10| injured.

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[verletzt.]

Jayden schob mich auf eines der Sofas und drückte dann einen Knopf in der Sofalehne. Er hob mein Handgelenk an, zog mir meinen Haargummi ab und hielt ihn mir vors Gesicht. Auffordernd schaute er mich an.

Ich nahm den Haargummi entgegen und flechtet mir einen lockeren Zopf. »Besser?«

Eine junge Frau in meinem Alter betrat das Wohnzimmer und schaute mich schockiert an. »S-Sir?«, stotterte sie, ihr Blick haftete auf dem Boden.

»Ich brauche Verbandszeugs und ein Glas Wasser.«

Die junge Frau verschwand eilig und erschien einige Minuten später wieder mit einem Glas Wasser und einem kleinen Verbandskasten. Sie stellte beide Sachen auf den niedrigen Tisch vor dem Sofa. Mit aufgerissen Augen starrte sie mich unverhohlen an. Danke, ich wusste, dass ich beschissen aussah.

Jayden öffnete den Verbandskasten und fing vorsichtig an mein Gesicht zu verarzten. Er tupfte mir das Blut aus dem Gesicht und klebte ein Pflaster auf die kleine Platzwunde an meiner Unterlippe.

»Carolin, haben Sie keine anderen Verpflichtungen?«, fragte Jayden, ohne sie dabei anzuschauen.

»Verzeiht mir.« Carolin verließ eilig das Wohnzimmer jedoch nicht, ohne mir über die Schulter noch einen letzten Blick zu zu werfen.

Als Jayden mit meinem Gesicht fertig war, drückte er mir das kalte Glas Wasser in die Hand. »Trink.«

»Wie schätzt du deinen Hals ein?« Er setzte sich neben mich und betrachtete aus der Nähe intensiv meinen Hals.

»Es geht.«, murmelte ich. Ich hatte schon schlimmeres überlebt, dachte ich und spürte ein leichtes Kribbeln an meinem linken Rippenbogen.

»Ich muss dir was sagen. Es gibt Dinge, die du nicht weiß.« Ich stand ruckartig auf und setzte mich auf das Sofa gegenüber von ihm.

»Und deshalb musst du dich von mir wegsetzen?«

»Deine Pistole sitzt gut im Hosenbund?« Ich überging seine Frage und fragte das Offensichtlichste für meine Augen.

Meine Frage machte ihn sogleich nervös. Er hatte damit definitiv nicht gerechnet und versuchte die Nervosität, zu verstecken, jedoch konnte er meine geschulten Augen nicht trügen. Jeden Menschen, dem ich begegnete, den ich auf der Straße sah, der mir suspekt vorkam, analysierte ich. Ob ich es wollte oder nicht. Es passierte von alleine.

»Die Pistole sitzt hervorragend. Wie konntest du es merken?« Er kratzte sich kurz an seinem frisch rasierten Kinn, ehe er sich zurücklehnte und seine Arme zu beiden Seiten auf die Sofalehne ablehnte.

»Wie sagt man so schön: Übung macht den Meister!«, entgegnete ich gelassen. »Allerdings könnte ich auch vermuten, das du vorhin im Gang den Schuss abgeschossen hast und da du mich gerade freihändig verarztet hast, die Waffe in deinem Hosenbund gesteckt hast.« Ich ließ weg, dass ich wusste, mit welchem Kaliber er geschossen hatte.

Jayden löste seinen durchdringenden Blick für einige Sekunden von mir und spannte seinen Kiefer an.

»Wieso sind Sie so angespannt, Mister Bourne?«, wollte ich wissen und grinste provokant in seine Richtung.

Ich war mir seiner Handlung sehr bewusst und sicher, dass ich im Falle einer Eskalation die Überhand hatte.

»Erstens: Ich hasse Überraschungen, wie die Pest und zweitens: bin ich einfach nur gespannt, was du mir erzählen möchtest.« Trotz der Entfernung sah ich, wie seine Augen im Licht der untergehenden Sonne aufblitzen.

»Sprich! Gleich reißt mir der Geduldsfaden!«, knurrte Jayden und legte einen 180 Grad Stimmungsschwankung hin.

Kurz und schmerzlos, wie wenn du ein Pflaster von der Haut reißt, schlug Satan vor und rieb sich freudig die Hände.

Ich kann mir das nicht ansehen!, quiekte mein Engel und schlug sich die Hände vor Gesicht.

»Ich bin nicht die, die du denkst, dass ich sie bin.« Langsam und deutlich verließen die Worte meinen Mund.

Mein Gegenüber analysierte mich, versuchte etwas Brauchbares aus meinem Verhalten zu lesen. Spoiler: Er würde nichts finden.

»Ich weiß jedes Detail über dich. Ich hab deine Akte gelesen und einen meiner Männer auf dich angesetzt. Ich weiß über deinen Tagesablauf Bescheid. Ich weiß, was du isst. Ich weiß, wovor du Angst hast. Ich weiß alles!«, erwiderte Jayden selbstgefällig und dachte, er hätte in unserem Gespräch die Oberhand – immer noch.

»Darauf spiele ich an. Du kennst eine gefälschte Akte von mir. Du kennst meine Ängste nicht. Ich liebe es, das Wasser um mich herum zu spüren, während ich meine Bahnen ziehe. Ich hasse Fischgerichte und von Meeresfrüchten will ich gar nicht anfangen. Kurz gesagt: Du hast dir Details über mich eingeprägt, die nicht stimmen.«

Sein Gesicht fiel langsam ins sich zusammen und er ballte seine Hände zu Fäusten. »Eine gefälschte Akte?«

Er fängt an zu verstehen! Er ist doch nicht so hoffnungslos, murrte mein Dämon und seufzte tief.

Ich nickte.

»Willst du mich verarschen?«, zischte Jayden und fuhr sich erneut durch seine Haare. Diese Geste hatte er in den letzten Minuten mehrmals wiederholt.

»Nein! Gott, deshalb rede ich doch gerade mit dir darüber!«, fauchte ich ihn genervt an.

»Dann sprich!«, forderte er mich auf und Ärger blitzte in seinen grünen Augen auf.

»Die Wahrheit ist, dass-«, setzte ich an, ehe ich jäh unterbrochen wurde.

»Welche verdammte Wahrheit?!«, rief Jayden und sprang von dem Sofa.

»Das will ich dir doch gerade erklären!«, blökte ich und stand ebenfalls auf.

Langsam umrundete ich den kleinen Tisch und stellte mich ruhig vor Jayden. Vorsichtig legte ich meine Hände auf bebenden Schultern und drückte ihn bestimmenden zurück aufs Sofa.

Als er vor mir saß, schaute er mich von unten herauf, auffordern an und nickte.

»Dann lass uns anfangen.«

Sie und ErWo Geschichten leben. Entdecke jetzt