Kapitel 5: Blut & Tränen

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Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Diese Zeit war schon immer eine meiner Liebsten gewesen. Alles wurde ruhig, der Himmel offenbarte seine prächtigsten Farben und die zwitschernden Vögel kehrten in ihre Nester zurück. Die Sonne war nurmehr ein winziger, strahlender Punkt auf dem weiten Horizont. Ich seufzte. Vorsichtig ließ ich meine Finger über meine blasse Haut streichen und schmiegte mich an meine angewinkelten Knie. So saß ich da. Zusammengekauert auf unserem Balkon, geistesabwesend starrte ich auf den mittlerweile dunkelblauen Himmel. Kein einziges Wölkchen war zu sehen.

Stockend richtete ich mich auf, mein Unterarm schmerzte ein wenig, so wie das immer ist, wenn man frische Wunden hat. Mit müden Gliedern trottete ich zurück ins Haus und folgte dem Korridor bis ich in meinem Zimmer stand. Meine Eltern waren außer Haus, nach dem Abendessen waren sie in die Stadt gefahren. Meine Mutter teilte mir mit, dass die beiden noch auf ein oder zwei Bier in die Stadt fahren würden. Mein Vater sagte nichts, so wie immer. Dagegen hatte ich natürlich nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, ich genoss es immer, wenn ich alleine zuhause sein konnte. Auch wenn es in dem Fall nur für etwa zwei Stunden war.

Gelangweilt ließ ich mich auf die weichen Kissen auf meinem Bett fallen und starrte auf die Decke. Schlagartig vibrierte mein Handy, ich zuckte zusammen, schüttelte energisch den Kopf und entsperrte es. Nachricht von Pauli. Er fragte, ob ich mich mit ihm im Park treffen wollte, um zu quatschen. Zu dem Angebot konnte ich auf keinen Fall Nein sagen, schließlich haben wir uns ziemlich lang nicht mehr gesehen. Ich warf mir rasch einen schwarzen Hoodie über und stürmte mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen zur Tür. Es war ein gutes Gefühl mit Pauli zu reden. Wenn ich bei ihm bin, kann ich meine Gefühle einfach fallen lassen und mich fühlen wie jeder andere 08/15 Teenager. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits kurz vor ein Uhr morgens war.

Die Kapuze des Hoodies erschuf dunkle Schatten auf meinem bleichen Gesicht, die nur im Licht der flackernden Straßenlaternen verblassten. Schnellen Schrittes führten mich meine Beine die Straßen der Wohnsiedung entlang. Für mich war es ganz normal um diese Uhrzeit umher zu flanieren, vorausgesetzt meine Eltern bekommen nichts davon mit. Eine frische Brise fuhr durch meinen Hoodie und ließ mich kurz zusammenzucken.
Obwohl ich keine Menschenseele auf der asphaltierten Straße erkennen konnte, fühlte ich mich beobachtet. Bin ich jetzt auch noch paranoid oder was? Ich beschleunigte mein Tempo und joggte vorwärts.

Abrupt traf mich ein Schlag auf den Hinterkopf, welcher mich zu Boden fallen ließ. Meine ruhigen Atemzüge verwandelten sich blitzschnell in eine hastige Schnappatmung. Ein stechender Schmerz bohrte sich durch meine Brust. Ich rappelte mich kurzerhand auf und drehte mich um. Ich starrte direkt in zwei graublaue Augen, die leicht zusammengekniffen waren. Fuck. „Armer kleiner Emo, bist du etwa hingefallen? Das ist ja schade..", grollte mir Nikolas entgegen. Verachtend starrte ich zurück und drehte mich um, auf diese albernen Psycho-Spielchen hatte ich keine Lust.
Großer Fehler. Noch bevor ich einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung machen konnte, folgte der nächste Schlag, diesmal genau ins Gesicht. Ich taumelte rückwärts und stolperte über meine eigenen Füße, wieder lag ich auf dem eiskalten Asphalt. Ich schmeckte den eisernen Geschmack von Blut in meinem Mund und versuchte mich mit einer Hand aufzustützen. Fehlanzeige. Mein Körper spielte da nicht mit. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, der mich erstarren ließ.
So lag ich einfach da, auf dem Rücken, ohne irgendeinem Schutz vor meinem Gesicht oder anderen Gliedern. Nikolas und zwei andere Jungs, die ich nicht kannte, beugten sich grinsend über mich. Höhnisch lachte er. „Das ist unser Geschenk zum Schulbeginn für dich, scheiß Emo. Gewöhn dich besser daran.", flüsterte er zwischen zusammengekniffenen Zähnen hervor.

Bevor ich auch nur blinzeln konnte, spürte ich den ersten Tritt in meine Rippen. Das Blut floss mein Gesicht in Strömen herab, der Fremde hatte ziemlich fest zugeschlagen. Fast schon im Sekundentakt prasselten die Schläge und Tritte auf meinen Körper ein, der immer noch wie leblos auf der Straße kauerte. Mein Puls stieg unermüdlich, meine Atmung bekam ich nicht in den Griff und weil ich anscheinend noch nicht genug bestraft wurde, fingen die Stimmen in meinem Kopf an, mir wirre, unsinnige Dinge zuzuschreien. Ich presste meine Augen zusammen, in der Hoffnung, es würde helfen.

Die Schmerzen wurden stärker und die Stimmen wurden lauter. Ich spürte wie mir Blut den Unterarm runterfloss, anscheinend waren meine Schnitte aufgeplatzt. Salzige Tränen sickerten meine Wangen herab. Ich schluchzte. Nikolas beendete meine Höllenqualen mit einem letzten Schlag, direkt auf die Brust. Innerlich schrie ich auf. Wie in Zeitlupe beugte er sich direkt vor mein Gesicht. Ein schiefes Lächeln bahnte sich den Weg über seine Lippen. „Wir sehen uns Montag. Versuch das Veilchen mit deinem Eyeliner zu verdecken, das kommt auf Schulfotos nicht so gut.", wisperte er mir abgehackt ins Ohr. Dann waren sie weg. Und ich lag immer noch reglos auf der Straße.

Gedanken auf dem ScheiterhaufenWhere stories live. Discover now