13.

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Eine frische, kalte Brise strich um meine Nase und ich sog die Luft ein. Inhalierte das Lebenselexier.

Am liebsten würde ich die Arme ausstrecken und in den grauen Himmel emporfliegen und von dort aus das stetige Treiben der Stadt beobachten, wie die Nacht langsam ihre dunklen Schwingen darüber ziehen würde, wie das grelle Neonlicht der Anzeigen und die Scheinwerfer der Autos die einzigen Lichtquellen sein würden, und doch ausreichten, um die Straßen zu erhellen.

Doch es war gerade erst Mittag. 13:14 Uhr, um genau zu sein. Sollte ich schon jetzt mit der Suche nach Dave beginnen? Oder sollte ich ihn einfach anrufen und ihn nach einem spontanen Treffen fragen? Ich kramte mein Handy aus der Handtasche, rief seinen Kontakt auf und starrte die Zahlen an, die ich schon jetzt im Schlaf hätte aufsagen können. Irre, wie wichtig sie mir in dieser kurzen Zeit geworden waren. Wie enorm wichtig, er mir war. Sonst war ich immer diejenige, die sich die eigene Nummer hatte aufschreiben müssen, damit sie sich sie merken konnte. Noch eine Weile starrte ich auf das Display.

Doch es schien nicht der richtige Moment zu sein, mein Enthusiasmus war verschwunden. Würde es den richtigen Zeitpunkt jemals geben? Ich philosophierte darüber, ob nicht jeder Moment der Richtige werden konnte, wenn man ihn dazu wendete? Resigniert ließ ich mein Mobiltelefon zurück in die Tasche plumpsen. Später villeicht.

Ich setzte mich allmählich in Bewegung, träger als zuvor. Letztlich fuhr ich zurück ins Hotel und begann dort meine Wohnungssuche nach einem kleinen, gemütlichen Apartment , die sich als schwieriger als gedacht herausstellte. In meinem jetzigen Zustand konnte ich mir die Mieten beim besten Willen nicht leisten, so ganz ohne Job. Und meine Reserven wollte ich mir für den Notfall aufsparen. Aber das Hotel war auf die Dauer auch zu teuer. Ich kam ins Grübeln. So wie es aussah, musste ich einen neuen Job suchen, vielleicht sogar einen auf 450 Euro Basis, einen Nebenjob. Und das hieße, tausende Bewerbungen abzusenden und zu hoffen, dass ich direkt nach dem Ausstieg aus der Firma woanders fest angestellt arbeiten konnte.

Ich ließ mich rücklings auf mein Bett fallen und zog den Laptop auf meinen Bauch. Ohne ein Ziel öffnete ich die alte Worddatei meines Buches und löschte diese. Mit meinem alten Schreibstil konnte ich mich nicht mehr identifizieren. Stattdessen nahm ich mir die Notizen von vor ein paar Tagen, die ich beim Gespräch mit Dave gemacht hatte. Und da kam mir die perfekte Idee. Ich setzte mich aufrecht und schon bald klapperten die Tasten in einem fleißigen, gleichmäßigen Rhythmus. Es war als würde ich mir alles von der Seele ausschreiben.

Erst am Abend legte ich den Laptop beiseite und fuhr nochmal in die Stadt, um dort das Wichtigste zu besorgen. Danach setzte ich mich in ein Cafe' und genoss die quasselnden Menschen um mich herum. Ich nippte an meinem Tee und sah der Sonne beim Untergehen zu, als ein kleiner Straßenmusiker angekündigt wurde. Die Menschen klatschten Beifall und pfiffen aufgeregt, als ein hochgewachsener Mann auf die niedrige Bühne trat. Ich konnte ihn gerade noch so erkennen, da ich ziemlich weit abseits in einer Ecke saß. Er konnte mich unmöglich im Sichtfeld haben, und das war auch gut so...

Es war nicht irgendwer mit einer Gitarre, der da auf dem Hocker Platz nahm und die mir vertrauten Akkorde spielte. Mein Herz begann zu rasen. Ich musste mich täuschen, das konnte nicht wahr sein! So einfach würde es mir das Leben nicht machen!

Der Sänger stimmte in die Melodie der Gitarre  ein, seine Finger flogen über die Saiten, zupften sie sanft und genau so harmonisch klang seine raue Stimme zu dem Gitarrenspiel. Anfangs war sie noch belegt und ich erkannte ein nervöses Zittern in ihr, aber für mich war sie unverkennbar. Ich hätte seine Stimme auf 100 Meter wieder erkannt.

Er trug ein schlichtes blaues Hemd und Jeans, ebenfalls dunkel. Dazu Lederschuhe, die ich vor einigen Tagen noch im Angebot gesehen hatte. Seine Augen waren geschlossen und ich musste mich beherrschen, nicht näher zu treten, um seine dichten Wimpern und die sich kräuselnden Haare zu bestaunen. Nach ein paar Takten wurde er selbstsicherer, doch seine Augen blieben geschlossen.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich musste mehrmals vernehmlich einatmen, um nicht an seiner Vollkommenheit zu ersticken. Seine Stimme war klar und ich erinnerte mich an die Worte des Liedes. Mein Gott, es fühlte sich so intim an, diese Worte öffentlich zu hören. Sie sollten mir gehören, allein mir. Niemand sonst sollte in den Genuss kommen, von seinen Worten zu träumen. Die Tränen traten mir in die Augen.

"Dave, was machst du hier verdammt? Hast du mein Leben nicht schon genug auf den Kopf gestellt?"fragte ich mich leise, flüsternd. Die Schamröte stieg mir ins Gesicht.

Er öffnete seine strahlend blauen Augen, die hellsten, die ich jemals gesehen hatte. Sein Blick galt der Ferne und doch bemerkte er die jungen Frauen, die sofort begannen zu tuscheln und ihn verträumt anlächelten. Er schenkte ihnen ein knappes Lächeln und es versetzte mir einen ordentlichen Stich im Herzen.

Steh doch endlich auf und zeig dich ihm! forderte mein rebellisches Ich, doch ich konnte mich nicht rühren. So schnell, wie er angefangen hatte zu singen, so schnell endete er auch. Die Melodie klang aus.

Die Menschen im Cafe'spendeten ihm tosenden Applaus und er stand auf, verneigte sich. Er wand sich zu allen Seiten, als würde er jemand bestimmtes suchen. Traurig, nein enttäuscht, suchte er mit den Augen die Menge ab. Er murmelte ein verlegenes Dankeschön ins Mikro und musste grinsen, als die Besucher des Cafe's ihn zu einer Zugabe drängten. Er nickte kurz einwilligend und spielte "Magic" von Coldplay. Seine Aura schrie förmlich nach diesem beinah perfekten Song für seine tiefe, wohlklingende Stimme.

Ich blieb noch eine Weile sitzen und trank meinen Tee aus. Stumm musterte ich seine Gestalt, konnte nicht genug kriegen von seinem fast surrealen Anblick. Sein Hemd spannte leicht über seine definierten Oberarme und ein leichter Schatten lag über seinem Kinn, seinen Wangen und der Mundpartie. Er schien kurze Bartstoppeln zu tragen. Wie gern ich mit dem Finger darüber streichen würde. Wie gern ich ihn umarmen würde, ihm ins Ohr flüstern würde, dass ich ihn liebte.

Doch ich tat nichts von all dem. Das war wahrscheinlich der größte Fehler meines Lebens.

Ich stand auf und verließ das Cafe', verließ ihn und das perfekte, abendliche Konzert. Ich stieg in mein Auto und erst dort ließ ich den Tränen freien Lauf, schluchzte ungehalten und hämmerte auf mein Lenkrad. Wieso war ich nicht hingegangen?!

Ich war so dumm, so unendlich dumm. Benebelt raste ich zum Hotel, musste einigen Autos gefährlich nah ausweichen. Ich stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und rannte über die Schottersteine durch die Dunkelheit auf mein Zimmer.

Ich heulte fast bis nach Mitternacht. Dann suchte ich hektisch mein Handy, wählte seine Nummer und wartete auf seine kräftige Stimme. Es dauerte lange, unendlich lange, bis er abhob.

"Oh, hey Ann. Was gibt's? Wie lief deine Präsentation?" fragte er sofort.

"Ganz gut, perfekt eigentlich." schniefte ich. Ich hatte alles vermasselt.

"Eigentlich? Warum weinst du dann?" erwiderte er sanft, forschend.

"Wegen dir..." flüsterte ich zurück. Die Röte zierte erneut meine Wangen und es rauschte in meinen Ohren.

Er stockte, stotterte. "Ann, warum, ich...habe ich etwas falsch gemacht?"

"Nein, du nicht. Nur ich."

"Ich verstehe nicht, bitte...erkläre es mir." forderte er flehend.

"Du hast wunderschön gespielt heute Abend." hauchte ich, hoffte, dass mein Lächeln ihn erreichen würde.

"Wie kannst du..." er wurde leiser. "Ann...warst du...warst du...du warst dort! Ann!"Seine Stimme überschlug sich nun fast. Ich spürte, wie aufgeregt und verzweifelt er war. "Ich habe versucht, dich zu..."

Ich nickte nur, obwohl er es natürlich nicht wahrnehmen konnte. Dann legte ich auf, ohne meinen Nachbarn ausreden zu lassen.

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😭

Hey Leute,
ihr wundert euch, dass es noch ein Kapitel gibt? Ich war tatsächlich so kreativ und motiviert, dass ich es geschafft habe, noch ein Kapitel für euch zu veröffentlichen!

Wie fandet ihr das Kapitel?
Es ist emotionaler geworden, als ich gedacht hatte.

Tüdelü🤗

Call me Dave - Liebe auf den letzten AnrufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt