Letzter Gedanke

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Nur ein kleiner Moment vor der Ernte. Ich weiß die Zeit wird knapp. Meine Füße sind schmutzig und meine Haare zerzaust, meine Kleidung ist unpassend. Ich sehe aus wie das Mädchen das ich vor einem Jahr war. Naja, fast. Meine blauen Augen sind immer noch gleich, der Ausdruck von Hoffnung liegt in ihnen. Doch etwas mischt sich hinein, Wut, Hass, Entschlossenheit. Betont von den nun blutroten Haaren blitzen sie gefährlich und genau das sollen sie, wenn ich heute endlich in den Zug zum komme. Ein verwegenes Lächeln umspielt kurz meine Lippen, bevor ich dem Grabstein von Melia einen Kuss gebe.
,,Ich werde gewinnen Melia. Vertraue mir. Ich werde es schaffen. Für dich meine Freundin", murmle ich und gehe über den ruhigen Friedhof davon. Kurz halte ich noch vor dem Grab meiner Schwester und meinem Vater, die bei einem Autounfall vor drei Jahren ums Leben kamen. Ich lege eine rote Rose auf die feuchte Erde vor dem Grabstein und lächle den beiden in den Stein gemeisselten Bildern zu. 
Vieleicht werde ich bald bei ihnen sein. Doch daran darf ich nicht glauben. Ich glaube an mich. An meine Fähigkeiten. 
Früher war ich nicht so. Die Spiele waren das Schlimmste in meinem Leben. Aber dann war da Melia, sie hat mich so an meine Schwester erinnerte. 
Ich werde sie rächen. Nie wieder soll jemand in den Spielen sterben. Nie wieder. Ich meine, wieso? Was haben diese Armen Kinder getan so abgeschlachter zu werden? Sie leben und sie tuen alles was andere auch machen. Aber sie sind nicht gefährlich.
Gewiss nicht. 
Nachdem ich durch das Tor des Friedhofs gegangen bin, laufe ich. Ich habe noch maximal zwanzig Minuten um mich vorzubereiten. 
Völlig außer Puste komme ich an dem kleinen Haus von meiner Mutter und mir an. Früher hatten wir ein größeres mitten im Distrikt. Aber als ich auf die Akademie ging, hatte meine Mutter es verkauft, um mein Training zu finanzieren. 
Ich darf nicht sterben. Dann wäre das alles sinnlos gewesen. 
Das habe ich auch nicht vor. Ich bin gut. Sehr gut. 
Grinsend gehe ich an meiner Mutter vorbei in unser Badezimmer. Das ist es zwar kaum, aber es ist etwas. Wir haben keine Badewanne und die Dusche ist auch nicht das Beste, aber es reicht. Vorerst.
Schnell ziehe ich meine Kleidung aus und lege mein kleines Messer auf den Rand des Waschbeckens.  
Das warme Wasser spült den meisten Dreck von meiner sonnenbraunen Haut, den Rest schrubbe ich ab. Das nach Mango duftende Shampoo rinnt über meinen Körper, das letzte Mal für lange Zeit. 
Danach trockne ich mich ab, style meine blutroten Haare mit der Haarspange meiner Schwester und trage Puder und Wimperntusche auf. Eigentlich ist das wenig für ein Mädchen in meinem Distrikt, aber für mehr haben wir einfach kein Geld.
Danach gehe ich in mein kleines Zimmer. Die Wände sind rot, bis auf eine. Davor steht mein Schrank, der die ganze Seite verdeckt. Ein letztes Mal richte ich meine Bettdecke, ziehe die Vorhänge zu, öffne meinen Kleiderschrank. 
Letztes Jahr wusste ich nicht was ich anziehen soll, da war er voll. Es sind sichtlich weniger Kleidungsstücke geworden. Das Kleid von meiner Schwester Penelope hängt dort, mein Beerdigungskleid und dann noch ein grünes und ein weißes. Der Rest sind Hosen und Blusen. 
Ich ziehe frische Unterwäsche aus dem Stapel und wähle das weise Kleid. 
Ich hatte es zu einem Training im Wald an. Bei einem Kampf bin ich gegen einen Baum geknallt und habe mir Nasenbluten zugezogen. Mein Kleid war rot vor Blut und ich war stolz darauf. Meine Mutter war sauer, weil die Flecken nicht rausgingen, doch das war mir reichlich egal. Ich habe die Blutflecken mit roten Pailetten nachgestickt und liebe es. Das war der Tag, an dem ich beschlossen habe, dieses Kleid bei der Ernte zu tragen.
Vorsichtig schlüpfe ich in den weichen Stoff und binde die Schnürung eng zu.

Meine Mutter hat die weißen Lederschuhe bereits geputzt und in der Küche bereitgestellt.
,,Kalenja, pass auf Liebes", haucht Mom.
Ich sehe zu ihr hoch. ,,Natürlich. Ich bin gut, das weißt du doch!", lächle ich sie aufmunternt an und binde meine Schuhe weiter.
,,Ich meine es ernst. Es soll nicht noch einer aus meiner Familie sterben. Bist du sicher das du..."
Ich unterbreche sie:,,Ich werde gewinnen Mom. Ich schaffe das!" 
Lächelnd stehe ich auf und lege meine Hand auf ihre Wange. 
,,Spürst du das?", frage ich sie, ,,das ist Vorfreude. Nimm sie mir nicht weg.
Nicht weinen!" Sanft nehme ich sie in meinen Arm und streiche über ihr braunes Haar.  
Das dumpfe Signal erklingt und ich drücke meine Mutter weg. Ihre blauen Augen sind glasig.
,,Ich schaffe das Mom. Ich bin besser als die anderen."

Der Platz vor dem Rathaus ist voll. Eltern sowie Kinder füllen den schönen Ort. Ich schenke meiner Mutter ein letztes Lächeln und stelle mich in die Reihe der Mädchen. 
Den Stich am Finger bemerke ich kaum. Aufgeregt gehe ich zu den anderen Mädchen und warte.


Das erste Kapitel von der Reise dieses Mädchens. Ich hoffe es gefällt euch obwohl ich nicht Clove bin.

Emi:*

Die Tribute von Panem - Die 14.HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt