Irgendwann mussten wir alle wohl eingeschlafen sein, denn wir wachten alle auf der Treppe vor dem Hauptbahnhof auf. Mein Rücken schmerzte von der Steintreppe, aber den anderen schien es genau so zu gehen. "Leute, alles okay bei euch?", fragte ich verkatert. Mein Kopf fühlte sich an, als würden die Elefanten aus dem Zoo darauf Lets Dance spielen.
"Ja klar", strahlten die drei, "Awww du hast n Kater was?" Ich schien der einzige zu sein, welcher von Kopfschmerzen geplagt wurde. Machten sie das etwa öfter?Wir standen auf und machten uns, nach einer morgendlichen Zigarette, auch gleich aus dem Staub, damit keiner von den Cops auf die Idee kam uns zum Aufräumen zu zwingen. Wir schlenderten also zur Rolltreppe und begaben uns in den Untergrund. Ganz anders als so manch normale Leute eilten wir direkt zur Ubahn, um zur Wö zu fahren. Was sie dort wollten hatten sie mir bis jetzt verschwiegen, doch ich würde es laut Joni bald rausfinden.
"Wöhrder Wiese", sagte die Stimme der U2. Wir verliessen die Ubahn und fuhren mit den Rolltreppen hoch zur Brücke. "Naa, Sevi wie wärs mit Gt heute?", fragte Elisa.
"Klar, warum nicht? Wird bestimmt toll!"
Ein Gt ist so etwas wie ein Treffen der verschiedenen Szenen, aber eigentlich kann jeder an dieser Veranstaltung erscheinen. Ein Gt, was eigentlich GruppenTreffen heisst, findet ein Mal im Monat an einem Samstag statt. Die Veranstalter geben einen Treffpunkt bekannt, wo das Gt stattfinden sollte. Mehrere Gruppen von verschiedenen Szenen treffen sich dann immer so etwa gegen Mittag an der Ost oder an der Wö, und gehen alle zusammen zum Ort des Geschehens. Dort kann kommen und gehen wer will. Viele reisen sogar extra aus München und anderen Städten an, nur um bei dieser Veranstaltung dabei zu sein.Gemeinsam werden dann Trinkspiele gespielt, meist Flunkyball, in Grüppchen zusammengesessen und geredet, laut Musik gehört, getanzt, gesungen und getrunken. Natürlich hat das Gt auch seine Schattenseiten. Gerüchte verbreiten sich sehr schnell, oft verändert es sich dann durch das Mehrmalige erzählen so, dass es kaum mehr der Wahrheit entspricht. Viele trinken auch zu viel, so dass oftmals das Bayrische Rote Kreuz mehr als ein Mal anrücken muss. Manche nutzen das Gt auch um mit Drogen zu dealen, oder diese zu konsumieren. Minderjährige haben keine Probleme an Alkohol und Drogen zu kommen, und wenn man Vodka mit Apfelsaft mischt merken sie vielleicht gar nicht, dass dort Alk drinn ist. Aber trotz allem ist es, solange man aufpasst, ein tolles Erlebnis.
Wir liefen zu viert an die Wiese, wo sich schon eine beachtliche Summe an Gtgängern versammelt hatte. Manche waren jetzt schon hacke, manche waren dabei es zu werden. Es wurde gelacht, gerufen und getrunken.
"Hey Leute! Ich dachte schon ihr kommt nicht mehr. Bald gehen wir los!" Ein ziemlich junges Mädchen kam sofort auf uns zugerannt. Wie es sich herausstellte hiess sie Jessi, war fünfzehn Jahre alt und lebte wie ich auf der Strasse. "Ich kann dich ja mit auf Platte nehmen. Die andern haben bestimmt nichts dagegen, wenn du auch deinen Teil beisteuerst", meinte sie.Laut ihren Erzählungen war die Platte eine Ebene unter einer Brücke, in der Nähe der Ubahnstation "Gostenhof", also in der Nähe meiner alten Heimat. Ich beschloss, es mir einmal anzusehen. Es wäre bestimmt von Vorteil nicht allein in der Wildnis zu sein, denn auch wenn Nürnberg nicht gerade die grösste Stadt war, so hatte ich doch ein beachtlich grosses Schlafzimmer .
"Hey Ho Leute, es geht los...Chris ist mit seiner Gruppe schon losgezogen. Die erste UBahn ist schon gefahren." Langsam aber sicher setzte sich die Menge in Bewegung. Alle quatschten, lachten und hörten Musik. Die grosse Masse, unterteilt in viele kleine Grüppchen, aber doch bewegten sie sich alle in eine Richtung. Für jeden Außenstehenden musste es ein kaum alltägliches Bild sein. So viele total bunte fröhliche Leute auf einem Haufen. Wir mussten uns auf mehrere Ubahnen verteilen, weil es sonst einfach viel zu voll geworden wäre. In der dritten fanden wir dann auch endlich einen freien Stehplatz. "Viele sind auch direkt zur Maximilianstrasse gefahren, denk also nicht dass wir so wenige sind. Glaub mir, irgendwann beeindruckt diese Menge dich kaum mehr. Man gewöhnt sich erstaunlich schnell an uns alle, nicht wahr Leute?", meinte Elisa, die letzten Worte schreiend. Man musste uns durch die ganze Ubahn hören. Als einstimmige Antwort ertönte ein fröhliches "Hai!" war die Antwort. "Ja auf japanisch...", klärte Joni mich rasch auf, "einfach weil hier viele Otakus sind." Es fühlte sich wunderbar an, nach so langer Einsamkeit endlich irgendwo dazuzugehören. Ich strahlte über beide Ohren, einfach weil ich in diesem Moment wunschlos glücklich war.
Nachdem wir beim Hauptbahnhof umgestiegen waren und auf die U1 gewartet hatten, stiegen wir ein. Erneut gab es ein ziemliches Gedränge, aber wir mussten ja nicht lange fahren. Endlich stiegen wir aus. "Los Leute auf zum Gt!" Viele Stimmen riefen durcheinander.
Alle zusammen liefen wir die Maximilianstrasse entlang, über die Brücke und dann runter zur Pegnitz. Über uns die Brücke, von der man die Autos auch dreissig Meter weiter unten noch hören konnte, vor uns die reissende Flut des Flusses. Jede Seite der Brücke wurde von Pfeilern gestützt, auf dieser Flussseite drei Paare und auf der andern eines. Zwischen den Pfeilern konnte man sich setzen, Musik hören und miteinander reden.
Langsam aber sicher verteilte sich die Masse an Menschen und sammelte sich wieder zu Gruppen. Viele liefen zwischen den Pfeilern umher, nie sassen alle still. Es wurde getrunken, gelacht, geraucht und vieles mehr. Viele sahen sich nur an den Gts, sodass alle ziemlich viel zu erzählen hatten.
Lange beobachtete ich die Menge, bis mir plötzlich eine einzelne Person auffiel. Sie schien sich abseits zu halten, wenn nicht sogar in den Bäumen zu verstecken. Weisse Haare und eisblaue Augen, über deren Echtheit man wegen der Distanz kaum was aussagen konnte.
"Ehm, Elisa? Wer ist das?" Nachdem ich die fremde Person längere Zeit betrachtet hatte nahm es mich doch wunder, wer das denn war. "Na Misty, die Verrückte von der wir dir gestern erzählt haben. Aber jetzt komm, wir wollen Flunkyball spielen!"
Ich konnte mich beim besten Willen an kaum etwas erinnern. Nur zu gerne liess ich das nachdenken sein und schloss mich der grossen Gruppe an. Von Liam bekam ich ein Bier zugesteckt, mit welchem ich wohl mitspielen soll. Wir bildeten vier Teams, einfach weil wir so viele waren.Mein Kopf dröhnte. Es fiel mir immer schwerer zu laufen und ich konnte spüren wie der Alkohol mir zu Kopfe stieg. Ich taumelte zu einer freien Säule, setzte mich und schloss für einen Moment die Augen.
"Alles okay bei dir?"
Ich schreckte hoch. Zuerst konnte ich niemanden erblicken, doch dann sah ich im Augenwinkel eine Bewegung hinter der Säule, an welche ich mich lehnte.
"Wer bist du?"
Ich versuchte, hinter die Säule zu gucken. Doch egal wie sehr ich mich verrenkte, ich war zu klein um alles zu sehen.
"Mein Name ist Misty"
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Leben auf der Strasse?
Teen FictionWarum? -Das ist die Frage die Sevi sich Tag täglich stellt. Sein Stiefvater schlägt, seine Mutter ignoriert und seine Schwester hasst ihn. Wegen seinem ehemals besten Freund schmeisst man ihn auf die Strasse, er muss auf Parkbänken schlafen, alles w...