald beginnt die Tablette zu wirken. Nun, da ich es langsam schaffe mein Gefühlschaos zu bändigen, bemerke ich mein leichtes Hungergefühl und verlasse das Bad wieder.
Jim sitzt nicht mehr in dem Sessel und ist auch sonst nirgends zu sehen, wahrscheinlich ist er wieder oben bei der Arbeit.
In der Küche gehe ich zielstrebig zum Kühlschrank, doch dort entdecke ich etwas, was mich innehalten lässt. An der Kühlschranktür, ungefähr auf meiner Augenhöhe, klebt ein gelber Zettel mit Jims Handschrift.

Lust bei einem Abendessen drüber zu reden?

Anscheinend hat er das Gefühl, dass wir noch miteinander sprechen müssen, wegen Adler aber auch wegen dem, was mich bedrückt. Und anscheinend weiß er, dass ich Hunger habe.
Es kommt nicht so oft vor, dass Jim mir einen solchen Zettel hinterlässt, meist ruft er an oder schreibt eine SMS, aber manchmal klebt ein Zettel an der Kühlschranktür der mir sagt, wo Jim ist. Oder auch dass ich geliebt werde.
"Und?", holt mich da Jims Stimme aus meinen Gedanken und ich drehe den Kopf zu ihm hin. Er trägt noch immer seinen grauen Anzug, aber er hat die Krawatte abgenommen und das Jackett geöffnet.
Mit einem leichten Nicken gebe ich ihm zu verstehen, dass ich einverstanden bin.
"Okay", meint er mit einem Lächeln und streckt eine Hand nach mir aus als ich ihm entgegenkomme. Nach kurzem Zögern ergreife ich sie und Jim führt mich aus dem Haus und zum Auto.
Auf der Fahrt schweigen wir, bis Jim schließlich anhält und wir beide aussteigen.
"Das Restaurant ist nur zwei Straßen weiter."
"In Ordnung", antworte ich, dann nehme ich wieder seine Hand. Gemeinsam schlendern wir die Straße entlang in Richtung Restaurant, ohne etwas zu sagen. Zumindestens bis Jim die Stille zwischen uns bricht.
"Ist alles okay?"
"Nein, nicht wirklich."
"Oh."
Er drückt sanft meine Hand, bleibt aber ansonsten stumm, da wir an einer Gruppe von Leuten vorbeigehen, die das schöne Wetter heute Abend noch genießen.
"Wir reden gleich", flüstert er an meinem Ohr, als wir am Restaurant ankommen und hält mir die Tür auf. Wir suchen uns einen Zweiertisch in einer ruhigen Ecke des Raumes, wo es eine Eckbank gibt, und setzen uns nebeneinander hin. Nachdem ein Kellner unsere Getränkewünsche aufgenommen und uns die Speisekarte gegeben hat, wendet Jim seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf mich.
"Was ist los?"
Da erzähle ich ihm von meinem Besuch bei meinem Vater, dass er Leukämie hat, sich aber nicht behandeln lassen will weil er Angst vor Krankenhäusern hat. Dabei wird mir auch klar, dass selbst wenn ein passender Spender für ihn gefunden wird, er wahrscheinlich dennoch nicht ins Krankenhaus gehen wird.
Bei dieser Erkenntnis stocke ich in meiner Erzählung und muss mit den Tränen kämpfen, was Jim zum Glück kommentarlos hinnimmt.
Schließlich erzähle ich ihm auch zögernd von dem, was Irene Adler zu mir gesagt hat, wobei die unterschwellige Frage, was sie damit gemeint hat, zu ihm durchdringt. Während ich ihre Worte wiederhole, merke ich wie ich erröte und schaue peinlich berührt weg von Jim. Doch dieser lacht nur leise über diese Worte.
"Was?", frage ich nun beleidigt, da er das ganz offensichtlich witzig findet.
"Ach Mel, Adler meint das nicht ernst. Sie manipuliert gerne andere Menschen, zerstört ihre Beziehungen. Du solltest dir das nicht zu Herzen nehmen, besonders nicht jetzt."
Er nimmt meine Hand und streicht mit dem Daumen über meinen kleinen Finger.
"Also hat sie das nur gesagt um mich zu verunsichern und da ist gar nichts zwischen euch?", hake ich nach.
"Genau."
Da kommt wieder ein Kellner um unsere Bestellungen aufzunehmen, obwohl wir beide noch keinen Blick in die Speisekarte geworfen haben. Wir bestellen einfach spontan dasselbe Gericht, woraufhin der Kellner uns merkwürdig anschaut, aber nichts sagt.
"Wegen deines Vaters allerdings kann ich dich leider nicht so einfach beruhigen", fährt Jim sanfter fort als der Kellner weg ist und legt auch seine andere Hand auf meine.
"Das kann niemand", antworte ich leise.
"Aber ich kann dir beistehen, dich unterstützen und lieben", meint er und schaut mich liebevoll an.
"Danke."
Obwohl ich noch vor einer knappen Stunde wütend auf ihn war, bringt er mich jetzt zum lächeln.
"Ich hoffe du bist jetzt nicht mehr sauer auf mich, auch wenn ich keinen Schimmer habe, weshalb genau du überhaupt sauer warst. Dieses Treffen mit Adler war ziemlich spontan, ich hätte dich also kaum warnen können."
Er schaut mich entschuldigend aus seinen dunkelbraunen Augen heraus an, wodurch er total niedlich aussieht. Lachend senke ich den Blick, bevor ich ihm noch um den Hals falle und ihn abknutsche. In einem Restaurant muss man schließlich eine gewisse Etikette wahren.
Da kommt schon unser Essen und Jim lässt meine Hand etwas widerstrebend los, damit wir essen können. Der Kellner wünscht uns einen guten Appetit und zieht sich dann höflich zurück.
