Take me higher

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London

Oliver drehte sich um und ging. Das Klackern seiner Absätze auf dem Asphalt hallte in meinem Kopf nach, auch als er schon längst aus meinem Blickfeld verschwunden war, hörte ich noch immer das Geräusch seiner Schritte. Wütend. Zu schnell, zu fest für seinen sonst eher schleichenden Gang. Ich blickte ihm nach. Hatte ihn längst in der Menschenmenge verloren. Irgendwo zwischen all diesen fremden Köpfen war auch Oliver. Gleich würde er in einem der vielen Londoner U-Bahn Schächten verschwunden sein. Im schier endlosen Netz aus Tunneln und Wegen. Ich hatte ihn verloren. Für immer!

Traurigkeit und Einsamkeit machten sich in mir breit. Oliver war mein bester Freund, Vertrauter, Seelenverwandter und Kumpel. Und auch mein größter Fan. Ich wusste, dass er mich liebte, immer geliebt hatte. Wir waren uns manchmal so nah und doch so fern. In all den Jahren unserer Freundschaft gab es immer wieder Möglichkeiten, sich zu verlieben, aber wir taten es nie. Wir hatten einen Pakt geschlossen: Sollten wir mit 40 noch immer beide Single sein, würden wir einander heiraten. Ich hatte das mal in irgendeinem Film gesehen. Gut, die Idee war geklaut, aber sie passte zu uns, wie selten ein Zitat aus einem Film in unser Leben passte. Und es war uns durchaus ernst damit. Oliver jedoch bezweifelte, dass es dazu kommen würde.

„Ich wette, dass du bald wieder ankommst und mir erzählst, dass du so einen sympathischen, netten jungen Mann kennengelernt hast und ich stehe wieder in der zweiten Reihe!"

Tatsächlich lag ich im Beziehungsranking weit vorne. Während Oliver gerade mal drei Beziehungen, während der langen Zeit unserer Freundschaft gehabt hatte, waren es bei mir schon sieben. Ich habe keine Probleme, einen Mann kennenzulernen. Mit meinen einen Meter dreiundsechzig und den schulterlangen, blonden Haaren, passte ich in das Beuteschema der meisten Jungs. Selbst, wenn ich im Jogginganzug zum Bäcker gehen würde - was ich nie tat - war immer ein Flirt drin. Es half, wenn man ein sympathisches Äußeres hatte, es schützte aber nicht vor Idioten! Das jedenfalls war meine Erklärung dafür, dass ich bisher immer an den Falschen geraten war.

Aber diesmal war alles anders. Die Begegnung mit David war magisch gewesen. Das habe ich vom ersten Augenblick an gespürt. Sein Lächeln, seine Augen, einfach alles an ihm hatte mich ab der ersten Sekunde fasziniert und nicht mehr losgelassen.

Ich habe David im London Eye kennengelernt. Nach dem ich lange nicht mehr in der Stadt gewesen war, hatte ich Lust verspürt, mir die Themse und die Westminster Abbey von ganz oben anzusehen. Man wies mir eine Gondel zu, in der sich eine japanische Reisegruppe befand, und David. Er war der Reiseleiter, der fast 30-köpfigen Delegation aus Fernost. Ich hörte ihm eine Weile zu, wie er über die Architektur der Stadt dozierte, die gotischen Elemente der Fassade an den Houses of parliament genauer erklärte und dann über den Brückenbau der Millennium Bridge berichtete und wie sehr er Norman Foster, den Architekten der modernen Brücke verehrte. Gedankenverloren ließ ich seine Worte an mir vorbeiziehen, während ich den Lauf der Themse bis zur London Bridge verfolgte. Plötzlich veränderte sich die Stimmung im Inneren der Gondel. Einer der Japaner hatte eine Frage zum Brexit gestellt und die Gruppe begann David in die Enge zu treiben. Vergebens versuchte er, die Gespräche in sicheres Fahrwasser, außerhalb der politischen Geschehnisse des Landes zu lenken. Aber die Japaner gingen nicht auf seine Beschwichtigungen ein. Ein paar Mal waren sich unsere Augen bereits begegnet, aber jetzt warf er mir hilfesuchende Blicke zu. Eine Weile beobachtete ich belustigt das Spiel seiner Augenbrauen, während er versuchte, mir etwas mitzuteilen. Schließlich sprang ich ihm zur Seite und stellte eine äußerst dumme, aber dennoch wirkungsvolle Frage zur ehemals dampfbetriebenen Hebevorrichtung der Tower Bridge. Die Japaner waren wieder auf Spur. Sie hatten großes Interesse an technischen Spielereien und Davids Ausführungen über das ursprünglich auf Wasserdruck basierende hydraulische System, konnte sie geschickt vom Thema ablenken. Als seine Gäste später mit dem Fotografieren von Big Ben beschäftigt waren, war David plötzlich sehr nah neben mir gestanden um mir leise ins Ohr zu flüstern, dass er mich zum Dank gerne zu einer Tasse Kaffee einladen möchte. Wir hatten beide gewusst, dass es hier nicht um eine Tasse Kaffee ging. Die Art und Weise, wie er vertraut seine Nase in mein Haar gesteckt hatte, wie ich seine Wärme gespürt und genossen hatte, den Duft seines After Shaves mit geschlossenen Augen in mich aufsaugen wollte. Das alles war magisch gewesen. Wir konnten mit den Augen kommunizieren, ab dem ersten Moment, in dem sich unsere Blicke trafen. Nachdem die Reisegruppe an der Westminster Bridge, sicher in den Bus gestiegen war, gingen wir ins „Red Lion". Wohl eines der berühmtesten Pubs im Regierungsviertel, das wir beide liebten. Wir konnten uns unterhalten, wie alte Bekannte, beste Freunde, beste Kumpels und genau das war der Grund, warum Oliver jetzt gegangen war. In seinen Augen brauchte ich ihn nicht mehr, jetzt wo es David in meinem Leben gab, und ich konnte ihn nicht mal widersprechen. Es stimmte. David war in der kurzen Zeit, die wir uns kannten, alles für mich geworden. Er war mein engster Vertrauter, mein bester Freund, der Mann, der mich liebte, wie ich war. Er war mein Lover, mein Bad Boy. Er war mein Fels in der Brandung und gleichzeitig der sanfte Engel, der es so gut verstand mein Leben immer wieder in geordnete Bahnen zu lenken, wenn ich glaubte, aus der Spur geraten zu sein.

Noch immer stand ich auf der Straße vor meinem Haus und blickten den Passanten hinterher. In einer Stunde, würde David kommen, so wie fast jeden Abend. David war Architekt, er hatte die japanische Reisegruppe im Auftrag eines großen Bauunternehmens begleitet. Sie waren die Sponsoren und Auftraggeber, für einen monströsen Bürokomplex, der im Süden Londons gebaut werden sollte.

Wenn ich daran dachte, dass David der Architekt dieses unglaublichen Bauwerks war, dann wollte ich vor Stolz platzen. Mein David, der Mann, der mein Herz im Sturm erobert hatte und der mich nicht ein einziges Mal an seiner Liebe zu mir hatte zweifeln lassen.

Vor Kurzem erst, hatte ich die Stelle bei Bradford & Partner, als Assistentin der Geschäftsleitung angenommen. Das war auch der Grund, warum ich zurück nach London gekommen war. Meine kleine Wohnung, in einem der schmalen Häuser in der Londoner City, war gerade so bezahlbar. Ich liebte das winzige Reihenhaus mit den viel zu engen Zimmern und dem gemütlichen alten Kamin, genauso wie David. Standesgemäß wohnte er in einem riesigen Loft, über den Dächern der Stadt und trotzdem fühlten wir uns bei mir in meinem winzigen Haus am wohlsten. Vielleicht war das der Zauber des Anfangs. Wir wollten ganz eng beieinander sein. In seinem Loft konnte man sich verlaufen. Manchmal mussten wir uns regelrecht suchen und riefen nacheinander. In meinem Haus war es schier unmöglich, sich zu verlieren. Wir liebten die kurzen Wege, und dass wir von der Küche zum Sofa weniger als zehn Schritte benötigten. Die meisten Wochenenden brachten wir damit zu, gemeinsam in meinem kleinen Haus zu kochen und unsere Kreationen vor dem Fernseher auf meiner Couch zu verspeisen. Manchmal gingen wir das ganze Wochenende nicht vor die Tür, schleppten uns von der Küche aufs Sofa und vom Sofa ins Bett.

Wir führten lange und tiefgründige Gespräche und erzählten uns unser ganzes Leben. David liebte es mich durch die Stadt zu führen. Seine Sicht auf die Gebäude war einzigartig und sein Wissen um die Kunstgeschichte und Architektur der Gebäude war schier grenzenlos. Wir haben auch bereits Zukunftspläne geschmiedet. Im Winter wollten wir nach Cornwall fahren. Nicht nur weil es dann ruhiger ist, abseits des Tourismus, sonder vor allem weil das Meer dann rauer ist, ursprünglicher. „Cornwall bei Sonne kann jeder", fand David und ich konnte ihm nur recht geben. Auch ich war kein Freund von kitschigen Postkartenmotiven. Ich liebte das Meer gerade, wenn es stürmisch und rau war. Wenn der Himmel seine Pforten öffnete und grauer Sprühregen die Natur in ein unwirkliches Licht tauchte. Ich freute mich schon unendlich auf unseren Urlaub. Aber zunächst stand uns ein anderer Termin bevor. Das war die letzte Nacht in meinem Haus. Schon morgen würde ich bei David einziehen. Auf lange Sicht war es das Vernünftigste, auch wenn es uns beiden das Herz brach unser kleines Liebesnest aufzugeben. Davids Loft war hell und modern und bot uns den nötigen Platz. Da David viel von zuhause arbeitete, wo er sich ein riesen Arbeitszimmer mit Reißbrettern und Tafeln für seine Entwürfe eingerichtet hatte, war es von Anfang an klar gewesen, dass wir eines Tages in seiner Wohnung leben würden.

Natürlich wusste ich den Luxus zu schätzen. Trotzdem wird mir der geschützte Raum, meines kleinen Reiches fehlen. Hier kannte uns niemand, hier waren wir ungestört und unter uns. Davids Loft war Anlaufstelle für Kunden, Geschäftspartner und Freunde. Ab morgen würden wir nie mehr ungestört sein.

Wehmütig ging ich zurück in mein kleines Haus. Ein letztes Mal wartete ich auf das Klingeln von David. Ein letztes Mal, zog ich mir die Lippen in dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken nach.

Als es knapp eine Stunde später an meiner Tür klopfte, stand David mit einem großen Strauß weißer Rosen vor mir um mich in unsere neue gemeinsame Zukunft abzuholen! Als er sich schließlich vor mir niederkniete, wusste ich, das hier wird soviel größer als einfach nur ein Umzug!

– Ende –

Die Geschichte wurde unter den Namen „Evan - always forever" zum Roman.

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