Teil 6: Eine traurige Geschichte

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Ich stürmte in das Zelt, mein Blick auf das Telefon geheftet. Ich war so konzentriert, dass ich nicht einmal bemerkte, dass ich den Colonel beinahe umrannte. Er konnte sich gerade noch so an den Türrahmen klammern. ,,Mensch Leutenant was ist denn in Sie gefahren?!", fragte er mich völlig entgeistert. ,,Ich muss telefonieren. JETZT",,So wie Sie das sagen klingt es ja fast, als würde es um Leben und Tod gehen", gluckste er. ,,Das tut es vielleicht!", gab ich knurrend zurück und sah ihn funkelnd an. Ein anderer Kommandeur hätte mich vielleicht zurechtgewiesen, doch Henry Blake war da anders. Eher das komplette Gegenteil. Er schaute unbehaglich drein und fing an zu stottern. Ich beachtete es nicht weiter und stürzte mich auf das Telefon. Doch schon stellte sich mir ein neues Problem: Wie verdammt nochmal sollte ich diesen Apparat in Gang bekommen?! ,,SCH***E!!". Tränen der Wut brannten mir in den Augen und rollten mir die Wangen runter. Hastig wischte ich sie fort als ich merkte, dass Hawkeye neben mir stand. Ich hatte ihn gar nicht reinkommen hören. Anscheinend war er mir gefolgt. ,,Komm ich helfe dir". Sanft aber bestimmt zog er mich vom Stuhl. Mir wurde klar wie erbärmlich und verzweifelt ich doch ausgesehen haben musste. Fluchend auf das Telefon einhämmernd, während mir die Tränen über die Wangen liefen. Manch einer mag nicht verstehen wieso ich so ausflippte. Aber meine Mutter ist ein zerbrechlicher Mensch, der schon ein Mal zerbrochen ist. Ein zweites Mal würde sie es nicht überstehen, zumal niemand da ist, der ihr beistehen oder sie auffangen könnte.
Hawkeye mühte sich über drei Ecken, meine Mutter an die Strippe zu bekommen und nach zehn Minuten hatte er das auch tatsächlich geschafft. ,,Hallo? Spreche ich mit Miss Bennett? Ja?", er reichte mir das Telefon. ,,Mum?" ,,Kate! Oh dem Himmel sei dank! Mein Engel. Ich hatte solche Angst, als der junge Mann mir sagte, dass du verwundet wurdest. Wie geht es dir mein Schatz?", sie weinte. Doch es klang eher erleichtert. ,,Mir geht es gut, Mum. Ist bei dir alles in Ordnung? Gehst du regelmäßig zum Treffen? Achtest du auf deine Tabletten? Isst du auch regelmäßig?". Ich konnte ein Schluchzen nur schwer unterdrücken. ,,Mach dir um mich keine Sorgen, Schatz. Alles gut", doch sie klang etwas bedrückt. Hawkeye gab mir ein Zeichen, dass wir jeden Moment getrennt werden würden. ,,Du, Mum, ich muss Schluss machen. Wir werden gleich getrennt. Ich hab dich...", doch das Gespräch war bereits abgebrochen.

,,Magst du mir vielleicht etwas erzählen?", fragte Hawkeye als wir das Büro verlassen hatten.
Im Sumpf angekommen, ließ ich mich wieder auf sein Bett sinken. Er reichte mir wieder ein Glas, doch diesmal kippte ich es mit einem mal runter. Meine Kehle brannte und es machte sich ein taubes Gefühl in mir breit. Erst da war ich fähig wieder etwas zu sagen:,,Es ist kompliziert". Hawkeye nahm mir gegenüber Platz und blickte mich ernst an. Sonst strahlten seine blauen Augen und er hatte immer ein schelmisches Grinsen aufgesetzt, doch nun war eben dies Ernsthaftigkeit gewichen. Es ließ ihn älter, aber auch irgendwie reifer wirken. ,,Mein Bruder ist vor über einem Jahr im Krieg verschollen. So ganz genau wissen wir das nicht. Ich hatte jeden Monat mit ihm geschrieben. Ab und an wenn es möglich war mit ihm telefoniert. Doch dann-nichts mehr. Keine Briefe, keine Anrufe. Nichts. Kann sein, dass er gefallen ist, kann sein, dass er gefangen genommen wurde. Es gibt so viele Möglichkeiten. Ich habe oft Alpträume gehabt und mir ausgemalt, was für schreckliche Dinge ihm geschehen sein könnten. Eine schlimmer als die andere. Diese Ungewissheit ist furchtbar. Doch meine Eltern litten noch größere Qualen. Er war der kleine in der Familie. Erst achtzehn als sie ihn einberufen haben", ich machte eine Pause und genehmigte mir noch ein Glas. Hawkeye schwieg und wartete, dass ich weiterredete. ,,Kurze Zeit später wurde bei meinem Dad Darmkrebs im Endstadium diagnostiziert. Die Ärzte gaben ihm nicht mehr lange. Ein halbes Jahr später starb er", Tränen liefen mir wieder übers Gesicht. Normalerweise versuche ich immer die starke Frau zu sein, zu der andere aufblickten. Doch heute war diese Fassade ziemlich zerbrechlich. Hawkeye beugte sich vor und wischte mir sanft die Tränen weg. ,,Sein einziger und letzter Wunsch war es, meinen Bruder noch einmal wiederzusehen. Zu wissen, dass er noch lebte, es ihm gut ginge. Nach seinem Tod ist meine Mutter zusammengebrochen. Sie hat nur noch geweint, ins Leere gestarrt und jede Art von Essen verweigert. Sie wurde immer dünner. Irgendwann fing sie an Stimmen zu hören. Ich habe versucht ihr zu helfen, doch sie wollte nicht. Eines Tages, als ich von der Arbeit kam, da fand ich sie- sie kauerte auf dem Boden und- und hatte versucht sich ihre Pulsadern-", weiter konnte ich nicht. Die Luft blieb mir weg und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Hawkeye hatte sich indessen zu mir gesetzt. Er nahm mich in den Arm und sagte:,,Das Leben ist grauenhaft und der Krieg noch viel schlimmer. Er reißt Familien auseinander und hinterlässt nur noch Tod und Zerstörung. Krieg ist schlimmer als die Hölle". Seine Worte trafen mich tief, doch hatte er damit absolut recht.
Ich ließ zu, dass er mich in den Armen hielt während ich all meine Trauer und den Frust losließ, den ich schon so lange heruntergeschluckt hatte.

Zwischen Krieg und Skalpell Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt