Marco
Nicole saß neben dem Kaffeeautomaten am Boden. Fest hatte sie ihre Knie mit den Armen umschlungen und hatte den Kopf tief nach unten gesenkt. Gleich nach dem der Arzt mit uns gesprochen hatte, setzte sie sich dort hin und war nicht mehr ansprechbar. Meine Bitte, sie solle doch zu mir auf die Wartebank kommen, ignorierte sie komplett. Auch meine Frage, ob sie etwas trinken möchte, bekam die gleiche Aufmerksamkeit. Also setzte ich mich selbst irgendwann und verfiel in dumpfes Brüten. Erst strich ich mir immer wieder über die Seite meines Kopfes, dann wuschelte ich komplett durch meine Haare und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Fest kniff ich meine Augen dabei zusammen und drückte meinen Kiefer fest zusammen, als direkt die Bilder von Luisa auftauchten. Es sah nicht gut aus und der Arzt wollte uns auch nicht mehr als das nötigste sagen, bevor er in den Behandlungsraum verschwand. Man hatte uns einfach vor die Tür gestellt und erst gar nicht zu Luisa gelassen. Wir hätten uns selbst sicher auch ein Bild machen können. Ein tiefes und lautloses Seufzen ging durch mich hindurch, denn natürlich war dieser Gedanke absolut nicht fair dem Arzt gegenüber. Er war hier der Mensch mit Ahnung, wir nur besorgte Angehörige. Ja, besorgt war das richtige Wort dafür. Ich war besorgt und das irgendwie nicht nur, weil es um Nicole ging sondern im speziellen auch um Luisa. Egal wie sehr ich sie hasste und wie stark die Wut auf sie war, so etwas hatte ich ihr nicht gewünscht. Da fing auch schon wieder der Film in meinem Kopf an und ich sah erneut, wie dieses Auto aus der Seitenstraße kam und Luisa von den Füßen riss.
Ich hatte das Auto direkt erkannt. Es war der junge Nachbar, der gerade erst seinen Führerschein bekommen hatte. Er tat mir genauso leid. Ich meinte mich sogar zu erinnern, dass er erst noch Geburtstag hatte und dieses Auto geschenkt bekam. Ich musste darüber noch schmunzeln, weil er sonst immer nur das Auto seiner Mutter fahren durfte. Sie hatte einen kleinen Opel Adam, aus der BVB Kollektion und ihr Sohn war Schalke Fan. Was er bei seinem Golf auch zum Ausdruck brachte und für mich immer nur böse Blicke übrig hatte. Nun war der Golf leicht kaputt und er womöglich seinen Schein direkt wieder los, obwohl ihn mit Sicherheit keine Schuld traf. Luisa ging einfach unvermittelt hinter einer hohen Hecke vor und stand dann auch schon direkt auf der Straße. Klar hätte er langsamer fahren können, doch war er wirklich viel zu schnell? Das konnte ich ehrlich gesagt gar nicht mehr so beurteilen. Er hatte auf jeden Fall Luisa volle Breitseite erwischt und sie machte einen seitlichen rückwärts Salto über seine Motorhaube. Nicole brüllte wie am Spieß und ich rannte auf das Auto zu, riss die Fahrertüre auf und holte den armen Nachbarsjungen hinter dem Steuer vor. Wie in einem schlechten Film, kam genau in dem Moment die Polizei von der anderen Seite und ich ließ von dem kleinen, wimmernden Jungen ab, der mich total aufgelöst anschaute und sich ständig wiederholte „ich hab sie nicht gesehen". Natürlich hatte er sie nicht gesehen, wie auch. Wir hatten es ja alle nicht gesehen, irgendwie. Dem Umstand, dass genau in dem Moment die Polizei kam, war es auch zu verdanken, dass so schnell ein Rettungswagen kam. Bis dahin saß Nicole auf dem Boden und hatte Luisas Kopf auf ihren Beinen liegen. Wimmerte und entschuldigte sich ebenso oft, wie der Junge von neben an. Sie war auch nur schwer von ihrer Schwester zu lösen, als dann der Krankenwagen kam und Luisa versorgt wurde.
Natürlich wich sie keinen Meter mehr von ihr und fuhr mit den Sanitätern mit. Die Polizei wollte mich dafür nicht gehen lassen. Einer müsste da bleiben, für die Formalitäten, sagten sie, dabei waren mir diese gerade mal so was von egal. Mit den Worten, ich wäre ja kein Unbekannter und dem Versprechen, das ich ganz sicher zum Revier kommen würde, wenn ich beruhigt vom Krankenhaus weg könnte, ließen sie mich dann doch schneller gehen als gedacht. So kam ich gerade im Krankenhaus an, als Luisa fertig war mit Röntgen und in eben dieses Untersuchungszimmer geschoben wurde, vor dem wir nun saßen. Langsam und träge öffnete ich meine Augen und sah zu meiner Freundin rüber. Sie hatte ihre Position nicht verändert und es macht mich fertig, das sie mich nicht an sich ran ließ. Schwerfällig stand ich auf und ging den Meter zu ihr rüber, um mich in der Hocke vor ihr runter zu lassen. Erst tippte ich mit dem Zeigefinger gegen ihr Knie, um schlussendlich meine ganze Hand darauf zu legen. Zärtlich strich ich mit meinem Daumen hin und her und hoffte immer wieder auf ein Aufblicken von ihr, doch es blieb aus. „Nicole bitte, hör auf dich selbst fertig zu machen. Es war ein Unfall"-„ich mach mich nicht selbst fertig" kam es dann endlich als Lebenszeichen dumpf aus ihrem Schoß. „Was machst du dann?"-„ich denke nach"-„und über was?"-„was ... was ... diese ... diese Scheiße soll" ihre Worte waren nun gebrochen, denn sie fing an zu weinen und zog ihre Nase hoch. „Schicksal und nein, auch wenn du vielleicht vermutest ich könnte es mir gewünscht haben, so ist es wirklich nicht. DAS hat keiner verdient, auch deine Schwester nicht"-„ach?". Dieses kleine Wörtchen schmerzte mich extrem. Gab es mir doch das Gefühl, sie würde es wirklich annehmen. Nach all dem was passiert war, traute sie mir so etwas Schlechtes zu. Sie hob ihren Kopf, wischte sich immer wieder über die Augen und zog die Nase erneut hoch. Ordnete ihre Haare, was das Gegenteil bewirkte und sah dann auf die Uhr, um mit fester rauer Stimme zu sagen „ich muss Luca abholen. Bleibst du hier? Sonst muss sie eben warten bis ich wieder da bin". Dann stand sie auf und mir war, als wäre sie leicht am schwanken und instinktiv griff ich nach ihr. Fest zog ich sie in meine Arme und sie ließ sich hängen wie ein nasser Sack Wäsche. „Luca ist versorgt. Ich hab auf dem Weg hierher mit Yvo telefoniert. Das sollte jetzt nicht deine Sorge sein und bitte hör auf zu glauben, ich wolle für deine Schwester so etwas Schreckliches. Verdammt Nicole, ich liebe dich und ja, irgendwie muss ich auch tief in mir drin, so etwas wie Sympathie für deine Schwester haben. Bitte, denk nicht so schlecht von mir" es musste einfach raus, sonst hätte es mich wohl noch von innen heraus zerrissen. Irgendwie konnten meine Worte aber doch nicht ganz so falsch gewesen sein, denn kaum hatte ich sie gesagt, umklammerten erst ihre Hände meine Arme, dann griff sie unter ihnen hindurch und umschlangen mich ganz. „Es tut mir leid" schluchzte sie gegen meine Brust und ab da weinte sie bis der Arzt uns unterbrach.
„Frau Müller, Herr Reus? Ihre Schwester ist stabil und nach ein paar Tagen hier bei uns, wird sie auch wieder wohlgenesen nach Hause kommen. Es sah wirklich alles viel schlimmer aus als es am Ende zum Glück ist. Sie musste sehr viele Schutzengel um sich gehabt haben" Nicole sah ihn nur stumm und mit großen Augen an und es brauchte auch seinen Moment, bis ich meine Sprach fand. „Was heißt das denn genau? Was ist ihr überhaupt alles passiert?"-„naja, sie hat eine gestauchte Wirbelsäule, Nackenprellung, Schleudertrauma, Gehirnerschütterung, ein Loch im Kopf. Dazu noch eine Handgelenkfraktur und einige Schürfwunden. Nichts was nach solch einem Aufprall verwunderlich ist, jedoch, wie gesagt, zum Glück nicht mehr. Wir behalten sie hier wegen der Gehirnerschütterung, um ganz sicher zu gehen". Es war wirklich unglaublich, das Luisa nicht mehr hatte, denn der Flug sah mir doch spektakulärer aus und ich hätte mich nicht gewundert, wäre da um einiges mehr gewesen. „Schutzengel?" fragte da Nicole mit der gleichen Ungläubigkeit nach, wie ich sie empfand, nur schwang bei ihr ein Unterton mit. Ihre Augen verengten sich und ihre Hand, mit der sie meine umschloss, griff fester zu. „Bei dem was sie gerade gesagt haben, hatte sie mehr Glück als Verstand und davon hat sie sehr wenig" diese Aussage ließ mich sie verwundert anschauen. Sie war sauer. „Wann