Wir genießen dieses gemeinsame Abendessen, vorallem da wir sowas schon lange nicht mehr gemacht haben. Ich erinnere mich noch sehr gut an das erste Mal, als Jim mich an meinem Geburtstag in sein Lieblings-Restaurant ausgeführt hat, damals, als wir noch nicht zusammen waren. Manchmal frage ich mich was geschehen wäre, wenn ich Jim niemals kennengelernt hätte. Wenn er an diesem Tag niemals auf dem Flughafen gewesen wäre, wenn ich niemals seine angenehme, tiefe Stimme mit dem irischen Akzent gehört hätte. Wenn mich niemand aufgebaut, oder aus dem Haus rausgeholt hätte, in dem ich nach langer Zeit wieder Drogen genommen habe. Würde ich dann überhaupt hier sitzen?
Unwillkürlich geht mir durch den Kopf was alles nicht geschehen wäre, wenn ich Jim niemals kennengelernt hätte. Ich wäre wahrscheinlich wegen der Drogen-Sache gestorben, Katie hätte sich furchtbare Vorwürfe gemacht und ich hätte niemals ihre Hochzeit miterlebt. Ganz zu schweigen von den vielen, wundervollen Stunden die ich mit Jim verbracht habe.
Außerdem hätte ich Seb nicht kennengelernt, und er hätte vielleicht nie mit Jim über seine Gefühle gesprochen.
Sam hätte mich auch niemals kennengelernt, geschweige denn gewusst dass er eine Tochter hat. Er wäre jetzt ganz alleine in seiner Wohnung, mit der Diagnose, und würde wer weiß was tun. 
"Erde an Melody."
Erschrocken fahre ich aus meinen Gedanken hoch und muss feststellen, dass mein halb gegessenes Essen mittlerweile kalt geworden ist. Jim neben mir schaut mich leicht besorgt, aber auch belustigt an.
"Hast du keinen Hunger mehr?"
"Ähm, doch... nein... weiß nicht", stammele ich verwirrt und Jim lacht leise.
"Keine Sorge Honey, hier wird dich niemand fressen."
Er legt einen Arm um mich und lehnt sich näher an mein Ohr.
"Naja, außer ich natürlich."
Augenblicklich werden meine Wangen rot, während Jim nur breit grinst.
Da kommt ein Kellner, der meinen Mann ablenkt und beginnt den Tisch abzuräumen.
Nur kurze Zeit später verlassen wir Hand in Hand das Restaurant, um durch die mittlerweile hereingebrochene Nacht zum Auto zu gehen.
"Verrätst du mir noch in welchen tiefen Gedanken du gerade eben gesteckt hast?", erkundigt Jim sich und ich schaue ihn von der Seite her an. Eine leichte Brise bringt seine Haare, die inzwischen wieder nachgewachsen sind, ein wenig durcheinander.
"Ich habe nur daran gedacht, was passiert wäre wenn wir uns nie kennengelernt hätten. Was ich alles verpasst hätte", antworte ich, da schaut er mich ebenfalls an.
"Auf jeden Fall wäre ich sehr einsam geblieben", sagt er leise und lächelt.
"Das bezweifle ich irgendwie. Du hättest jede andere kriegen können", widerspreche ich, da hält er an. Ohne ein Wort zu sagen, zieht er mich an sich und küsst mich auf den Mund, wie er es schon länger nicht mehr gemacht hat. Der Kuss ist liebevoll, aber doch hitzig und intensiv. Meine Hände vergraben sich automatisch in seinen Haaren während ich mich enger an ihn drücke, bis nicht mal mehr eine Briefmarke zwischen uns passen würde. Jim hingegen hat eine Hand an meiner Wange liegen, die andere zieht mich an der Taille zu sich.
Nach einer Weile lösen wir uns keuchend und er schaut mir tief in die Augen.
"Vielleicht hätte ich jede andere kriegen können, aber ich bin mir ziemlich sicher dass keine von denen lange geblieben wäre. Du glaubst gar nicht wie froh ich bin, dich zu haben und mit dir mein Leben zu verbringen."
"Ich bin auch froh dass ich dich getroffen habe", flüstere ich zurück, dann gebe ich ihm einen sanfteren Kuss auf die Lippen.
Plötzlich lässt mich ein kühler Windstoß frösteln. Als wir das Haus verlassen haben, war es warm genug dass ich keine Jacke brauchte, aber jetzt ist es wesentlich kühler. Kurzerhand zieht Jim sich sein Jackett aus um es mir um die Schultern zu legen. Der Geruch, der an dem Stoff haftet, zusammen mit dem bisschen Körperwärme lassen mich unwillkürlich lächeln. Ich liebe es wenn Jim sich so um mich kümmert.
"Danke."
Wir gehen schließlich weiter zum Auto. Irgendwie fühle ich mich so, als wäre das hier eins unserer ersten Dates und nicht etwa ein Samstagabend in unserer Ehe. Die Tatsache, dass Jim sich auch so verhält als wolle er vor mir, seiner Freundin, Eindruck schinden und mich beschützen, unterstützt dieses Gefühl auch noch. Allerdings bringt er mich auch dazu, meine trüben Gedanken wegen meines Vaters zu vergessen.
Endlich gelangen wir zum Auto und von dort aus schnell nach Hause, denn mittlerweile ist es schon recht spät. Außerdem wollen wir den Abend noch angemessen ausklingen lassen.

~~~

Wohoo, stellt euch vor, ich bin wieder pünktlich ^o^
Ist das nicht supi? :D

Was haltet ihr von diesem Abend? Und natürlich von Irene? (Auch wenn sie in diesem Kapitel nur namentlich vorkam)

Bis demnächst, bye!

Moriarty In Love - The GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt