Diese Erzählung räumt auf sehr direkte Art und Weise mit der uralten Angst vor fremden oder andersartigen Menschen und dem damit verbundenen Vorurteilen auf. Mythen und Sagen enthalten übrigens recht oft derlei moralische Botschaften
~In einem kleinen Ort in Polen besuchte ein Junge seine neue Schule. Er war mit seinen Eltern von weit her gekommen, aber keiner der Dorfbewohner wagte es, genauer nachzufragen, denn die Familie des Jungen schien in ihren Augen sehr merkwürdig. Der Junge hatte es somit nicht leicht, sich in der neuen Gemeinschaft in seiner neuen Schule einzuleben. Das lag zum einen an den Argwohn, mit dem die heimischen Familien die Neuankömmlinge betrachteten, und zum anderen an dem Aussehen des Jungen. Er war kleiner als die anderen Kinder in seinem Alter und auf eine gewisse Art und Weise sah er kümmerlich aus. Dazu kam, dass er nicht richtig sprechen konnte. Sobald er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, kamen nur Wortfetzen und Stottern heraus. Die Kinder bezeichneten ihn als Spinner und Psychopathen, was dazu führte, dass er bald zum Opfer gemeiner Hänseleien wurde.
Nach einem halben Jahr was es so weit gekommen, dass er nur noch unter dem Druck seiner Eltern zur Schule ging und sich in den Unterrichtspausen sofort vor den anderen Kindern versteckte. Die Lehrer waren ratlos. Mit seinen Eltern konnten sie genauso wenig reden wie mit den Eltern der anderen Schulkinder, die ihn ärgerten. Irgendwann aber hatten sich anscheinend alle mit der Situation abgefunden. Die Jahre vergingen und niemand machte sich mehr Gedanken über den Jungen und sein Leiden. Eines Tages jedoch kam er nicht mehr zur Schule. Er war verschwunden. Selbst seine Eltern hatten keine Ahnung, wo ihr Sohn steckte.
Die Wochen verstrichen und man fand den Jungen nicht. Die Suche nach ihm wurde irgendwann eingestellt. Doch eines Tages fanden zwei Bauern des Ortes einige ihrer Tiere tot vor. Sie waren aber nicht eines natürlichen Todes gestorben. Jemand hatte ihnen den Mund zugenäht und den Bauch aufgeschnitten. Um die Kadaver herum waren merkwürdige Zeichen in die Erde geritzt, die keiner zu deuten vermochte.
Die Einwohner des Dorfes riefen also einen Wachtrupp aus, der nachts auf die Tiere der ansässigen Landwirte aufpassen sollte. Im Idealfall könnten sie so den Täter auf frischer Tat ertappen. Aber sie mussten bald feststellen, dass der Plan nicht funktionierte. Im Gegenteil. Es kam noch schlimmer. Die Schändungen der Tiere hörten auf, aber dafür wurde eine Woche später einer der Jungen der Gemeinde vermisst.
Der Trupp fand ihn am nächsten Tag auf einer Lichtung. Das Gras um ihn herum war platt getreten. Er lag in einer Pfütze aus Blut - seinem eigenen Blut. Auch ihm hatte jemand den Mund zugenäht und den Bauch aufgeschnitten. Daneben wieder diese Zeichen im Boden.
Die Dorfgemeinde war in heller Aufruhr und berief sofort eine Versammlung ein. Es war offensichtlich, dass es sich um einen Täter handelte, der immer nach demselben Schema vorging. Auch die Polizei, die inzwischen vor Ort war, bestätigte die Vermutung. Aber es gab keine Spur, und die Zeichen, die in den Boden geritzt waren, konnte niemand deuten.
Das Morden nahm kein Ende. Kurz nach dem ersten grausigen Fund wurden zwei Kinder tot an einem Waldrand aufgefunden, und auch hier fand man dieselben seltsamen Spuren und Zeichen vor.
Die Menschen des Dorfes waren so verunsichert und die Polizei so ratlos, dass einige den Ort verließen, um ihre Kinder zu schützen. Und diejenigen, die blieben, sollten es am Ende bitter bereuen. Nach einiger Zeit wurden beinahe täglich neue Leichen entdeckt. Allen war der Mund zugenäht und der Bauch aufgeschnitten. Dabei wurden die Positionen, in denen die Toten gefunden wurden, immer grotesker. Manchmal saßen die Opfer aufrecht auf Stühlen, manchmal standen sie an Bäume gelehnt, als würden sie gerade nur eine Pause machen.
Bei einer weiteren Versammlung im evangelischen Pfarrhaus des Ortes sprang eine Frau auf und rief:
》Das ist das Werk des Teufels! Die Zeichen sind die Sprache des Leibhaftigen!《
Der Pfarrer redete beschwichtigend auf die völlig hysterische Frau ein und erklärte ihr, dass das wirklich Unsinn sei. Und, dass solche Gedanken der ganzen Unerträglichkeit der schrecklichen Situation geschuldet seien.
Am nächsten Tag war das Kind des Pfarrers verschwunden. Sofort fiel der Verdacht auf die Frau, die am Tag zuvor im Pfarrhaus ausgerastet war. Sie wurde festgenommen und stundenlang verhört. Aber sie schwor, nichts mit all dem zu tun zu haben. Mitten im Verhör kam der Pfarrer in die Polizeistation gestürmt und schrie: 》Ich hab ihn! Ich hab den Mörder! Lasst die Frau frei, sie ist unschuldig!《
Die Polizisten stürmten hinter dem Pfarrer her, der sie direkt zu seiner Kirche führte. Was sie dort sahen, war beinahe unbeschreiblich.
Der Sohn des Pfarrers hing im Eingang zur Kirche - tot. Er baumelte kopfüber an einem Seil, das in der Mitte des Türstocks angebracht worden war. Sein Mund war zugenäht, der Bauch aufgeschnitten und man hatte ihm ein Bein an das andere gebunden, sodass eines gestreckt nach oben zeigte, während das andere abgewinkelt zur Seite stand. Die Frau, die mitgekommen war, starrte die Leiche an und sagte leise: 》Das ist das Zeichen Luzifers.《
Unter der Leiche saß im Schneidersitz der seltsame Junge, der seit Monaten als vermisst gegolten hatte. In der Hand hielt er Nadel und Faden und mit der anderen ritzte er die Zeichen, die niemand zu deuten vermochte, in den Boden. Dabei murmelte er etwas vor sich hin, und zwar in einer Sprache, die keiner der Anwesenden verstand. Das Einzige, was jedem sofort auffiel, war, dass der Junge mühelos in dieser Sprache reden konnte. Denn anders als sonst brachte er die Worte fließend über die Lippen. Er war völlig vertieft in seine Arbeit und nahm den Tumult, der um ihn herum entstanden war, nicht wahr. Mittlerweile hatte sich der Vorfall im ganzen Dorf rumgesprochen und alle Bewohner standen vor der Kirche und starrten den Jungen mit offenen Mund an.
Nach einigen Minuten der Stille erhob sich das sich das Geschrei des Pfarrers. Er schrie und rannte auf den Juungen zu, der noch immer in seine Arbeit versunken war. Der Pfarrer bäumte sich vor ihm auf und brüllte: 》Du hast mir meinen Sohn genommen, Leibhaftiger! Und jetzt verschwinde!《
Bei diesen Worten griff er in seine Tasche, holte ein Kreuz heraus und presste es dem Jungen direkt auf die Stirn.
Der Junge schrie auf, und als er dem Pfarrer in die Augen blickte, sah dieser, dass die Augen des Kindes sich verändert hatten - sie waren rot.
Aus der Kehle des Jungen entstieg ein tiefes Gurgeln und dann fing er an zu brennen. Er brannte, bis nichts mehr außer einem Häufchen Asche von ihm zurückblieb. Als das Feuer erloschen war, kam ein Sturm auf. Er fegte über das Gelände der Kirche und die Asche verschwand.
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Creepypasta und Großstadtlegenden (Moderne Mythen und Klassiker)
Mystery / ThrillerIch habe mir vor einiger Zeit ein Buch gekauft, von dem ich total fasziniert bin! Und ich habe beschlossen die vielen kleinen, einzelnen Geschichten mit euch zu teilen. Viel Spaß !