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Ich fühle mich, als wäre dieses ganze Wirrwarr doch nur ein böser Traum und in mir kämpfen widersprüchliche Gefühle. Meine Augen sehen nur SIE und senden dieses Signal voller Begeisterung an mein Gehirn.

Das lässt sich davon ebenfalls begeistern und freut sich, dass doch alles nur ein Traum ist, da SIE nicht real sein kann. Gleichzeitig beschleunigt sich mein Herzschlag vor lauter Aufregung.

In meinem Kopf werden verschiedene Stimmen laut: eine freut sich, SIE zu sehen. Eine andere schimpft, dass das alles nur eine Einbildung ist und noch eine stimmt ihr zu, dass ich aufwachen sollte. Ganz leise bemerkt eine weitere, dass es ja vielleicht dieses Mal kein Traum, sondern die Realität ist. Sie wird niedergeschrien, dass sie nicht so gemein sein solle. Wenn ich aufwachen würde, würde ich meine Familie wiedersehen und merken, dass es nur ein Albtraum gewesen sei.

Doch zwischen all den lauten Stimmen nehme ich die leise am besten war. Wie von selbst schaltet mein Gehirn alle anderen nacheinander ab, bis nur noch sie übrig ist.

Ich hatte bereits akzeptiert, dass die Schwärze wahr ist. Deshalb musste SIE es doch auch sein oder?

Thiemo lacht und stellt mir Yanik vor, den ich ja schon kenne. Dann deutet er auf das Mädchen und sagt, dass sie Lia heißt.

Verzückt verziehen sich meine Mundwinkel. Lia ist ein schöner Name. In meinen Träumen hatte ich ihn nie herausfinden können.

Ich betrachte das Mädchen noch einmal genauer. Eigentlich ist sie kein Mädchen mehr, sondern eine junge Frau. Lange blonde Haare umrahmen ihr Gesicht und auf dem Nasenrücken entdecke ich ein paar Sommersprossen. Soweit passt es.

Ihre Figur ist schlank und sie ist nicht größer als ich. Auf ihrem Gesicht erscheint ein Lächeln, das mir vollends den Rest gibt und alle Zweifel aus dem Weg räumt. Sie ist es. Sie kann es nur sein.

Zu gern würde ich sie berühren, die Konturen ihres Gesichtes mit meinen Finger nachfahren und ihre Haare streicheln, um mich zu versichern, dass sie echt ist. Stattdessen strecke ich jedoch nur zitternd meine Hand aus und stelle mich ihr vor.

Sie nimmt meine Hand in ihre und ich spüre ihre Haut an meiner. Mein Blick bleibt an unseren Händen kleben. Sie ist es.

Als sie meine Hand loslässt, würde ich sie am liebsten festhalten. "Erkennst du mich?", möchte ich sie fragen, doch ich lasse es bleiben. "Thiemo hat von dir erzählt. Geht's dir wieder besser?", fragt sie mich und lächelt immer noch genauso umwerfend, wie ich es von ihr kenne.

"Ja...a-a-alles gu-u-ut", stottere ich und fühle mich wie der letzte Volltrottel. "Entschuldige, du erinnerst mich nur an jemanden", ergänze ich und trete einen Schritt zurück, als würde es die Distanz besser machen. Doch das tut sie nicht.

Lia macht einen Vorschlag, den ich nicht genau verstehe. Auch die Zustimmung der anderen kriege ich erst mit, als ich fragend angeschaut werde. Rasch nicke ich und Lia geht uns voran. Yanik ist direkt neben ihr und Thiemo verlangsamt seinen Schritt, bis ich ihn eingeholt habe.

"Ist wirklich alles in Ordnung?", fragt er stirnrunzelnd und ich nicke. Was sollte ich ihm auch sagen? Dass ich seit acht Jahren immer wieder von diesem Mädchen träume? Dass ich sie in jedem Traum beschützen musste und jedes Mal aufgewacht bin, sobald ich meine Aufgabe erfüllt hatte? Dass ich nie wirklich eine Chance hatte, mit ihr zu reden? Nein, das konnte ich nicht.

Ich setze ein zwangsläufiges Lächeln auf und erkläre ihm, dass es bloß ein komisches Gefühl sei, weil sie mir bekannt vorkommt. Wie in einem Déjà-vu. Thiemo scheint zu verstehen und lässt das Thema fallen.

Wie sich herausstellt, hatte Lia ein Kartenspiel vorgeschlagen, das ich häufig bei meinem Großvater gespielt hatte. Wir spielen eine ganze Weile "Phase10" und probieren dabei alle möglichen Variationen aus.

Die Zeit vergeht und ich merke es kaum. Ein älteres Ehepaar gesellt sich zu uns und wir erklären ihnen das Spiel. Wenig später jammert Lia, dass wir das besser nicht gemacht hätten, denn die ältere Frau zieht uns ganz schön ab.

Nach der Runde mischt Yanik die Karten neu und verteilt sie. Dabei beobachte ich, wie seine Hände flink die Karten ineinander mischen und anschließend blitzschnell auf dem Tisch in gleichgroße Stapel verteilen.

Das Ehepaar hält sich an den Händen und wirft sich immer wieder ein Lächeln zu. Ich kann mir gut vorstellen, wie erleichtert sie sein müssen, dass sie beide noch da sind.

Thiemo ist aufgestanden und holt etwas zu trinken, während Lia Yanik ärgert und behauptet, dass er schummeln würde. "Du mischt dir heimlich die ganzen guten Karten in deinen Stapel."

"Erstens gibt es in diesem Spiel kaum gute Karten, sondern die Kombination ist wichtig. Und zweitens, versuchst du nur abzulenken, um in die Karten zu läuern", kontert Yanik.

"Das stimmt gar nicht!", entgegnet Lia empört, muss allerdings dabei lachen. Es bringt mich zum Schmunzeln, wie die beiden sich gegenseitig aufziehen, auch wenn meine Augen die ganze Zeit nur auf Lia kleben. Gleichzeitig macht mich die lockere Art, die zwischen ihnen herrscht, ein wenig eifersüchtig.

Sie kennen sich scheinbar schon länger und ich könnte mir sie gut als Paar vorstellen. Obwohl Thiemo sich immer wieder um mich kümmert und in Gespräche mit einbezieht, habe ich doch das Gefühl, nur das fünfte Rad am Wagen zu sein.

Bevor sich die Enttäuschung in mir breit machen und mich runterziehen kann, lenke ich meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes und überlege, weshalb Thiemo so lange braucht. Die Karten sind verteilt und wir warten nur auf ihn.

Plötzlich biegt er mit Schwung um die Ecke. Auf seinem linken Arm balanciert er ein Tablett. Sechs Gläser mit einem rötlichen Inhalt stehen darauf und er stellt jedem von uns eines hin.

"Bitte sehr, einmal der Sommercocktail Thiemo Spezial. Ich hoffe, das geht für Sie in Ordnung?" Die Frage gilt dem älteren Ehepaar, doch sie nicken und bedanken sich. "Hast du deswegen so lange gebraucht?", frage ich ihn und er nickt.

"Eigentlich wollte ich nur drei Flaschen Wasser mit Gläsern holen, aber es war niemand zu finden und ich hab die Bar gefunden...da konnte ich nicht wiederstehen!"

Seine Augen leuchten begeistert und er grinst bis über beide Ohren. "Dann hoffen wir mal, dass das auch schmeckt", necke ich ihn.

Der ältere Mann spricht einen Toast aus und wir stoßen mit unseren Gläsern an. Die rötliche Flüssigkeit riecht ein wenig nach Erdbeeren und die Eiswürfel klirren gegen das Glas. Vorsichtig probiere ich einen Schluck.

Auch der Geschmack scheint etwas erdbeerig, mit einer leichten Süße. Außerdem kann ich einen anderen fruchtigen Geschmack entdecken, von dem ich jedoch nicht genau weiß, was es sein soll.

"Was hast du da rein getan?", frage ich neugierig, doch Thiemo antwortet nur: "Alles was du schmeckst und riechst, sowie Alkohol. Wodka um genau zu sein."

Enttäuscht über diese kurze und wenig hilfreiche Antwort schau ich ihn mit meinem Schmollblick an, doch er erklärt, dass dieser Cocktail sein Geheimnis sei. Seufzend lasse ich es gut sein und nehme noch einen Schluck.

Die anderen loben seinen Cocktail und während wir spielen, bekommen wir zweimal Nachschub. Ich merke, wie der Alkohol seine Wirkung tut und wir ausgelassener lachen und lauter reden.

Beim Abendessen haue ich ordentlich rein und finde mich schließlich mit dem Rest der Passagiere auf dem zweitobersten Deck ein, das eine große Freifläche zu bieten hat.

Lichterketten gehen an und Musik wird aufgedreht. Mir ist immer noch ziemlich schummrig. Die ganze Zeit in der Sonne sitzen, nur Cocktails trinken und vorher nichts gegessen haben, scheint mir rückblickend betrachtet keine ganz so gute Idee mehr gewesen zu sein.

Allerdings bemerke ich, dass es den anderen nicht besser geht. Das Ehepaar schwankt, während sie tanzen und die Frau kichert unaufhörlich. Lia und Yanik kuscheln in einem Liegestuhl miteinander.

"Hi", sagt jemand neben mir. Ich drehe mich um und schaue in zwei braune Augen.

Als ich im Jahr 2974 erwachteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt