»Alejandra y Ethan«

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Ich spüre wie der Bass durch meinen Körper wummert. Es ist voll – überall Menschen, die sich zur Musik bewegen, sich hingeben, versuchen etwas Platz in diesem Gewusel zu finden. Gelangweilt sehe ich mich um, wie immer dasselbe Bild. Aufgebrezelte Mädels in hohen Hacken und so tiefen Ausschnitten, das es noch nicht schlampig ist, ihre Mütter aber schon in Ohnmacht fallen lassen würde wüssten sie wie ihre Töchter herumliefen. Ich lasse meinen Blick durch die Menge streifen, den Tresen der Bar im Rücken, meine Arme lässig aufgestützt. Meine Freunde neben mir überlegen fieberhaft welche der besagten Damen heute Nacht das Vergnügen hat. Mir kommt der leise Gedanke, dass ein Tanzclub doch vielleicht auch eher dazu genutzt werden sollte, anstelle anderer Dinge. Aber was wusste ich schon? Etwas in der Menge verfängt sich in meinem Blick und ich muss ein paar Mal blinzeln um zu verstehen was ich da sehe. Es ist ein Mädchen, aber sie wirkt so anders als der Rest der aufgebrezelten Weiber hier. Ihre ganze Präsens zieht mich vollkommen an, ich merke gar nicht wie meine Beine sich in Bewegung setzen, geschweige denn das ich meine Freunde verwirrt zurücklasse. Sie ist faszinierend. Die Beine in lockeren Hosen, die zu den Knöcheln und dem Bund an ihrer Hüfte hin enger werden, in einem schlichten hellblau. Flache Schuhe, ein weißes T-shirt, das einen herrlichen Kontrast zu ihren dunklen Haaren bildet, die sie sich im Nacken hochgesteckt hat. Sie tanzt alleine, gibt sich vollkommen dem Rhythmus hin, man spürt wie sie die Musik fühlt, lebt. Wie jeden Donnerstag Abend um diese Uhrzeit, wechselt die übliche Clubmusik zu spanischen Latinorhythmen und ich beobachte gespannt wie sie darauf reagiert. Ihr ganzer Körper scheint für diese Musik wie geschaffen, sie bewegt sich grazil und kraftvoll zugleich. Ihre Hüften wiegen sich im Takt, ihre Bewegungen sind natürlich und fließend. Ich kann nicht anders, ich muss näher zu ihr. In einem günstigen Augenblick, sie hebt gerade die Arme zu einer Drehung, ergreife ich ihre Hände und tanze nun zu zweit mit ihr. Überrascht blickt sie mich aus ihren dunklen Augen an, mustert mich als versuche sie die Situation einzuschätzen nur um sich mit mir dann weiterzubewegen. Ich vergesse alles um mich herum und doch spüre ich alles so intensiv wie noch nie zuvor. Ich spüre förmlich wie viel Aufmerksamkeit wir auf uns ziehen, wir bewegen uns wie eins – wie eine eingestimmte Maschine, wie ein perfekt gestimmtes Instrument. Ich drehe sie, passe mich dem Rhythmus ihrer Hüften an. Als ob wir es schon immer zusammen tanzen würden, fügen sich unsere Bewegungen ineinander, passen sich an, sind eins. Sinnlich. Heiß. Ich spüre den brennenden Blick der Mädchen im Club und muss innerlich grinsen, als mir der Gedanke kommt wie sehr sie meine Tanzpartnerin in diesem Moment wohl hassen. Ich wundere mich über mich selbst, das meine Bewegungen so natürlich und leicht kommen, dabei bin ich doch nicht mehr als ein Hobbytänzer. Mit einer Vorliebe für spanische Musik, das muss ich zugeben. Es scheint fast, als tanzen wir die ganze Nacht und mich wundert es, das nicht irgendwann ihr Schuh verloren geht wie in Cinderella. Die letzten Takte des Songs verklingen und die übliche Partymusik setzt wieder ein. Wir haben lange getanzt. Sehr lange. Schweißgebadet stehen wir uns gegenüber und schauen uns an. Verlegen greife ich mir an den Hinterkopf und stelle mich vor: "Du tanzt wirklich wunderbar, es war mir eine Freude dein Partner sein zu dürfen. Ich bin übrigens Ethan" "Die Freude ist ganz meinerseits, Ethan" Ihre Stimme ist samtig und rau zugleich und die Art wie sie meinen Namen ausspricht jagt mir einen kleinen Schauer über den Rücken. Wenn meine Freunde wüssten, das ich mich gerade wie ein vorpubertierendes Teenagermädchen fühle würden sie mich für verrückt erklären, sonst bin ich für alle doch immer nur der schweigsame Ethan.
"Mein Name ist..", doch in diesem Moment wird sie an der Hand gepackt und weggezogen. Ich höre nur noch, wie das Mädchen das sie mit sich schleppt sagt: "Da bist du ja, endlich habe ich dich gefunden. Wir müssen uns beeilen!" Ich sehe wie mich das Mädchen mit den hübschen Augen und dunklen Haaren entschuldigend ansieht bevor sie endgültig verschwindet. Nur mit der Erinnerung an unseren Tanz, ohne überhaupt ihren Namen zu kennen bleibe ich verwirrt zurück.


