Eine Stunde später war klar, dass zumindest die erste Unterrichtsstunde entfiel, da kein Lehrer bei unserem Klassenraum aufkreuzte. Es wartete sowieso nur die Hälfte unseres Kurses dort. Ich machte mich auf den Weg zu den Verwandlungsklassenzimmern, wo Stella jetzt eigentlich Unterricht hatte. Vielleicht war ihr Lehrer ja gekommen und ich konnte mich zu ihnen dazu setzen und ausnahmsweise mal ein paar Antworten bekommen. Doch Stella konnte ich dort nicht finden. Ich fragte einen ihrer Mitschüler, ob er sie gesehen hatte, aber er meinte nur, dass er da nicht so drauf geachtet hatte. „Vorhin haben hier noch ein paar mehr gewartet, die sind jetzt alle gegangen. Weiß nicht, ob Stella dabei war", erklärte er. Ich nickte. „Trotzdem Danke." Super! Irgendwie war ich überzeugt, dass ich weder Luke noch Danny bei ihrem Klassenzimmer antreffen würde, zumal ich gar nicht wusste, welchen Unterricht sie jetzt hatten. Aber in den Gemeinschaftsraum wollte ich auch nicht gehen, weil da bestimmt auch keiner war. Ich entschloss mich also zurück zur großen Halle zu gehen. Vielleicht hatten sich die „Suchtruppen" dort wieder eingefunden.
Meine Füße taten weh. Ich war gefühlt durch das halbe Schloss gelaufen. Eigentlich war es uns verboten, die Geheimgänge zu nutzen, weil es „zu gefährlich" war und die Schule für sowas nicht haften konnte, blablabla. Aber wenn ich jetzt dort durch den Gang hinter dem Teppich huschen würde, wäre ich direkt bei den Treppen. Erwischt werden, hieß mindestens fünfmal nachsitzen. Die Erfahrung durfte ich schon mal in der dritten Klasse machen und es war keine schöne. Wenn man zweimal erwischt wurde, wurden die Strafen härter, erzählte man sich. Deshalb hatte ich die Gänge seit besagtem Vorfall in der der dritten Klasse größtenteils gemieden. Doch nun, war es ja so etwas wie ein Notfall. Ich sah mich um, nur ganz hinten saßen zwei knutschende Schüler auf einer Fensterbank. Ich schob den Teppich beiseite und kletterte in den Gang. Es war unglaublich dunkel und kalt, meine Hand fasste in einen Spinnenweben. „Lumos", flüsterte ich. Mit dem Zauberstab hinterm Ohr kroch ich weiter durch den Gang, sehr langsam und vorsichtig, um möglichst leise zu sein und um den zahlreichen Spinnenweben ausweichen zu können. Ich hörte ein Husten und mein Herz blieb beinahe stehen. So schnell ich konnte griff ich nach meinem Zauberstab und schwang ihn hektisch. „Nox... Nox!" Das Licht erlosch und ich kauerte mich zusammen. Den Stab in meiner Hand fest umklammert lauschte ich auf weitere Geräusche. Erst jetzt fiel mir auf, wie laut mein Atmen war. Ich versuchte es leiser und langsamer zu machen, doch es klappte nicht. Als ich kein Husten und auch nichts anderes mehr hörte, entschloss ich mich weiter zu krabbeln. Mein Herz pochte immer noch wild und aus Angst entdeckt zu werden, ließ ich das Licht aus. Ich hatte ja gesehen, dass es nur ein gerader Gang war und ich ja eigentlich nichts falsch machen konnte. Meine Hände und Knie waren mit Spinnenweben bedeckt, als ich erneut etwas hörte, dieses Mal sehr viel näher als davor. „Wer bist du?", fragte eine heisere Stimme. Ich erschrak mich so sehr, dass ich mit dem Kopf gegen die Decke des Ganges knallte. Zischend und fluchend rieb ich mir die Stelle, während ich ein weiteres Mal „Lumos" flüsterte. Die Gestalt, die nur einige Meter von mir entfernt saß, hielt sich aufgrund des Lichtes die Hände vors Gesicht. Ich musterte die Gestalt. Es war wohl eine Schülerin. Aber wieso saß sie hier in dem Gang? „Poppy?", fragte ich unsicher. Es schien mir nach einer logischen Erklärung, dass sie hier sitzen würde. Welche andere Schülerin hätte gerade einen Grund dazu? Als sie ihre Hände runter nahm, sah ich, dass ich Recht gehabt hatte. Sie sah mich direkt an, ihre schwarzen Haare lockten sich um ihr Gesicht wie ein Bilderrahmen und ihre blauen Augen sahen intensiver aus als letztes Mal, sie wirkte verheult. „Lucy, oder?", fragte sie. Ich nickte und setzte mich auf meinen Hintern. „Du hast die Zeitung auch gelesen, hab ich Recht?" Ich nickte erneut. „Ja, das hat jeder." Ich schlug mich innerlich. Das war unbedacht und unsensibel von mir. „Glaubst du es?", erkundigte Poppy sich. „Nein... Ich glaube nicht, dass du es getan hast", antwortete ich ehrlich. „Was lässt dich das denken?", Poppy lachte, „Du kennst mich nicht mal. In Wahrheit könnte ich nicht nur eine Vergewaltigerin, sondern auch eine Mörderin sein, die dich jeden Moment absticht." Sie ließ sich nach unten rutschen und schob ihre Beine dabei höher an die Wand, während sie sich mit den Händen über ihr Gesicht fuhr. „Also erzählt jemand Lügen über dich?", hakte ich nach. Sie antwortete nicht, die Hände immer noch vor ihren Augen. „Wieso klärst du das dann nicht einfach auf?" Sie sah wieder zu mir, die Augenbrauen zusammen gezogen. „Wie stellst du dir das vor, Lucy?" Sie spuckte meinen Namen aus, als wäre es etwas sehr widerliches. Irgendetwas brach in mir und ich fühlte mich miserabel. Vielleicht hatte sie ja etwas gegen Slytherins. Ich hatte die ganze du siehst gar nicht aus wie eine-Geschichte immer noch nicht vergessen. Obwohl sie sich danach ja entschuldigt hatte. „Soll ich einfach meine Stimme lauter zaubern, in die große Halle stürmen und schreien, dass die Anschuldigungen falsch sind?" Ich seufzte leicht. „Es wäre ein Anfang", stellte ich ruhig fest. Sie sank noch tiefer, ihre Beine waren beinahe an der Decke und sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Sorry, dass ich so überreagiert hab, aber das ist alles so... verworren." „Willst du mir davon erzählen?", fragte ich. Sie sah auf. „Wie?" „Von dieser ganzen Geschichte. Du scheinst ja mehr darüber zu wissen, was da passiert ist." Sie nickte, aber nur leicht, um den Halt nicht zu verlieren. "Ich... Archie steckt dahinter. Er will mich eh schon die ganze Zeit aus dem Boot haben und mit so einem Skandal bekommt er das natürlich hin." Ich schüttelte den Kopf. "Das können wir nicht zulassen", entschied ich. Poppy sah auf. "Wir?" Mein Gesicht wurde warm, als ich bemerkte, was ich gesagt hatte. Aber ich meinte es ja so. "Glaubst du, ich lass dich alleine? Ich helf' dir das ganze wieder in Ordnung zu bringen!" Sie starrte mich an und ich wollte schon etwas sagen, um die peinliche Stille zu überbrücken, da murmelte sie ganz leise: "Danke, Lucy." Dieses Mal klang mein Name nicht wie etwas Ausgespucktes.
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Schimmern deines Nebels
FanfictionScheidungskind und Hexe Lucy Haynes kehrt für ihr fünftes Schuljahr zurück nach Hogwarts. Dort warten ihre Freunde, ihre Familie und eine schwierige Phase ihres Lebens auf sie. Nach einem großen Skandal versucht das junge Mädchen die Wahrheit aufzud...