Kapitel 3

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Obwohl die alte Dame den Namen Kelly ausgesprochen hat, macht die junge Dame nicht den Eindruck, als könnte sie damit etwas anfangen. Kaum sitzt sie auf dem Sitz neben mir, kramt sie in ihrer Handtasche. Ein Fan scheint sie schonmal nicht zu sein. Ich mustere sie von oben bis unten. Sie hat ihre langen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trägt eine gestreifte Bluse und blaue Jeans. Dazu Sneakers. Sportlich-elegant, genau mein Geschmack. Als sie ihre Tasche unter den Vordersitz schiebt, wittere ich meine Chance. Ich strecke ihr meine Hand hin. „Und darf ich wissen wem ich meine Rettung zu verdanken habe?" Die junge Frau schaut mich mit grossen Augen an. „Fragen Sie immer wildfremde Leute neben sich im Flugzeug gleich nach ihrem Namen?" „Sorry, das war unhöflich, you're right!" Ich hätte mich vielleicht zuerst vorstellen sollen, bevor ich sie nach ihrem Namen gefragt habe. Irgendwie ist mir das jetzt doch etwas peinlich. Ich lehne mich zurück und schliesse die Augen.


„Dann müssen sie mir aber auch verraten wie sie es geschafft haben die nette, alte Lady neben sich zu verscheuchen!" Ha! Ich öffne meine Augen und schaue sie grinsend an. "Wenn sie mir ihren Namen verraten, verrate ich ihnen meinen Trick."


"Meine Damen und Herren, wir begrüssen sie ganz herzlich an Bord der Boeing 737, Flug 84266 von Berlin nach Dublin. Die Flugdauer beträgt zweieinhalb Stunden. In wenigen Minuten beginnen wir mit den Sicherheitsinstruktionen. Stellen sie ihre Lehnen aufrecht, schliessen sie dir Sicherheitsgurte und schalten sie ihre Mobiltelefone aus. Der Kapitän und seine Besatzung wünschen ihnen einen angenehmen Flug."


Unser Gespräch wird abrupt durch eine Flugzeugdurchsage unterbrochen. Gerade hatte ich sie soweit, dass sie mir ihren Namen verraten wollte und dann pfuscht mir dieses Crew-Mitglied einfach mit seinem Gelaber dazwischen. "Zoé heisse ich. Jetzt bist du dran." Sie strahlt mich an und irgendwie macht mich das nervös. "Paddy, freut mich." Sie nickt und scheint auf etwas zu warten. "Oh sorry, der Trick. Also, wenn man jemanden loswerden will, muss man ihn einfach so lange nerven bis er von selbst flüchtet. Wenn man Glück hat, kommt einem noch eine junge hübsche Dame zu Hilfe und schon wird aus einem bad thing a good thing." "Das werde ich mir merken. Vielen Dank" sagt sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht.


Das Flugzeug rollt in Richtung Startbahn. Auf dem Bildschirm vor mir sehen ich die Sicherheitsinstruktionen. Ich bin schon so oft geflogen, dass ich diesen Film in und auswendig kann. Deshalb schaue ich lieber nach draussen. Heute hat es kaum Wolken am Himmel, daher sollte es wohl keine Turbulenzen geben. Turbulenzen sind das Einzige, was ich am Fliegen überhaupt nicht leiden kann. Schon damals, als ich mit meinen Geschwistern oft in Flugzeugen unterwegs war, hasste ich dieses Gefühl im Bauch. Das ist bis heute so geblieben und wird wohl auch immer so sein.


Am liebsten jedoch schaue ich direkt beim Start aus dem Fenster. Zu sehen wie die Häuser und Autos immer kleiner werden und die Strassen, Felder und Flüsse Muster bilden hat mich schon immer fasziniert. Es fügt sich alles zu einem grossen Ganzen zusammen. Je höher man fliegt, desto ruhiger wird es draussen. Hier oben in der Luft kann ich durchatmen. Ich kann in die Ferne schauen und sehe einfach nur den Himmel. Wenn das Flugzeug durch eine Wolke fliegt, stelle ich mir immer vor es wäre Zuckerwatte. Das hat alles so eine beruhigende Wirkung auf mich, dass ich für einen Moment einfach nur da sitze und den Moment geniesse. In solchen Momenten fühle ich die pure Freiheit und eine starke innere Zufriedenheit.


Als der Pilot die Anschnallzeichen ausschaltet, geht das Gewusel im Flugzeug los. Jetzt ist es mit der Ruhe und dem Gefühl von Freiheit wieder vorbei. Zoé sitzt neben mir und hat die Augen geschlossen. Von hinten hört man die alte Dame mit dem Herren neben sich diskutieren. Der Herr versucht der alten Dame zu erklären, dass er weder einen Joey Kelly noch einen seiner Brüder kennt. Ich muss schmunzeln. Irgendwie tut mir der arme Herr leid aber zum Glück ist es ja nur ein kurzer Flug.


Zoé scheint tatsächlich zu schlafen. Nach einer halben Stunde gewinnt die Schwerkraft und Zoés Kopf landet auf meiner Schulter. Ihre Haare duften nach Lavendel. Ich liebe Lavendel. Neben dem Kloster in Frankreich hatte es ein Lavendelfeld. Ich konnte stundenlang darin herumlaufen und einfach nur den Duft einatmen. Dieser Duft ist für mich Heimat. Heimat und Geborgenheit.


Da ich Zoé nicht wecken möchte, lasse ich sie auf meiner Schulter weiterschlafen. Sie sieht süss aus. Auf ihrer kleine Stupsnase hat sie ganz viele kleine Sommersprossen. Ich lege meine Kopf an ihren und atme den Lavendelduft ein. Dabei verfalle ich in einen leichten Dämmerschlaf. Plötzlich wird es laut und ich schrecke auf. Irgendwo schreien mehrere Personen herum und alle um mich herum werden nervös. Alle stehen auf, um zu sehen was los ist. Ich bleibe lieber sitzen. Zoé schaut verschlafen von links nach rechts. Scheinbar ist einer Stewardess ein Tablett mit Kaffee aus der Hand gefallen und der Kaffee hat sich über mehrere Passagiere verteilt. Zoé reibt sich die Augen und ich versuche mein Herzklopfen wieder zu normalisieren. Oh man, so aufzuwachen ist echt nicht schön.


"Alles in Ordnung?" Zoé schaut mich mit ihren grossen braunen Rehaugen an. "Ja, ich hab mich nur erschreckt. Ich bin wohl eingeschlafen und das war definitiv nicht meine bevorzugte Art geweckt zu werden." Zoé lächelt. "Meine auch nicht. Sag mal habe ich auf deiner Schulter geschlafen?" "Yes but it's ok. Ich mag dein Shampoo" sage ich grinsend. Zoé wird rot. "Das tut mir echt leid." "No problem. Willst du auch einen  Kaffee?" "Nur wenn ich ihn nicht über meine Hose geschüttet bekomme" sagt sie lachend und ich muss ebenfalls lachen. Ich drücke den Knopf über mir und eine Stewardess macht sich auf den Weg zu uns. "Könnten wir bitte zwei Kaffee haben? Aber diesmal bitte im Becher drin lassen. Danke." Die Stewardess scheint den Spruch alles andere als lustig zu finden und schaut mich mit einem finsteren Blick an. Sie dreht sich um und macht sich auf den Weg in den hinteren Teil des Flugzeugs. Ob wir jemals unseren Kaffee bekommen werden?


Zwei junge Mädels laufen an unseren Sitzen vorbei und tuscheln. Keine zehn Sekunden später stehen sie neben Zoé und schauen mich an. Zoé runzelt die Stirn und schaut die Mädels irritiert an. Ich weiss schon ganz genau was jetzt gleich kommen wird.


Mitten ins Herz (Michael Patrick Kelly FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt