I. Prolog

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Es war eine stürmische Nacht, als sich die zwei Fremden das erste Mal begegneten. Der Wind heulte durch die tiefen Schluchten der Stadt, wirbelte die herabgefallenen Blätter und zusammengeknülltes Papier auf, verlor sich in dem Labyrinth der Straßen. Es lag der Geruch nach Regen und Gewitter in der Luft. Keine Menschenseele war mehr drau-ßen zu sehen, alle hatten sich in die Behaglichkeit ihrer eigenen vier Wände zurückgezogen. Die Küstenstadt hätte wie eine Geisterstadt wirken können, aber das warme Licht aus den Fenstern und das ge-dämpfte Stimmengewirr aus den zahlreichen Pubs verliehen ihr ein einladendes Flair. Im Hafen schaukelten die Schifferboote und Kutter im aufgerauten Seegang hin und her. Die Möwen hatten sich alle in ihre Nester verzogen und hier herrschte Stille, nur durch das Tosen der Wellen, die sich an der Hafenkante brachen, gestört.
Eine schmale Gestalt stand am Steg. Ihr kupferfarbenes Haar leuchtete und peitschte wie wild um das im Schatten liegende Gesicht. Sie trug einen tintengrünen Regenmantel, so einen, wie Schiffer sie oft besaßen, dazu eine dunkle Hose und kniehohe Gummistiefel. Das Flüstern von Magie hing in der Luft. Der leichte Geruch von verbrannten Zündhölzern kitzelte sie in der Nase. Deutlich konnte sie jetzt die An-wesenheit eines Fremden am Steg wahrnehmen. Die Energie erzitterte um ihn herum, lies die Ströme in Ungleichgewicht geraten.
Langsam drehte sie sich um, ihre vom Wind aufgewühlten Haare ver-deckten weiterhin ihr Gesicht. Die ersten Regentropfen fielen vom Himmel und prasselten leise von ihrem Mantel ab. Der Boden begann sich dunkel zu färben. Sie hob den Blick, sah direkt zu dem großen, hageren Mann, der ihr am anderen Ende des Piers gegenüber stand. Er hatte die Hände tief in die Taschen seines schwarzen, bis zum Boden reichenden Wollmantels gesteckt. Auf seinem Kopf thronte ein Ungetüm von Hut, ebenfalls schwarz und mit einer dunkelgrünen Fe-der geschmückt. Sein Gesicht lag im Dunkeln, aber durch das schiefe Grinsen konnte man das Aufblitzen eines Goldzahns erkennen.
Ihr schauderte es. Sie kannte den Mann nicht, aber sie hatte schon von ihm gehört. In den Pubs und Kneipen hatte sie hier mal ein Raunen vernommen, dort mal ein leises Flüstern. Doch immer wenn sie ver-sucht hatte, näher hinzuhören, genauer zu lauschen, war das Getuschel verstummt und man hatte sie nur unverwandt angeschaut. Er war ein Geist. Ein Mythos. Ein Schatten.
Jetzt kam er langsam auf sie zu. Seine Schritte wirkten bedacht, ir-gendwie träge, aber trotzdem bedrohlich. Unwillkürlich schritt sie ei-nen Schritt zurück und wäre fast die Hafenkante hinuntergestürzt. Gerade noch so konnte sie ihr Gleichgewicht fangen, spürte das Ende der rauen Steine jetzt deutlich unter ihren Sohlen. Ihr Herz raste von dem Schreck. Einen Augenblick lang hatte sie den Fremden aus den Augen verloren. Hastig huschte ihr Blick wieder zu ihm. Er stand jetzt fast vor ihr. Nah genug, um etwas von seinem Gesicht erkennen zu können. Es war grauenerregend und gleichzeitig beängstigend schön. Er hatte ein kantiges Gesicht, mit scharf geschnittenen hohen Wan-genknochen, eine gerade Nase, volle Lippen und glasklare, blaue Au-gen, die unter buschigen Augenbrauen hervorschauten. Doch ihr Aus-druck war eiskalt, bohrend, angsteinflößend, so als könne er bis an den Grund ihrer Seele blicken. Irgendwas stimmte nicht mit seinem Gesicht und sie erkannte schnell, was es war. Die Haut war durchzogen von hellen, hauchdünnen Narben. Ein Muster wie von zerbrochenem Glas malte sich über sein ganzes Antlitz und seinen Hals hinunter, wo es dann unter dem Kragen eines zerschlissenen Hemdes verschwand. Immer noch kam er näher auf sie zu. Stocksteif stand sie da, obwohl alles in ihr sie dazu drängte, wegzulaufen. Ihre Beine bewegten sich nicht, widersetzten sich ihrem Befehl. Mit weit aufgerissenen Augen stand sie da, schaute ihn in die seelenlosen Augen und war wie ge-bannt. Um sie herum begann der Sturm zu toben. Brüllend erhob sich der Donner, Wellen brachen sich an der Hafenwand und der Regen peitschte um sie herum. Sie wartete ab, sah mit immer schneller schlagendem Herz, wie der Fremde eine Hand hoch und sie am Kragen packte. Ein Lächeln umspielte die Lippen des Narbengesichts. „So weit von zuhause entfernt? Wie töricht!", gluckste er mit leiser Stimme. Sie schrie auf, presste sich die Hände an die Ohren, denn obwohl er geflüs-tert hatte, dröhnten seine Worte in ihrem Kopf wieder und kreischten in ihrem Gehörgang wie tausend Fingernägel auf einer Schiefertafel.

Benommen sah sie ihn immer noch an, sah seine zu einem Grinsen verzerrte Fratze und das böse Flackern in seinen Augen. Dann stieß er sie über den Steg, wo sie die schwarzen Fluten hungrig verschlangen.


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⏰ Last updated: Sep 13, 2017 ⏰

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Der Bann der KönigeWhere stories live. Discover now