Der Tag, an dem ich starb, war zugegebenermaßen einer der langweiligsten Tage in meinem Leben. Er war in einem solchen Maße langweilig, dass ich mir nichts sehnlichster wünschte, als endlich ins Gras beißen zu dürfen. Diese Warterei auf das Ende ist wohl der größte Nachteil, wenn man seit Jahren das Datum seines Todes kennt.
Als es dann um 11:03 endlich soweit war, lümmelte ich – wie so oft – in einem Kapuzenpulli und Pyjamahosen auf der Couch rum und sah mir eine Wiederholung meiner Lieblingsserie an. Man sollte die Zeit bis zu seinem Tod sinnvoll nutzen.
Der Tod höchstpersönlich tauchte ganz pünktlich auf, aber weil ich wusste, dass für seine Termine stets mehr Zeit als nötig einplante, überredete ich ihn, mich die Folge noch zu Ende sehen zu lassen. Ich glaube, er trank in der Zwischenzeit einen Kaffee in der Küche. Zumindest sah ich, kurz bevor mir die Lichter ausgeknipst wurden, eine schmutzige Tasse in der Spüle, von der ich mir ziemlich sicher war, dass nicht ich es war, die sie dort hingestellt hatte. Ich starb also und dachte die ganze Sache wäre nun gegessen, aber wieder einmal hatte ich mich getäuscht. Schöner Mist.
Als ich meine Augen erneut öffnete, im Glauben nun endlich die Totenwelt erkunden zu können (etwas worauf ich mich gefreut hatte, seit ich denken konnte), befand ich mich im Körper einer Kellnerin im Jahr 2010. Ich wusste, dass ich nicht allzu lange hier verweilen musste, also arbeitete ich brav meine Schichten ab, bis ich fünf Monate später von einem unachtsamen Busfahrer erwischt wurde.
Wie jeder es tun würde, stellte ich den Tod bei unserer zweiten Begegnung zur Rede, doch er spielte nur undeutlich auf Dinge an, mit denen ich nichts anfangen konnte. Dieser Bastard.
Das nächste Mal befand ich mich in den Gemächern Kleopatras und man kann durchaus behaupten, dass sie eine vielseitig talentierte Frau war. Ein paar Wochen später erstach mich jemand im Schlaf. Ich erfuhr nie, wer es eigentlich gewesen war, aber ich würde mein Leben darauf verwetten, dass Eifersucht mit im Spiel gewesen war. Mein Leben verwetten, ha, vielleicht sollte ich mir dafür eine neue Redewendung ausdenken.
Eines meiner Lieblingsleben war das eines einfachen Krämers in Pompeji. Klar, da war die ganze Sache mit dem Vulkan, aber davor führte ich mit meiner Familie ein glückliches und erfülltes Leben. Nach dem Ausbruch trauerte ich für ein paar Momente um meine Frau und meine Töchter, dann verfluchte ich sie, weil sie sterben konnten und ich nicht.
Während ich also abwechselnd lebte und starb, lernte ich so einige Dinge. Einige davon lernte ich vom Tod, andere aber von willkürlichen Personen, denen ich während meinen Lebzeiten begegnete (im Nachhinein waren sie vielleicht doch nicht so willkürlich).
Erstens, ich war die einzige Person, die stets das Datum ihres Todes kannte. Erzählte ich anderen Menschen davon, erntete ich im guten Fall einen seltsamen Blick oder landete im schlechteren Fall für die folgenden Monate in der Geschlossenen.
Zweitens, es schien keinen Zusammenhang zwischen den Personen zu geben, die ich lebte. Sie existierten stets zu anderen Zeiten, sodass ich mir nie selbst begegnen konnte. Auch was Geschlecht, Beruf oder Lebensweise anging, konnte ich kein Muster erkennen. Es waren durchaus interessante Leben, denn jedes von ihnen konfrontierte mich mit Problemen, die ich noch nicht gelöst hatte.
Drittens, niemand konnte mir erklären, warum ich nicht starb. Ich fragte den Tod, besuchte Wahrsagerinnen auf Jahrmärkten und nicht mal das Orakel von Delphi wusste Rat.
Viertens, der Tod war ein ganz gemütlicher Kerl und begrüßt mich mittlerweile wie einen alten Freund. Doch Freundschaft hin oder her, er war einer der am wenigsten hilfreichen Persönlichkeiten überhaupt. Man würde erwarten, dass er mir zu der ein oder anderen Erkenntnis verhelfen konnte, aber er wusste noch weniger über den Tod als jeder andere. Dafür kannte er jede einzelne Folge von Supernatural auswendig. Erstaunlicherweise war er ein großer Fan vom Tod (na gut, das war ich auch). Doch obwohl er mir jegliche Enthüllungen verweigerte, wusste ich immer, dass er ein Geheimnis vor mir hatte. Eines dieser großen, weltverändernden Geheimnisse. Irgendwann gab ich jedoch die Fragerei danach auf.
Und fünftens, der Tod hatte einen einzigen großen Wunsch. Er konnte jedes Leben durchleben, jede menschliche Erfahrung genießen – sei sie noch so seltsam – aber das einzige, was er sich wirklich wünschte, würde er niemals erleben. Er wollte sterben. Wollte das Tot-Sein erkunden und war doch an diese Welt gekettet. In dieser Hinsicht waren wir uns wohl ganz ähnlich.
Bald einmal begann es mir Mühe zu bereiten, mich an die vergangenen Leben im Detail zu erinnern. So beschlossen der Tod und ich ein Journal zu führen. Wir nannten es das Journal des Lebens, obwohl wir genaugenommen meine Tode aufzeichneten. Der Tod und ich teilten einen seltsamen Humor.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich in keiner Weise, was meine Nicht-Tode bedeuten würden. Und fairerweise werde ich das Geheimnis auch noch nicht jetzt lüften, auch wenn ich es mittlerweile kenne. Alles zu seiner Zeit. Oder so. Immerhin starb ich Millionen und Abermillionen Male, bevor mich die Erkenntnis traf. Zu meiner eigenen Belustigung löste ich das Geheimnis genau da, wo einst alles angefangen hatte. In meiner Wohnung, in meinem ersten Leben, als ich starb. Zum ersten Mal starb. Aber bis dahin hatte ich noch einiges zu lernen.
Dies war eine Sneak-Preview zu »Der kläglichste Versuch tot zu bleiben«. Auf Wattpad zu lesen ab irgendwann. Nähere Details folgen bestimmt auch. Irgendwann.
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Der kläglichste Versuch tot zu bleiben
ParanormalSterben ist eigentlich ganz leicht. Du wartest und wartest, wartest vielleicht noch ein bisschen länger, aber du kannst dir sicher sein, dass du irgendwann irgendwie stirbst. Worin ich aber ganz offensichtlich kein Experte bin, ist tot zu bleiben. D...