Kapitel 2 - Herbst

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Ich nehme noch einen Schluck Kaffee und ein Schauer überkommt mich, weil der Kaffee mittlerweile eiskalt ist.
Warum sieht mich der Kerl die ganze Zeit an? Hat er mich etwa ernsthaft fotografiert?
Empört über diese unhöfliche Aktion springe ich auf, schnappe mir mein Rad und marschiere strammen Schrittes auf ihn zu. Der Typ zuppelt an seiner Kamera herum, macht jedoch keinerlei Anstalten zu verschwinden.
»Hey du!«, rufe ich ihm verärgert zu und beschleunige meinen Gang. Der Typ blickt auf, zieht die Stirn in Falten und deutet fragend auf sich.
»Ja, genau du da! Was ist los mit dir? Warum machst du ein Foto von mir? Geht's noch? Was gibt dir das Recht...«
»Hi«, unterbricht er mein Schnauben und setzt prompt ein verschmitztes Grinsen auf. »Fährst du Fremde immer so an?«
»Weshalb hast du ein Foto von mir gemacht?«, will ich wissen und komme direkt vor ihm zum Stehen. Er fährt sich mit den Fingern durch die dunklen Locken.
»Es war ein hübsches Motiv. Aber keine Sorge, dein Gesicht ist nicht zu erkennen. Du hast ja auf den Boden geguckt.«
Jetzt, wo ich nur wenige Zentimeter von ihm entfernt bin, fallen mir seine goldbraunen​ Augen auf. Wow, das können doch nur Kontaktlinsen sein! Sowas ist mit Sicherheit nicht natürlich! Zumindest habe ich noch nie so wahnsinnig schöne Augen gesehen...
»Ähm... Hallo? Erde an aufgebrachtes Mädchen?«
Der Typ beugt sich ein wenig vor und schnalzt mit der Zunge, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Oh... also ich möchte aber, dass du das Bild löschst! Du musst die Menschen fragen, ob es ihnen Recht ist, dass du sie fotografierst!«
»Tut mir leid, das ist eine analoge Kamera. Ich kann die Bilder nicht einfach löschen. Aber ich garantiere dir, dass ich dich das nächste Mal frage.« Er grinst und es liegt etwas Schelmisches in seinem Blick.
»Das nächste Mal?! Ich glaube du spinnst!«
»Wieso? Du bist doch öfter hier, oder? Ich habe dich ab und zu hier im Park gesehen.«

Oh mein Gott, ist er etwa so ein verrückter Stalker? Wie lange beobachtet er mich schon? Mir ist plötzlich ganz flau im Magen.
»Bist du ein Stalker oder sowas?«, frage ich und hoffe, dass er das Zittern in meiner Stimme nicht bemerkt.
»Was? Nein! Ich hänge hier auch oft ab. Fotografie ist meine Leidenschaft. Deshalb studiere ich es auch. Und in meiner Freizeit bin ich eben gern an schönen Orten und mache Momentaufnahmen von allem, was mich inspiriert. Ehrlich gesagt bist du die Erste, die mich deswegen anzickt.«

Hat er gerade gesagt, ich würde ihn anzicken? Frechheit!
»Übrigens siehst du ganz niedlich aus, wenn du dich aufregst«, fügt er zwinkernd hinzu.
Wie ist der denn drauf? Ich habe keine Lust mehr zu streiten, verdrehe nur die Augen und greife nach meinem Fahrrad. »Wenn du deine Bilder entwickelt hast, dann schmeiß' das von mir bitte weg. Es ist mir unangenehm zu wissen, dass ein wildfremder Typ ein Foto von mir besitzt.«
Ich werfe ihm einen letzten Blick zu, versuche, so verärgert wie möglich auszusehen und gehe. Die untergehende Sonne bedeutet mir, mich zu beeilen, wenn ich noch das Grab besuchen will, bevor der Friedhof schließt.
»Ich heiße übrigens Nathan.«

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