Kapitel 53

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Die aufgehende Sonne weckte Vera. Schläfrig rekelte sie sich und hielt abrupt inne.


Ich hab Klamotten an, dachte sie und sah an sich hinab. Aaron musste sie angezogen und danach in ihr Bett gelegt haben.


Schläfrig stand sie auf und machte sich fertig.


Fröhlich pfeifend hüpfte sie die Treppe hinunter. Die Erlebnisse der gestrigen Nacht kamen ihr wieder in den Sinn und ließen sie glücklich lächeln.


''Guten morgen, Alle zusammen'' trällerte sie fröhlich, doch als sie Kevins verachtende Miene sah, wich ihre Fröhlichkeit. Ohne sie zu begrüßen ging er an ihr vorbei. Verwirrt sah sie ihm nach. Was ist denn dem über die Leber gelaufen?


''Guten morgen'' trällerte Luise zurück. ''Na, du siehst aber glücklich aus'' bemerkte Lea, die am Kühlschrank lehnte. ''Das bin ich auch'' grinste Vera und lief zum Tisch. ''Hast du gut geschlafen?'' fragte Luise. ''Oder mit jemanden?'' ergänzte Lea grinsend. Vera wurde feuerrot.


''Guten morgen, Mylady'' sagte Aaron und küsste sie auf die Wange. ''Wo kommst du denn her?'' fragte sie verwundert. ''Aus dem Wohnzimmer'' grinste er und ließ sich neben ihr nieder. ''Wie geht's dir?'' fragte er und strich ihr über den Oberschenkel. Sie konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. ''Gut'' lächelte sie und belegte ihr Brot. Unbewusst errichtete sie die Mauer um ihren Geist.


''Du hast geübt'' bemerkte Lea und holte eine Tasse heraus. Sie schenkte Vera Kaffee ein und reichte ihr die Tasse.


''Wo wart ihr?'' fragte Vera und biss in ihr Brot. ''Haben eine Spur verfolgt, aber das war reine Zeitverschwendung'' erzählte Luise.


Plötzlich spürte sie Kevins brennenden Blick und wenige Sekunden später ging er an ihr vorbei, öffnete den Kühlschrank und holte Milch heraus.


''Wir fangen gleich an'' sagte er tonlos und verschwand wieder.


''Weiß jemand, was mit ihm los ist?'' fragte Vera in die Runde. ''Das ist eine Sache zwischen euch, da misch ich mich nicht ein'' sagte Lea und verließe den Raum.


''Kommst du?'' rief Kevin an der Haustür. Vera seufzte, küsste Aaron zum Abschied und ging hinaus.


Vera stand auf einer Wolke und beobachtete Kevin, der sie wütend anstarrte. Er wirkte dunkler, seine Aura leuchtete nicht und seine Augen waren dunkel blau.


''Wie konntest du nur?'' fragte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen. Verwirrt runzelte sie die Stirn. ''Was meinst du?'' Kevin straffte seinen Rücken und verschränkte die Arme vor der Brust. ''Da fragst du noch?'' entgegnete er. Sein Blick wanderte zu ihrem Hals und plötzlich verstand Vera, was er meinte. Er war sauer, weil sie sich hat beißen lassen. Missbilligend schüttelte er den Kopf.


''Kevin, das geht dich nichts an'' sagte Vera kühl. In seinem Blick flammte Verletzlichkeit und Trauer auf und sie fühlte sich schuldig. ''Du hast Recht'' stimmte er zu und sah zur Seite.


''Lass uns anfangen'' sagte er. ''Du musst dir eine Schutzhülle vorstellen. Sie sollte deinen ganzen Körper einschließen'' sagte er. Für einen Moment, schien er der Alte zu sein, doch im Nächsten, war er vollkommen anders. Sie konnte keine einzige Emotion wahrnehmen. ''Siehst du, ungefähr so.''


Unruhig wippte sie hin und her, bis er seine Hülle wieder fallen ließ. Vera schloss die Augen und stellte sich eine Hülle vor. Die Hülle wackelte und zerbrach. ''Nicht aufgeben'' sagte Kevin geduldig und sie versuchte es noch einmal. Diesmal schaffte sie es und hielt die Hülle aufrecht, doch nach wenigen Sekunden brach auch diese Hülle zusammen.


''Du musst deine Emotionen hinter die Mauer legen und erst dann die Hülle errichten'' erklärte Kevin. Wieder versuchte sie es und diesmal schaffte sie es wirklich. Die Hülle war stabil. ''Gut so'' lobte Kevin. ''Du musst nur noch an ihrer Gestalt arbeiten, aber sonst machst du es sehr gut.''


Erschöpft ließ sie die Hülle fallen und atmete tief durch. ''Du kannst sie sehen?'' fragte Vera tonlos. Sie kam sich vor, als wäre sie gerannt. ''Ja, aber ich konnte dich nicht mehr spüren'' bestätigte er. Sofort zog sie die Hülle wieder hoch. Sie war froh, dass er keine Emotion erkennen konnte, denn in Wirklichkeit wäre sie am liebsten für immer verschwunden.


''Du kannst die Hülle sinken lassen'' sagte er und kam auf sie zu. Froh darüber, dass er nichts von ihr spüren konnte, blieb sie stehen und beobachtete ihn. Äußerlich musste sie gelassen aussehen, doch in ihr tobte ein Gefühlschaos.


''Ich kann dich zwar nicht richtig spüren, aber ich weiß, dass ich dich nervös mache'' grinste er und strich ihr über den Arm. Wie Recht er doch hat..


Wenn er wüsste, was sie vor hatte, würde er sie knebeln und fesseln. Doch ihr Beschluss stand fest, heute Abend würde sie gehen. Seit Tagen bereitete sie ihre Flucht vor. Gestern hatte sie einen Rucksack gepackt und Geld aus Aarons und Luises Portmonee genommen. Zusammen waren es über 600 Euro. Sie hatte keine Ahnung, ob es funktionieren würde, aber sie musste es versuchen. Für sie. Zum Schutz. Sie verdrängte ihre Pläne hinter der Mauer und ließ die Hülle fallen.


Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Doch sie konnte es nicht erwidern. Wie verabschiedet man sich, ohne das der Andere es merkt? Dies war das letzte Mal, dass sie Zeit mit ihm verbringen würde.


Sie schloss verzweifelt die Augen ''ich hab Angst'' flüsterte sie. Kevin zog sie in eine Umarmung und sie kuschelte sich an ihn. Eine letzte Umarmung...dachte sie traurig. Sie löste sich von ihm, stellte sich auf Zehenspitzen und legte ihm die Arme um den Hals. Überraschung huschte über sein Gesicht. Langsam zog sie ihn zu sich und küsste ihn.


Seine Lippen waren weicher und viel wärmer als Aarons, doch der Kuss entfachte kaum etwas in ihr. Das Feuerwerk fehlte. Behutsam erwiderte er den Kuss.


Bedacht löste sie sich von ihm und wich einen Schritt zurück. ''Bring mich bitte runter'' bat sie. Ohne ein weiteres Wort nahm er sie in den Arm und flog hinab.


Während des Fluges legte sie die Hülle wieder um sich.


''Du verhältst dich komisch'' bemerkte Luise. ''Ich bin nur müde. Die Übung hat mich echt geschlaucht'' log Vera. Verständnisvoll nickte Luise.


Aaron kam ins Wohnzimmer und ließ sich neben Vera fallen. Behutsam hob er sie auf seinen Schoß und sie lehnte sich an ihn.


''Hast du dir schon überlegt, wo unsere nächste Reise hingeht?'' fragte Aaron. Vera schüttelte den Kopf. ''Ich hab an Amerika gedacht, aber dafür bräuchten wir zu lange.'' Ihre eigene Lüge versetzte Vera einen Stich ins Herz und sie kämpfte mit den Tränen.


''Hey, ist alles ok?'' fragte er und hob ihr Gesicht an. Gequält lächelte sie ihm zu. ''Bin nur müde und etwas durcheinander'' sagte sie und küsste ihn leicht. Ihr müsst doch merken, dass ich gehen werde! schrie eine Stimme in ihr. ''Dann solltest du schlafen gehen'' schlug er vor und strich ihr zärtlich über den Rücken. Sie schloss die Augen und schmiegte sich an ihn. ''Ich liebe dich'' flüsterte sie. ''Und ich liebe dich'' antwortete er.


''Bist du mir böse, wenn ich schlafen gehe?'' fragte sie. Ihre innere Stimme schrie: Sag ja! Sag ja! ''Nein, geh ruhig'' lächelte er. Sie erhob sich, umarmte Luise fest und küsste Aaron ein letztes Mal.


Es war kurz nach 12 und die Engel schliefen. Behutsam legte sie mehrere Briefe auf ihr Bett. Einen für Aaron, einen für Luise, einen für Kevin und einen für Pia und Lea.


Leise öffnete sie das Fenster und schulterte ihren Rucksack. Unbeholfen stieg sie hinaus und kletterte die Schlingpflanzen hinunter. Den letzten Meter sprang sie hinab und landete hart auf ihren Knien. Sie hoffte, dass niemand ihren Sturz gehört hatte und rannte los.


Sie rannte zu Aaron Garage, nahm einen Schlüssel und stieg in einen Kleinwagen ein. Es würde nicht auffallen, wenn ein Wagen fehlte, schließlich hatte er genug.


Langsam rollte sie aus der Garage und fuhr los. Nervös sah sie in den Rückspiegel, doch niemand folgte ihr. Erleichtert atmete sie aus.


Vom Engel geküsst Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt