Warum die Sonne scheint

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Einst, als alles auf der Welt noch dunkel und kalt war, und es noch kein Wesen gewagt hatte der bitteren Kälte und den eisigen Stürmen zu trotzen, da wuchs aus einem Funken eine Blume.
Bis heute weiß niemand, woher der Funken kam, war die Welt doch verhüllt von tiefstem Schwarz und kein Licht ward je gesehen worden, doch eines Nachts war er plötzlich da und flackerte über die tobende See, die sich noch mehr aufbäumte in jener Nacht, wie um den Funken zu verlöschen.
Über einer Insel fiel er zu Boden und in dem Moment da er die Erde berührte wurde diese aus dem kalten Zustand befreit in dem sie seit jeher gewesen war, und es wuchs eine wunderschöne goldene Blume aus der schwarzen Erde.
Sie wuchs und wuchs, sich sanft im Sturmwind wiegend, der heulend über sie hinweg fuhr um ihren zarten Stängel zu brechen.

Ein goldenes Licht strömte von ihr aus so lange sie wuchs und als sich ihre erste Knospe öffnete schienen alle Naturgewalten den Atem anzuhalten. Ganz zart und wie von einer liebevollen Hand auseinander gefaltet öffnete sich die Blume und noch mehr goldenes Licht brach aus ihr hervor, ebenso wie eine sanfte Melodie.
Die Stürme verstummten, die dunklen Wolken verzogen sich, der Ozean glättet sich, ganz so als würden sie sich für ein hohes Fest herausputzen. Und die Blume sang und sang, ihr goldener Schimmer verbreitete Wärme über die Welt und kleine funkelnde Diamanten erhoben sich in die Luft um mit der Blume um die Wette zu singen. Sie tanzten auf dem Parkett des dunkelblauen Himmelszeltes, das kein Auge je zuvor erblickt hatte und tanzten immer und immer weiter. Alles schien sich zum guten zuwenden und auch so zu bleiben.

Doch eines Tages spürte die Welt, dass es der Blume nicht gut ging. Es war ein Zittern in der Luft wie damals, als die Winde das erste Mal über die Erde hergefallen waren.
Angst machte sich breit und als die Blume plötzlich zu Boden fiel tauchten die ersten dunkelgrauen Sturmboten schon am Horizont auf. Zwar zogen sie langsamer dahin, denn die Kraft der Blume hatte sie geschwächt, doch je mehr Licht aus ihrem goldenen Kelch floss, desto schneller zogen die Wolken den Himmel zu und verdeckten auch die letzte Lichtquelle: die Diamantensterne.

Es gab noch nicht wirklich viele Wesen auf dieser Welt, an die wir uns erinnern, aber was die Menschen heute vergessen haben, ist das auf jedem Stern eine Sternenfee sitzt, die den Stern zum Leuchten bringt indem sie aufpasst, dass sich kein Staub ablagert, der das Licht verdunkeln könnte. Diese Sternenfeen waren durch die Macht der goldenen Blume zum Leben erweckt worden und fürchteten nun sehr um sie. Ihr Leuchten wurde immer schwächer und die Wolken verdunkelten bald alles, während der Ozean und der Regen erneut aufbegehrten jeden Funken Licht zu erlöschen.

In einem letzten verzweifelten Hilferuf stob ein einzelner Funke aus der Blume goldenen Kelchs und die jüngste Sternenfee fing ihn auf. Die Blume hatte ihr Leben ausgehaucht und beinahe sofort begannen die Winde alles zwischen ihren flüchtigen Fingern zu zerreißen, was die Blume hatte gedeihen lassen. Der Regen löste die Erde auf und der Frost ließ nur kalten, steinharten Boden zurück.
Der Ozean stieg und stieg um endlich diese lästige Insel aus seiner Mitte tilgen zu können auf der das Glück gewachsen war.
Die Sterne versammelten sich und suchten verzweifelt nach einer Lösung, wie die Welt vielleicht noch zu retten wäre, doch ihnen wollte einfach nichts einfallen.
Im letzten Sternenfeuer schmiedeten sie ein sicheres Glasgefäß in das sie den letzten goldenen Funken legten in der Hoffnung er würde sie eines Tages alle retten.
Dann erloschen die Sterne und wurden wieder zu Diamanten, die in den Ozean fielen und in der Dunkelheit des Wassers versanken. Die Feen flüchteten sich in eine Höhle und nahmen das Glas mit sich, sodass es draußen nicht zerstört würde.
Dann fielen sie in einen tiefen Schlaf und die Welt versank erneut im Chaos.

Als die jüngste Sternenfee erwachte blickte sie verwundert um sich, alle ihre Schwestern schliefen noch. Nur sie war wach. Sie rieb sich über die Augen und tapste dann leise, um niemanden zu wecken, zu dem Glas in dem sie einst den goldenen Funken versteckt hatten. Sie legte ihre Hand auf das kühle Glas und dachte traurig an all die Wunder die sie gesehen hatten als die Blume noch blühte, an all das Licht und die Wärme, die sie nie wieder fühlen würde.
Und da geschah es, ein Zittern lief durch das Glas und es zersprang. Von dem lauten Knall aufgeschreckt wachten die anderen Feen auf und sahen mit weit aufgerissenen Augen, wie der Funke immer größer und größer wurde in der Hand ihrer jüngsten Schwester.

Die Kleine hielt den immer und immer größer werdenden Lichtball in ihren Händen. Die Decke über ihr begann zur bröckeln und das strahlende Licht brach durch den aufreißenden Boden.
Höher und höher stieg das Licht und die kleine Fee mit ihm. Unter ihnen stoppte der Ozean sein Toben, die Winde erschlafften und die Kälte verschwand. Die Diamanten stiegen aus den ruhigen Wogen empor und als die kleine Fee ungläubig lachte, wurde ihr Lachen zu goldene Funken und erweckte die Blume zu neuem Leben.

Von diesem Tag an herrschte das Licht und das Gute über die Welt, und wenn nachts die Blüte ihre Blätter schloss verschwand das Licht, ward es doch aus der Sehnsucht der Fee und der Liebe der Blume geboren. Des nachts tanzten die Feen über den Himmel und ließen ihre Sterne aufleuchten und des Tags strahlten das Licht und die Blume um die Wette. Das Licht liebte die Blume so sehr, das es jeden Tag wiederkehrte, und weil die Blume sich nach dem Licht ausrichtet und ihm mit dem Kopf über den Himmel folgte, wurde sie Sonnenblumen genannt.

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