kann ich zu ihr?" war dann auch schon die nächste Frage und der Arzt war leicht irritiert. „Sie ist im Augenblick sehr benommen, was sicher auch mit dem Schmerzmittel zusammen hängt. Manchmal ist sie auch richtig weg getreten. Sie wird jetzt auf Station gebracht und dann können sie auch schon zu ihr. Die Schwester wird ihnen das genaue Zimmer sagen"-„ok, ich danke ihnen" Nicole ließ meine Hand los, um sie dem Arzt für die Verabschiedung hin zuhalten. Direkt fühlte ich das Kribbeln in meiner Handinnenfläche, wenn das Blut wieder zirkulieren konnte. Wir verabschiedeten uns von ihm und warteten darauf, dass Luisa endlich aus dem Zimmer raus kam und wir weitere Informationen bekamen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit standen wir vor dem Zimmer, in das wir noch nicht rein durften und Nicole umklammerte mich. „Verdammte Scheiße" nuschelte sie und löste sich dann von mir, um mich vorwurfsvoll anzuschauen „du hättest nicht so mit ihr reden sollen, dann wäre sie bestimmt nicht weg gerannt. Ich hatte das im Griff". Irritiert und mit großen Augen sah ich sie an. Dann schob ich sie weiter von mir weg „bitte was?"-„ich hatte mich mit ihr ruhig unterhalten und du musstest ankommen wie der Elefant im Porzellanladen"-„das ist jetzt aber nicht dein ernst oder? Du willst mir jetzt nicht die Schuld an der Sache geben oder?" ich versuchte ruhig zu bleiben, denn mir war klar, hier war nicht der richtige Ort zum Streiten. Nicole ließ die Schultern hängen, seufzte laut und rollte dabei mit den Augen. „Du gibst mir wirklich die Schuld oder?" ich war fassungslos und wie vor den Kopf gestoßen. Wollte nicht glauben was sie da gerade von sich gegeben hatte. „Verdammt" zischte sie und fing an auf ihrem Daumennagel zu kauen. „Was?" fragte ich mit einem leicht harschen Ton nach, weil ich es doch nicht einfach so stehen lassen konnte. „Du weißt doch was ich mein und so wie du es gerade aufnimmst, war es nicht gemeint"-„was?" ich konnte ihr kein bisschen folgen und war noch verwirrter. „Ach man Marco" nun sah sie mich mit Hundeblick an und klang ebenso weinerlich. „Ich wollte nicht das du es so aufnimmst, nur, wir müssen schon auch bei den Tatsachen bleiben. Hättest du nicht, dann wäre sie nicht"-„am Ende ist es die gleiche Aussage. Du gibst mir die Schuld" mit zusammen gekniffenen Augen sah ich zu ihr runter und sie selbst sah zu Boden, um sich dann wieder an mich ran zu schmiegen. „Ihr seid beide gleiche sture Esel"-„ach? Ich hab aber nicht versucht ..." ich kam gar nicht mehr zum Reden, denn zum einen legte mir Nicole ihre Hand auf den Mund und zum anderen kamen zwei Krankenschwestern aus dem Zimmer von Luisa. „Sie können jetzt rein gehen. Eben war sie wach, aber sie ist sehr schwach. Ich habe Verständnis für ihre Sorgen, aber bitte, gönnen sie ihr die Ruhe, ja?". Mechanisch nickten wir beide und versprachen der Bitte nachzukommen. Bevor wir jedoch endlich nach Luisa schauen konnten, drückte sich Nicole noch einmal gegen meine Brust „ich bin ja nicht sauer auf dich, ich wollte es einfach nur mal festgehalten haben. Ich liebe dich dennoch" ich konnte nicht anders und musste anfangen zu schmunzeln „Süße, das macht es immer noch nicht besser"-„dann schieb es auf meine Verwirrtheit und den Schock und jetzt geh ich ihr eine Ohrfeige verpassen. Die hat sie echt verdient, für eben diesen Schock"-„ich gebe die Hoffnung nicht auf, das vielleicht der Unfall etwas Gutes hatte und sie jetzt wieder klar im Kopf ist" seufzte ich leise und meinte es aber genauso wie ich es sagte. „Du hast seltsame Hoffnungen mein Lieber" sie streckte sich und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen, dann ging sie ohne anzuklopfen in das Zimmer und ich folgte ihr.
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Hey ihr Lieben, heute mal zum Mittagessen was neues.
Irgendwie werden die Kapitel immer länger, dabei wollte ich doch die Geschichte jetzt zum Ende bringen HAHAHA ... aber bald braucht ihr euch nimmer zu quälen, dann ist es wirklich fertig :P
Ich wünsch euch ein schönes Wochenende!
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Ich, meine Schwester und Marco II Eiskalte Rache
FanfictionDas Leben der 27 jährigen Nicole scheint nicht unter einem besonders guten Stern zu stehen. Ihre Eltern starben vor 6 Jahren. Sie muss aufhören zu studieren, um die Verantwortung für ihre Geschwister zu übernehmen. Der kleine Bruder Luca kommt sc...