22. Ausreiten

2.6K 185 24
                                    

Am nächsten Morgen war ich immer noch ziemlich niedergeschlagen in der Schule. „Was ist denn nun schon wieder?", wollte Eliza wissen, als ich mich in unserem Klassenzimmer neben ihr auf den Stuhl fallen ließ. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. „Ich darf vier Wochen ohne Marion auskommen.", grummelte ich. "So ein Mist, ich habe mich, glaube ich, wirklich zu sehr an ihre Anwesenheit gewöhnt. Was soll ich bloß im Winter machen?", jammerte ich weiter und starrte an die Tafel.

Eliza grinste. „Ich bin ja auch noch da.", tröstete sie mich mit einem belustigten Unterton. Hör auf, dich über mich lustig zu machen, dachte ich nur, während ich missmutig die Augen verdrehte. Meine Aufmerksamkeit galt nur halb den Unterricht heute. Deprimierende Gedanken zogen mich in einen blödes, tiefes Loch, welches sich immer weiter in mir ausbreitete und keinen Platz mehr ließ für andere, wichtigere Dinge. Wie zum Beispiel Unterricht.

Ich war undenlich froh, als der Gong zum Schulschluss endlich ertönte, damit ich aus diesem kalten, grauen Betonklotz verschwinden konnte. Auf direktem Weg lief ich zum Bahnhof, stieg in den Zug und ließ mich nach Rust transportieren. Es lief gerade eine Show, als ich endlich wieder in der Arena aufkreuzte.

Zuerst sah ich nach Rango, dem es schon ein bisschen besser ging als gestern. Er hatte Hunger und so bereitete ich ihm wieder sein Essen mithilfe der Spritze. Danach sattelte ich Hidalgo, damit ich mit ihm ins Gelände konnte. Der hübsche Wallach wunderte sich, wo denn Ludo sei, da er es nicht gewöhnt war, so viel Aufmerksamkeit von mir zu bekommen. Normalerweise war unser Chef für ihn verantwortlich.

„In Kaltenberg für die nächsten vier Wochen. Du hast also jetzt die entspannendste Zeit des Jahres.", eröffnete ich ihm und der Zimtschimmel freute sich. „Finde ich gut! Was machen wir?", rief er begeistert „Ausreiten mit Rango. Wir können aber nur Schritt reiten. Rango ist noch zu sehr verletzt und wenn er sich jetzt ruckartig bewegt, werden seine Wunden wieder aufgehen. Also mach ja langsam, ok?"

Hidalgo nickte gehorsam und ließ sich willig auftrensen. Dann machte ich mein Sorgenkind fertig, indem ich ihm kurz die Hufe auskratzte und dann das Halfter überzog. So verließen wir zu dritt den Hof. Entspannt saß ich auf Ludos Pferd und hatte Ranog am Strick als Handpferd. Die zwei Pferde verstanden sich super, was die ganze Sache natürlich vereinfachte. Am langen Zügel ließ ich Hidalgo entspannt seinen Weg suchen.

Der hübsche Andalusier zog einige Blicke von vorbeilaufenden Spaziergängern auf sich. Ich richtete mich bei jedem Blick von anderen Menschen ein bisschen auf und demonstrierte meine Reitkünste. Bei solchen Sachen gab ich gerne ein wenig an. Es machte mir Spaß in neidischen Blicken zu baden.

Hidalgo war das von der Show gewöhnt und nahm das ganz gelassen. Rango hielt ich dagegen bewusst abseits der Blicke, denn er sah immer noch ziemlich schlimm aus mit seinen Wunden. Aber ihm machte es trotzdem Spaß, neben seinem Führpferd den Weg entlangzutrotten.

Ich machte eine große Runde und so kam ich erst an, als die Sonne langsam unterging. Thorgal wartete schon auf mich. „Gehen wir auch noch raus?" Ich lächelte ihn an und versorgte zuerst meine beiden ersten Pferde. „Wurdest du nicht heute schon bewegt?", fragte ich ihn, denn ich hatte am Rande mitbekommen, wie Maxime ihn Dressur geritten hatte. Schuldbewusst senkte er den Blick. „Ja, aber ich will doch auch noch raus hier. Immer sehe ich nur die Box, die Arena und das Zelt. Gelände ist viel toller."

„Na dann. Ohne Sattel, oder ist es dir gemütlicher, wenn du einen an hast?", wollte ich weiter wissen. „Ohne Sattel. Und Halfter würde reichen. Ich bin brav.", versprach er und so machte ich ihm das Halfter drauf. Zwei Stricke nahm ich als Ersatzzügel.

Ohne Mühe schwang ich mich auf seinen Rücken und ritt in Richtung des Altreihns, dessen Nebenflüsse sich tief verzweigt in die Landschaft einfügten. Als wir auf der Galoppstrecke ankamen, wurde Thorgal etwas unruhig. „Das solltest du dir schnellstmöglich abgewöhnen, Thorgal. Wenn wir hier mal nicht galoppieren, was machst du dann?", kritisierte ich leicht säuerlich über sein unruhiges Verhalten vor der Strecke.

Sofort senkte er den Kopf, aber ich konnte deutlich spüren, wie sehr er sich nach dem Galopp sehnte. Ich verdrehte die Augen und gab ihm die Hilfen. Das ließ sich der Hengst nicht zweimal sagen und sofort verfiel er in den Galopp. Er schoss los, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Seine lange Mähne flog im Wind und ich schloss die Augen, ließ die Zügel los und hielt mich nur an seiner Mähne fest.

Denn es war nicht gerade einfach, sich auf seinem Rücken zu halten. Ich beugte mich nach vorne und ließ mir den Wind um die Nase wehen. Als Thorgals Galoppsprünge ruhiger wurden, traute ich mich, wieder seine Mähne loszulassen und nahm die Stricke wieder in die Hand. Aber noch galoppierte er.

Ich öffnete die Augen wieder und blickte mich um. Wir waren immer noch auf der Galoppstrecke, aber sie neigte sich dem Ende zu. Thorgal wurde ruhiger und verfiel schließlich in den Trab und dann in den Schritt. Er atmete schneller, aber sichtlich befreiter als vorher. Seine Energie abzulassen gefiel ihm. Gelassen schlenderten wir zum Stall zurück und ich ging nach Hause.

------------------

Anbei noch ein Bild von Ludo und Hidalgo.

Moondancer - PferdemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt