11. Und sie wurden Piraten

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Wie sehr ich doch immer die Macht des Wassers unterschätzt hatte. Es schleuderte mich gegen die harten und scharfkantige Felsenwände und gegen andere Menschen, die auch von der mächtigen Welle mitgewirbelt wurden. Ich schluckte literweise Salzwasser und konnte nicht atmen. Meine Lungen brannten, ebenso meine Beine und Arme. Ich dachte schon, dass hier und jetzt mein Leben endete. Die letzten Augenblicke auf Gottes schöner Erde, hier Unterwasser, nach Atem ringend, in einer tunnelförmigen Gesteinshöhle.
Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis sich meine Lungen endlich wieder mit Luft füllen konnte. Ich spürte den Felsboden unter mir und wurde plötzlich von einem mächtigen Husten gepackt, in dem bestimmt drei Fässer Wasser aus mir herauskamen. Schließlich öffnete ich meine Augen und sah durch das Ende des Tunnels, die Flying Dutchman auf dem dunklen Meer ruhen. Ich war also bis ganz ans Ende der Höhle gespült worden.
Ich setzte mich auf und erkannte Jacks Crew, die verwundert dastand, ein paar Leichen (hauptsächlich Schotten) und einige keuchende Leute aus Wills Crew, die auch durch die Wellen geschwämmt worden waren. Meine gesamte rechte Seite und meine Knie und Ellenbogen brannten und ich erkannte dort frisches Blut. Anscheinend war ich heftiger als gedacht, gegen die spitzkantigen Felswände geschleudert worden.
Erschöpft rappelte ich mich auf. Fragen kreisten in meinem Kopf, wie ein Tornado: Wo war Jack? Wo war Leyssi? Wo war Wills Herz? Und wo war das Elixier?
"Was ist passiert?" hörte ich Gibbs' Stimme.
Ich wollte antworten, doch nur Gehuste und Wasser kamen aus meiner Kehle. Als ich mich wieder beruhigt hatte, setzte ich noch einmal zu einer Antwort an. "Als Leyssi das Elixier nahm ... begann sich die Höhle aufzulösen und Wasser vom Meer kam durch die Risse herein." Ich ging ein paar wackelige Schritte vorwärts und sah, dass sich immer mehr Leute aufsetzten. "Sind alle Schotten tot?" fragte ich und schaute auf die leblosen Körper, deren Blut das Wasser rot färbte.
"Nein. Die Meisten sind geflüchtet," antwortete Gibbs, als auf einmal eine Person von weiter hinten in dem Höhlengang auftauchte, dort wo das Wasser einen Meter tief war und nicht wie hier nur den ungleichen Boden bedeckte. Die Person richtete sich auf und ich erkannte, dass es sich um Jack handelte. In seiner Hand hielt er das Fläschchen mit dem Elixier. Es war völlig unversehrt. "Haben das auch alle gesehen, weil ich das nicht nochmal durchmachen werde!" rief er und kam durch das Wasser zu uns gestiefelt.
Immer mehr Leute standen hustend auf und ich erkannte Wills Vater unter ihnen. In seiner Hand befand sich das Herz seines Sohnes. Es war ebenfalls unversehrt. So ein Glück.
... Jetzt blieb nur noch die Frage, wo Leyssi war. War sie als Fisch entkommen oder im Wasser gestorben? Nun, das würde ich wohl nie erfahren. Es würde auf ewig eines der ungelösten Rätsel der See bleiben.

Wenig später segelte die Black Pearl fort von dieser schaurigen Insel, dicht gefolgt von der Flying Dutchman, auf dessen Bort sich nun auch Elizabeth befand. Sie würden sie, zusammen mit dem Herzen, auf Tortuga an Land bringen.
Ich hingegen wollte nicht mehr an Land. Ich hatte meinen Platz auf dieser Welt gefunden und er befand sich genau hier: An Bort der Black Pearl. Auch wenn sie eine verrückte Crew, einen noch verrückteren Captain, einen sprechenden Papageien und einen untoten Affen beherbergte. Dashier war nun mein Zuhause.
Ich blickte mich um, den kühlen Westwind im Gesicht und erkannte am anderen Ende des Schiffes ein kleines Feuer. Schnell ging ich darauf zu, so wie fast die gesamte Crew. Pintel und Ragetti standen diskutierend neben den Flammen, die in einer Eisenschüssel loderten und auch die anderen begutachteten es mit Neugierde.
"Das Elixier, Master Gibbs," befahl Jack, der genau vor der Flamme stand. Wollte er es tatsächlich verbrennen? Dann war es doch für immer fort.
Gibbs gab ihm das Fläschchen und Jack drehte den gläsernen Deckel auf. Dann schüttete er die silbrige Flüssigkeit in das Feuer, das größer und ebenfalls silbern wurde, ehe es erlosch.
"Du hättest es doch trinken und seine Macht für das Gute gebrauchen können," meldete ich mich bedauernd, dass es fort war, zu Wort.
"Ich und Gutes tun?" Er sah mich zweifelnd an. "Manche Dinge sind besser, wenn sie nur in Legenden existieren, Liebes." Jacks Blick schweifte auf den Horizont hinaus und ich erkannte Sehnsucht und Zufriedenheit in seinen Augen.
Ich folgte seinem Blick und sah einen wunderschönen Sonnenaufgang. Die Wolken glühten und der Himmel färbte sich rosig. Auf einmal huschte ein grüner Lichtstrahl über die Wellen und verschwand im nächsten Augenblick auch schon wieder. Was warteten noch für Rätsel, Abenteuer und Geheimnisse auf mich?
Ich schloss die Augen, spürte den kräuselnden Wind im Haar und musste lächeln, als ich mit Freude und Zuversicht an die Zukunft dachte und daran, was sie uns bringen mochte.

Fluch der Karibik • das mächtige ElixierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt