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"Dad! Wo bist du denn jetzt schon wieder?", erklang die genervte Stimme der Sechzehnjährigen.
'Dass er immer noch denkt, es würde mich freuen, wenn er sich versteckt!', dachte Melody grimmig. Ihre Laune trug nicht gerade zu ihrer Höflichkeit bei. Sie lief durch das Strandhaus und hörte aus der Küche ein schepperndes Geräusch, kurz darauf einen unterdrückten Fluch. Sofort machte sie sich auf den Weg und fand ihren Vater - begraben unter Töpfen und Pfannen.
Sie musste trotz ihrer Genervtheit grinsen. Jap, das war ihr Vater wie er leibt und lebt. Als hätte er sie kommen sehen - was nicht möglich war, da er auf dem Boden lag -, rief er: "Gut, dass du da bist. Ich wollte eigentlich kochen, aber...", er ließ den Satz unbeendet und seufzte wehleidig. Seit Maria, die liebevolle Nachbarin, die seit Melody denken konnte jeden Montag bei ihnen putzte und Melody wie eine Mutter betreut hatte, selbst schwanger war und nicht mehr kochte oder putzte, war ihr Vater maßlos überfordert. Noch nie hatte er sich wirklich um sich selbst und zusätzlich eine pubertierende Tochter, wie er Melody insgeheim nannte, kümmern müssen.
Nicht, dass er nicht selber hätte kochen oder putzen können, aber er hatte ja noch einen Bootsverleih zu führen. Dieser war seit Anbeginn der Zeit im Besitz der Familie und sozusagen Quentins Baby. Deswegen half Melody, wo sie nur konnte und griff ihrem Vater unter die Arme, da sie genau wusste, was diese Hütte mit ein paar Booten ihm bedeutete - und ihr ebenfalls. Wie er da jetzt so saß, sah er so hilflos aus wie ein Dackel, der sein Spielzeug in der Mülltonne gefunden hatte. "Warte, ich helfe dir."Schnell befreite Melody ihn von dem Topfgewirr und half ihrem Vater auf die Füße. Er klopfte sich den Staub von der Hose, sah sie währenddessen an und sprach den Gedanken seiner Tochter geradewegs aus: "Hilfst du mir nachher noch beim Bootsverleih? Ein Schiff hat ein Leck und du weißt ja, wie schwer es aus dem Wasser zu holen ist."
Nachdem Melodys Mutter vor knapp elf Jahren gestorben war, hatte ihr Vater den Job als Fotograf aufgegeben, um sich um seine Tochter zu kümmern und sich kleinere Nebenjobs gesucht, damit er mehr Zeit mir ihr (und dem Bootsverleih) verbringen konnte. Mittlerweile war Melody jedoch 16, das hieß. sie konnte sich sehr gut alleine beschäftigen und für sich selbst sorgen. Quentin war zwar anderer Meinung, aber akzeptierte diese Stimmungsschwankungen seiner Tochter, wie er sie benannt hatte. Sie lächelte und nickte als Bestätigung. "Ja klar, Dad, kein Problem", erwiderte sie und drehte sich um, damit sie sich umziehen konnte.
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Eine Viertelstunde später lief Melody umgezogen, in einer bequemen Shorts und dem Oberteil, das sowohl sie als auch ihr Vater als Arbeitskleidung trugen, zum Strand, wo der kleine Bootsverleih lag. Ihr Blick fiel auf ein am Straßenrand abgestelltes Fahrzeug und ein Grinsen stahl sich auf ihren Mund, da sie genau wusste, wem es gehörte. Fred Sawper war ein großer, muskulöser Mann mittleren Alters, sonnengebräunt, wie fast jeder in Barcelona und zufällig seit Kindertagen ein sehr guter Freund von Melodys Vater. Er hatte braunes Haar und grüne Augen, denen absolut nichts entging, außer dem Unfug, den seine Söhne betrieben - Melody war immer noch felsenfest davon überzeugt, dass er eben jedes Mal ein Auge zudrückte. Er, seine Frau und ihre eben erwähnten drei Söhne leiteten den Surfshop, der gegenüber vom Bootsverleih stand, waren aber vor Jahren in die etwas weiter entfernte Stadt gezogen, damit Mrs Sawper näher an ihrem Arbeitsplatz wohnte. Deshalb überließ er den Surfshop gerne seinen Angestellten und schaute nur alle paar Wochen nach dem Rechten, wie heute.
Fred war stets höflich und die Freundlichkeit in Person. Seine Ehefrau, auch bekannt als Larissa, hatte denselben Hautton und die gleiche Haarfarbe und man könnte sie tatsächlich komischerweise beinahe für Geschwister halten, hätte Larissa nicht braune Augen. Auch sie war stets freundlich und immer bemüht, zu helfen. Marco, James und William, die Söhne der beiden, waren ebenfalls sehr nett und immer irgendwo anzufinden. Sie halfen ab und zu beim Reparieren der instabilen Boote, wobei Marco nicht so oft dabei sein konnte, da er der Jüngste von den Dreien war und außerdem eine Menge Zeit in seine Schulaufgaben investierte. Er war für seine 14 Jahre jedoch ziemlich groß und stark und konnte eigentlich genauso gut mitarbeiten wie seine beiden größeren Brüder, wenn Larissa nicht andauernd 'Nein' zu allem sagen würde.
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Weltenwandler - Wechsel der Gezeiten
Fantasy»Sie war allein. Niemand war bei ihr. Nur eine Kette lag versteckt zwischen den Fingerchen, viel zu groß für die kleine, zarte Hand, als wäre sie fehl am Platz und doch, als gehöre das Schmuckstück genau dort hinein. Die Kette war aus purem Gold, d...