"Miss Vacinsky? Sie haben eine viertel Stunde um mit ihrem Bruder zu sprechen!"
"Äh ja. Danke."
Ich gehe zu dem Platz auf den der Herr von vorhin gezeigt hat und setze mich. Auf der anderen Seite der Glaswand geht eine schwere, doppelflüglige Eisentür auf. Und da kommt er. Ben. Mein Puls schnellt hoch. Er ist sehr dünn, fast dürr geworden. Seine Hände sind auf dem Rücken, er wird begleitet von einem Mann, der einen eher grimmigen Eindruck macht. Er ist über und über tätowiert und hat eine Glatze, ein sehr grobes Gesicht. Ben bleibt einen Moment stehen, während der Wächter hinter ihm die Tür wieder abschliesst. Dann kommen sie auf mich zu. Ich presse unter dem Tisch die Hände zusammen, um mich zumindest äusserlich zu beruhigen.
"Kaely", sagt Ben als sich der Mann in den Hintergrund zurück gezogen hat.
"Ben", sage ich ausdruckslos.
"Okay hör zu Kaely. Bitte."
Ich sehe ihn an und sage nichts.
"Ich bin hier wegen anscheinenden Drogenkonsums und -Handels. Aber das stimmt nicht. Eine lange Geschichte. Der Typ der mir das hier eingebrockt hat, ist Bandenboss."
Ich sehe ihn bei den Worten der Bezeugung seiner Unschuld zweifelnd an.
"Glaubst du mir nicht?", fragt er und in seinem Gesicht sehe ich eine verletzte Verwunderung. Doch er hat sich schnell wieder im Griff.
"Wie auch immer. Kaely, ich bitte dich einfach, mich hier raus zu holen. Du müsstest dich nur für mich aussprechen. Mein Anwalt, John MCCryser, haut mich dann endgültig raus."
Er sieht mir tief in die Augen. Seine Augen ziehen mich in ihren Bann. Lösen Wogen der Erinnerung aus. Berühren etwas tief in mir, nach dem ich mich so sehr sehne, es aber nicht erreichen kann. Ich schüttle leicht den Kopf. Seine Augen weiten sich. Er starrt mich ungläubig an. Da merke ich, was er gerade in meiner Geste gelesen haben muss und sage schnell:
"Nein so meinte ich das nicht. Ich weiss es nicht. Ich muss es mir überlegen."
Er atmet auf, scheint aber dennoch verletzt.
"Bitte überleg es dir schnell. Es ist nicht angenehm hier und ich habe mir nicht nur Freunde gemacht bis jetzt", sagt er und zieht für einen Moment sein Shirt vorne hoch. Ich erschrecke. Er ist deutlich abgemagert. Aber sein Sixpack existiert noch. Und einmal quer darüber zieht sich eine ziemlich tief aussehende, verkrustete Schramme. Sein ganzer Bauch ist mit blauen Flecken übersehen. Sie sind von blau, über grün, bis hin zu lila in allen Schattierungen vorhanden. Ich habe die Hand als ob ich ihn durch die Glasscheibe hindurch berühren wollte. Doch dann lasse ich sie sinken. Er sieht mich an.
"Und Kaely?"
Ich blicke ihm in die Augen.
"Es tut mir so Leid."
Ich nicke.
"Ja."
"Kaely ich weiss dass ich das niemals wieder werde gutmachen können."
Ich nicke. Auf einmal steigen mir Tränen in die Augen. Pochen heiss hinter meinen Lidern. Ich presse hervor:
"Ich überlege es mir", stehe auf, drehe mich um und gehe zum 'Empfangstresen'.
"Ich würde gerne wieder gehen."
"Komme gleich", erwidert der Typ von vorhin.
Ich drehe mich noch einmal um. Ben sitzt noch da. Er sieht zu Boden als ich ihn ansehe. Der Wächter tritt gerade an ihn heran und zerrt ihn zurück zu der Tür. Ben dreht sich, wie ich eben, nochmals um und sieht mich über alle hinweg an. Sein Blick ist voller Schmerz, voller Bewusstsein der Qualen, die ihn hinter der Tür erwarten werden und voller Bewusstsein der Qualen, die er mir bereitet hat.