Der nächste Morgen kam wie jeder andere auch. Man hätte fast die Uhr danach stellen können. Aber auch nur fast, denn heute kam Kessy um kurz nach sieben, laut und fürchterlich schief singend, in mein Zimmer getapst. Ihr quietsch gelber, mit Papageien übersäter Schlafanzug stach unangenehm in meinen Augen, so wie ihre Stimme in meinen Ohren.
"Kessy.", nuschelte ich verstimmt und presste mir ein Kissen auf den Kopf, "Was willst du hier?"
"Ara, ara!", krächzte sie als Antwort.
"Vergiss es! Nicht um diese Uhrzeit!"
"Ara, ara!"
"Nein! Hab ich gesagt!"
"Ara, ara!"
"Kessy! Hör mit dem Gekrächze auf! Du bist kein Papagei!"
"Aber du! Spiel mit mir Blu!"
Genervt presste ich mir mein Kissen fester ins Gesicht und versuchte das Dröhnen in meinem Kopf zu dämpfen. Erfolglos, denn schon zerrte, der kleine Papagei an meinem Kissen und krächzte mir ein weiteres "Ara, ara!", ins Ohr.
"Argh!", stieß ich fluchend aus, schleuderte das Kissen beiseite, schnappte mir Kessy und zog sie zu mir ins Bett. Dann begann ich sie zu kitzeln.
"Na warte, du kleiner Quälgeist! Wirst schon sehen, was du davon hast, wenn du einen seltenen Blauara so früh aus dem Schlaf reißt.", drohte ich ihr verspielt und versuchte meinen Kopf davor zu bewahren, das er bei ihrem hellen Kichern zersprang.
Ich war ein Morgenmuffel, aber wie gesagt, ich liebte diesen kleinen Quälgeist, auch wenn ich für sie mal wieder ihren Lieblingspapagei spielen musste, von dem ich auch meinen Namen hatte. Also besser ihren Namen für mich, denn wie ihr euch sicher denken könnt, war Blu nicht mein richtiger Vorname.
Als Kessy vor lauter Kichern und Japsen die Tränen übers Gesicht liefen, ließ ich von ihr ab, zog sie an meine Seite und versuchte sie noch einmal mitzunehmen. Ins Traumland. Leider hielt sie von der Idee nicht viel.
"Erzählst du mir eine Geschichte?", fragte sie nach zappeligen drei Minuten des Stillliegens und setzte sich wieder neben mich auf die Matratze.
"Was denn für eine?", wollte ich ergeben seufzend wissen.
"Eine schöne."
"Witzbold!", scherzte ich trocken und zerwühlte ihre blonden Locken, was sie zum Kichern brachte. Ich war sicher, in spätestens zehn Jahren, würde sie mich dafür lynchen, doch jetzt war es ihr noch vollkommen egal, das sie aussah, als hätte besagter Ara, auf ihrem Kopf versucht, ein Nest herzurichten.
"Also schön", begann ich schließlich, "Hör zu."
Und dann erzählte ich ihr eine Geschichte, dessen Ausgang mich tatsächlich auch interessiert hätte. Allerdings wurden wir von Mom unterbrochen, bevor ich Kessy erzählen konnte, wie der Prinz seine Prinzessin endlich, zwischen all den Kirchenstühlen und -Bänken, in seine Arme schließen konnte.
"Komm Schatz. Waschen und anziehen. Und dann bring ich dich nach dem Frühstück zu Tante Alice. Ihr wolltet doch heute in den Zoo gehen", lockte sie sie fort. Tante Alice war Moms Freundin und fast so etwas wie Kessys zweite Mutter, so oft, wie sie bei ihr war. Für mich allerdings war klar, das Mom mal wieder in ihr Forschungslabor verschwinden würde, sobald wir gefrühstückt hatten.
Und so schleppte ich mich ebenfalls unter die Dusche, kaum dass ich hörte, dass die beiden Frauen fertig waren.
Nach dem Essen nahm ich, wie jedes Wochenende, meine Kamera zur Hand und radelte in den heruntergekommenen Park. Ich hatte die Hoffnung aufgegeben sie dort zu finden, aber da ich auch sonst immer meine Wochenenden hier begann, würde ich auch an diesem keine Ausnahme machen.
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✔Unter dem Regenbogen
DragosteIhre Seele so dunkel, wie die Hölle. Ihr Lachen so rein, wie das eines Engels. Ihre Geschichte so rot, wie das Blut der Toten, die auf dem Schlachtfeld vor den Toren Roms, zu Zeiten des Mittelalters, ihr Leben aushauchten. Ihr Name: Jessy. Ein Mädch...