Fachmännisch sortiere ich die neuen Kochbücher, manche würden dies nach einem bestimmten System tun ich mache es nach Gefühl und doch ist eine bestimmte Anordnung zu erkennen – Bücher die gut zu einander passen würden kommen zusammen, Desserts kommen zusammen und dann gibt es eine ganze Reihe eines 7-Gänge-Menüs mit Gerichten aus aller Welt. Ich merke gar nicht wie sehr ich in meine Arbeit versunken bin, bis Lyn mich aus meiner Tagträumerei holt. "Hallo, Erde an Alejandra!", sie schüttelt lachend den Kopf als ich sie verwirrt ansehe, "Wir haben Kundschaft!" Sie deutet hinter sich auf einen nett lächelnden Mann der mir ein freundliches Hallo gebärdet. Ich drücke Caitlyn die restlichen Bücher in die Hand: "Ok ich glaube das übernimmst du und ich kümmere mich mal um ihn" Ich gebärde dem Mann freundlich das ich gleich da bin, drehe mich im Laufen jedoch noch einmal um und rufe meiner besten Freundin zu: "Mach mir ja nicht mein System kaputt!" Lachend wende ich mich dem Kunden zu und merke gar nicht wie sehr die Zeit verfliegt.
Gut zwei Stunden später stehe ich hinter der Kasse und hänge meinen Gedanken nach. "Na Jandra, mal wieder am Träumen?" Ich blicke auf und sehe in Caitlyns Gesicht. Sie schüttelt amüsiert den Kopf: "Du bist schon den ganzen Tag zwar körperlich hier, aber du bist hier", sie tippt mir gegen die Stirn, "nicht hier" "Ist doch gar nicht wahr", empöre ich mich, "Ich.." "Du hast als du die Kochbücher eingeräumt hast vor dich hingetanzt" "Und ich habe sie wirklich wunderbar sortiert nicht wahr?" "Alejandra Baker Ramos, versuche ja nicht vom Thema abzulenken!" tadelt sie mich gespielt böse und verschränkt die Arme. "Also, was ist mit dir? Liegt es daran das wir tanzen waren? Wer war überhaupt der Typ von dem ich dich regelrecht losgezerrt habe?" Ich verziehe den Mund – sie kennt mich einfach zu gut. Was auch nicht verwunderlich ist, schließlich ist sie seit 12 Jahren meine beste Freundin. "Ich weiß nicht", antworte ich ihr wahrheitsgemäß, grinse sie an und schüttele den Kopf, "Ich bin einfach gut drauf". Sie zieht die Augenbraue hoch und mustert mich über ihren dunklen Brillenrand hinweg nur um dann mit den Augen zu rollen und sich auf dem Tresen der Kasse abzustützen. "Alejandra du bist mir immer wieder ein Rätsel" und man hört wie sie sich das Lachen regelrecht verkneifen muss. Verstohlen blicke ich auf die Uhr – 17:00 - und schnappe mir dann meinen Geldbeutel und mein Handy aus unserer Schublade für die Privatsachen. "Meine Schicht ist rum Chefin, ich bin dann mal weg", grinsend umarme ich sie und verlasse den Laden. Kaum habe ich einen Fuß nach draußen gesetzt werde ich auch schon fast wieder hineingeschoben da ich in jemanden hineinlaufe. "Uff, sorry" sage ich lächelnd, nicke dem Jungen mit den schönen grünen Augen vor mir freundlich zu und rufe noch einmal "Bye Caitlyn", bevor ich mich auf den Weg zum Bus mache.



Alejandra y Ethan.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt