Kapitel 2

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Seufzend ließ ich mich auf die schwarzen Ledersitze im Terminal fallen. Endlich hatte ich es durch Check-In und Sicherheitskontrolle geschafft und war rechtzeitig beim Gate angekommen. Normalerweise mochte ich die Atmosphäre an Flughäfen, doch heute war mir der Trubel viel zu viel. Überall hektische, gestresste Menschen und quengelnde Kinder. Man hätte meinen können die halbe Stadt hätte sich den heutigen Tag zum Verreisen ausgesucht.
Ich wollte nur noch in dieses Flugzeug steigen und alles hinter mir lassen. Das Boarding sollte in wenigen Minuten beginnen.
Ich nahm meine Handtasche auf den Schoß und kramte darin nach meinem Handy. Eine neue Nachricht blinkte auf dem Display auf:

„Bitte melde dich sofort wenn du gelandet bist! Kuss Mama"

Ich musste schmunzeln. Da ich nach der Trennung von Daniel Zuflucht und somit sehr viel Zeit bei meinen Eltern verbracht hatte, war in meiner Mutter wohl dieser besondere Mama-Instink wachgerufen worden. Plötzlich war ich wieder ihr kleines Mädchen, das sie vor Allem und Jedem beschützen wollte.

Daniel und ich hatten uns vor 2 Jahren kennengelernt. Es schien alles so perfekt, dass sich sogar schon unser Freundeskreis darüber lustig machte, was für ein filmreifes Paar wir abgegeben würden.
Er war charmant, zuvorgekommen und schien mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Ich war mir sicher, dass er mein Mann fürs Leben sein würde. Erst vor einem Jahr hatten wir, nach langer Suche, diese hübsche Wohnung gefunden und sie liebevoll nach unserer Vorstellung eingerichtet.
Abends steckten wir oft die Köpfe zusammen und schmiedeten Zukunftspläne. Alles sollte darin vor kommen: viele Reisen, Hochzeit, gemeinsame Kinder...
Doch vor einem Monat verkündete er plötzlich aus dem Nichts er hätte sich in eine Andere verliebt. Eine Kollegin aus der Firma, die erst kürzlich dort begonnen hatte, und er würde mit ihr zusammenziehen.
Es war als ob mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen und ich in ein schwarzes Loch fallen würde.
Was folgte waren die üblichen Floskeln. Es würde ihm leid tun, er wollte nicht, dass das passiert, es ist einfach geschehen, es liegt aber nicht an mir und wir sollten unbedingt Freunde bleiben....
Etliche Male hatte ich so etwas in irgendwelchen schnulzigen Liebesfilmen gesehen. Auch kam es vor, dass Freundinnen von ihren Partnern verlassen wurden und sich tagelang an meiner Schulter ausweinten. Aber dass mir so etwas passiert hätte ich nicht für möglich gehalten und schon gar nicht mit Daniel .

Nun wollte ich alles los werden was mich an diesen Mann erinnerte. Neu beginnen, am besten nie wieder einen Menschen so nah an mich ranlassen. Warum tut man sich das an, wenn man am Ende nur verletzt wird. Sich sogar der absolute Traummann als Mistkerl entpuppt.

„Bist du wirklich sicher, dass du ganz alleine nach Irland fliegen möchtest?" hatte Mama mich letzte Woche noch umstimmen wollen „nimm doch wenigstens eine Freundin mit!"
Eigentlich hatten Daniel und ich diesen Urlaub gemeinsam geplant. Nächtelang haben gemeinsam Reiseführer durchgewälzt und euphorisch Listen geschrieben mit allen Sehenswürdigkeiten, die wir uns unbedingt anschauen wollten.
Nun würde ich die Reise auf die „grüne Insel" alleine antreten. Ich brauchte einfach Zeit für mich und wollte sie auf keinen Fall absagen.

„Die Passagiere für den Flug 84266 nach Dublin, ihre Maschine ist nun zum Einsteigen bereitgestellt..."

Aus den Gedanken gerissen schreckte ich hoch. Schnell tippte ich eine kurze Antwort in das Handy, schaltete es aus und pfefferte es zurück in die Tasche.
Als ich aufblickte fiel mein Blick auf eine ältere Dame, die ununterbrochen auf einen Mann einredete. Es schien als hätte sie einen Narren an ihm gefressen. Doch selbst aus der Entfernung konnte man sehen, dass er mehr als genervt war und eigentlich nur seine Ruhe haben wollte.
Kopfschüttelnd stand ich auf und stellte mich in die Schlange, die sich inzwischen gebildet hatte.

Verschwitzt ließ ich mich in den Sitz gleiten. Ich nahm mein Zopfgummi vom Handgelenk und band mir die Harre zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Allmählich füllte sich die Maschine und die letzten leeren Sitze wurden besetzt.
Mein Herz schlug voller Vorfreude, auf dass was mich erwarten würde, immer schneller.
Als ich meine Kopfhörer aus der Tasche nehmen wollte, vernahm ich eine bereits bekannte Stimme zwei Reihen vor mir.
Da war sie wieder, die aufdringliche Dame, die mir schon beim Einsteigen aufgefallen war. Und anscheinend war sie auch tatsächlich wieder auf dem Platz neben ihrem erwählten Opfer gelandet. Was hatte dieser Mann, dass sie es nicht lassen konnte ständig auf ihn einzureden?
Diesmal schien sie allerdings ziemlich aufgebracht und verärgert. Sie wollte unbedingt einen anderen Sitzplatz haben.
„Die spinnt doch," der Herr neben mir stupste mich mit dem Ellbogen an.
Die Stewardess versuchte ruhig zu bleiben und die Dame zu beschwichtigen. Doch ihr Gesicht nahm einen stetig zunehmend, verzweifelten Ausdruck an.
„Ich tausche mit Ihnen den Platz, wenn Sie möchten." rutschte es plötzlich aus mir heraus.
Meine Sitznachbarn sahen mich entgeistert an. Doch ich befürchtete, dass dieser Flug ziemlich ungemütlich werden könnte, wenn nicht irgendwer schnell eine Lösung herbeizauberte.
Also wartete ich bis die Dame ihre Sachen zusammen geräumt hatte und wanderte dann zu ihrem Platz. „Ich danke Ihnen Kindchen" warf sie mir kurz zu, als sie sich an mir vorbei drücke, aber das wird kein Vergnügen für Sie, dieser Kelly ist mehr als unhöflich" Ich nickte nur lächelnd und setzte mich.
Als ich gerade dabei war meine Handtasche unter dem Vordersitz zu verstauen, starrte ich plötzlich auf eine Hand, die mir von der Seite unter die Nase gehalten wurde.
„Und darf ich wissen wem ich meine Rettung zu verdanken habe?"
Ich richtete mich auf und blickte in ein Gesicht mit zwei stechend dunkelblauen Augen und einem strahlenden Lächeln.
„Fragen Sie immer wildfremde Leute neben sich im Flugzeug gleich nach ihrem Namen." rutschte es mir heraus, und konnte ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
Er wurde etwas rot und schien plötzlich verlegen. „Sorry, das war unhöflich, you're right!" Schnell lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
„Dann müssen sie mir aber auch verraten wie sie es geschafft haben die nette, alte Lady neben sich zu verscheuchen!"
Mit einem Schlag öffnete er die Augen wieder und grinste mich an.

Mitten ins Herz (Michael Patrick Kelly FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt