The prologue.

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Mit der Bürste strich sie sanft durch ihre weichen kastanienbraunen Haare, die mit leichten Wellen über ihre Schulter fielen. Sie betrachtete ihr Spiegelbild und starrte lange ihre blasse Haut entlang. Tiefe und dunkle Augenringe hatten sich unter ihrem Lid Platz streitig gemacht. Sie legte den Kamm zur Seite, seufzte tief, als sie sich an die Geschehnisse von vor einigen Tagen erinnerte.

Ihre Eltern hatten mit Stolz verkündet endlich eine Methode gefunden zu haben, ihre Fabrik wieder auf Hochtouren zu bringen, die definitiv nicht ihrer geplanten Zukunftswünsche entsprach - sie würde demnächst heiraten müssen. Es stand schon lange schlecht um die Industriefabrik ihres Vaters, welche einmal hoch angesehen war. Vergebliche Versuche, mit der Fabrik an die Börse zu gehen und durch Marktanteile die Firma wieder auf Kurs zu bringen, welche keineswegs ihren Zweck erfüllten.

Sie dachte schon daran von Zuhause auszureißen, aber in der Vergangenheit wurde sie eines Besseren belehrt. Trotz der Geldknappheit, die selbst zu dieser Zeit stattgefunden hatte, zog ihr Vater es vor, einen Privatdetektiv zu engagieren. Damals gab es Interessenskonflikte, dass sie daheim zu bleiben und zu lernen und sich nicht von Partygeschehnissen abzulenken hat.  Nicht mehr als zwei Tage dauerte es, bis sie bei ihrer Freundin gefunden wurde. Dennoch, ihren Willen konnte nichts und niemand brechen. Einen wildfremden Mann zu heiraten kam nicht in Frage. Sie hatte noch so vieles vor - ihren Universitätsabschluss mit Gravur bestehen, sich in einen Akademiker zu verlieben, irgendwann, wenn es die Zeit so will, zu heiraten und Kinder großzuziehen.  Doch ihr Vater wagte es ihre Ziele zu durchkreuzen. Was hatte sie schon großartiges vollbracht? Sie war gerade mal in ihr 18. Lebensjahr gekommen, absolvierte ihr Abitur und hatte sich für nächstes Jahr in Wirtschaftsingenieurwesen eingetragen, an einer Universität, die trotz wirtschaftlicher Neigung, einen Wert für Umwelt hegte und den ganzen Campus mit Bäumen schmückte.

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„Rose!“, jemand riss sie von ihren albtraumhaften Gedankengängen. Sie hörte ihre Mutter nach ihr rufen. Widerwillig stand sie auf, würdigte ihrem erbärmlichen Spiegelbild keine weitere Achtung und schritt schweren Herzens in den Flur.

Ihre Hand glitt den Handlauf aus Mahagoniholz entlang, während die rustikalen Treppenstufen unter ihren Füßen knarzten und sie in Ekstase versetzten. Sie liebte rustikal gestaltete Gebäuden mit Holzausstattung, es entlockte ihr ein Gefühl von Frieden und Ruhe. Dabei waren ihre Eltern drauf und dran jenen Frieden zu zerstören.

Leichtfüßig und zögernd, schritt sie in die Küche. Das letzte Mal, waren ihre Eltern hier mit dieser Offenbarung geplatzt und es traf sie wie ein Schlag.

„Hast du dich immer noch nicht angezogen? Wir kommen wegen dir noch zu spät!“, erklang die sonst liebliche Stimme ihrer Mutter erbost, begleitet von ihrem Händestemmen in die Hüften.

„Ich komme nicht mit. Weißt du auch wieso?“, Rose ließ ihrer Mutter gar keine Zeit zum Antworten und fuhr ihre Predigt, die sie lange zurückhielt, fort, lange wollte sie sich nicht alles gefallen lassen.

„Ich bin 18, Mutter! Du und der Mann, der mein Vater sein soll, ihr schert euch einen Dreck um mich. Alles nur Farce, damit eure ‚ach so tolle‘ Firma doch endlich wieder Gewinn erzielt. Wurde ich auch nur einmal gefragt, ob ich diesen wildfremden Mann heiraten möchte? Bin ich nur ein Objekt, dass ihr zu euren Gunsten verkaufen könnt?!“ ein kräftiger Knall war die Folge. Rose‘ Kopf war vor Wucht zur Seite geschleudert, ihre blasse Haut war durch die blutrote Farbe an ihrer Wange hervorgerufen.

„Du weißt doch rein gar nichts. Wer hat dich großgezogen? Durch wem war es dir möglich deinen teuren Hobbys und Einkäufen nachzugehen? Wer hat dir das alles finanziert! Deine Mutter ist selbst damals durch die Hölle gegangen. Dir wurde zumindest ein Schulabschluss ermöglicht und wir waren mit deinen Beziehungen bis heute immer einverstanden! Mir wurde nie eine Wahl gelassen, ich wurde nur geboren, um mich schnellstmöglich in eine reiche Familie zu verheiraten“, sie machte eine Pause. Ihre Vergangenheit schien sie doch sehr mitzunehmen. Lesen und schreiben, lernte sie nach der Heirat, um etwas Ahnung von Geschäften zu bekommen. Sie war damals 14, als sie einfach weggegeben wurde, damit ihr Vater seine Spielschulden tilgen konnte, wie er es bei seinen Töchtern zuvor gemacht hatte.

Ihre Mutter holte einmal tief Luft, strich elegant ihr glattes, schon vergrautes Haar hinters Ohr und richtete ihr markantes Outfit wieder, ehe sie fortfuhr.
„Geh‘ nach oben und zieh dir etwas Schickes an, du willst doch einen guten Eindruck hinterlassen“, beendete sie die einseitige Diskussion und widmete sich wieder an das Hausmädchen, welches stillschweigend das Szenario beobachtet hatte.

Rose gab keinen Ton von sich und schritt erstarrt davon.

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Als sie die Tür hinter sich schloss und sich in ihren bekannten Räumlichkeiten wiederfand, erlaubte sie sich, ihren Gefühlen endlich den freien Lauf zu lassen. Heiße Tränen durchströmten ihr Gesicht, lösten sich von ihrer langen Wimper, rollten ihre Wangen hinab, was ihr wieder die Ohrfeige zu Gedächtnis rief.

„Schick und unschuldig, also?“, ein tückisches Grinsen hatte sich auf ihren Lippen breitgemacht.

Glass HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt