Böser Traum

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Ich rollte mich auf dir Seite und schaute in das grüne Meer, in das ich schon am Anfang der Entführung geblickt hatte. Zu der Zeit wirkte es bedrohlich, fast tödlich, doch nun sah ich eine Sehnsucht und Wärme in dieser Tiefe. Ich krallte meine Finger in den Stoff der Decke und spürte leicht Verzweiflung in mir aufsteigen. In drei Tagen würde ich ihn sehen.

In drei Tagen war mein Leben vorbei.

Dann würde ich wieder die leblose Hülle sein, die ich einst war und wie ein Zombie weiter leben. Die Zeit der Entführung würde ich Verdrängen und meinen zombieartigen Zustand würden alle auf dieses Erlebnis zurück führen. Ein Schauer lief mir über den Rücken als schlagartig Bilder von meinem Vater vor mir auftauchten. Ich spürte schon jetzt seine Schläge und seine Wut. Heiße Tränen rannten leise über mein Gesicht und fielen auf das weiße Kissen. Langsam schloss ich meine Augen und versuchte die Tränen zurück zu halten. Ich wusste nicht wovon ich plötzlich so müde war und auch nicht wieso, doch kaum hatte ich meine Augen geschlossen glitt ich fort von der grauenvollen Realität.


Ich stand in der Küche. Vor mir stand meine Mutter und Tränen liefen ihr wie ein Wasserfall über das Gesicht. Ich wollte auf sie zugehen und in den Arm nehmen, doch dann spürte ich die große Pranke an meiner Schulter, die mich nicht zärtlich zurückhielt. Etwas scharfes setzte jemand an meinem Hals an.

Alles war verschwommen.

Das einzige was ich wusste, war dass gerade nichts gut war. Da spürte ich die Angst und die Tränen. Mein Mund öffnete sich und ich schrie nach meiner Mutter. Sofort wurde meine Schulter losgelassen und die Hand wanderte zu meinem Mund um dieses zu verschließen.

„Sei Ruhig!", brüllte mich jemand an.

Ich erkannte diese vertraute Stimme meines Vaters, doch sie jagte mir noch mehr Angst an, als ich die ungebändigte Wut in seinen Worten erkannte.

„Bitte lass sie doch!", flehte die Frau vor mir ihn an und hielt sich die Hände vor den Mund. Die Szene wurde immer klarer und ich erkannte das ungewohnte Gesicht meiner Mutter.

„Mit wem hast du dich getroffen? Und wehe du lügst! Dann schneide ich ihr die Kehle durch!" schrie mein Vater und presste mir das Messer näher an den Hals. Ich wollte schreien, als ich einen kleinen Stich spürte und etwas Heißes an meinem Hals herunter lief. Entsetzt schrie meine Mutter auf und pure Verzweiflung stand ihr in den Augen geschrieben.

„Es gibt niemanden! Bitte lass sie jetzt los!"

Hoffnungslos stütze meine Mutter sich an dem Tisch ab und begann noch heftiger zu weinen. Ihre Augen waren rot angeschwollen.

„Ich schwöre dir, wenn du mich anlügst, bring ich sie um!"

„Es gibt wirklich niemanden!" schrie meine Mutter zurück und fuhr sich hektisch durch die Haare. Eine Ewigkeit verharrten wir so. Das Messer lag immer noch an meinem Hals, während mein Vater meine Mutter wutentbrannt betrachtete. Ich spürte an seinem Atem wie aufgebracht er war und betete, dass er meiner Mutter nichts tat. Zu oft hatte er sie schon geschlagen

Plötzlich wurde ich unsanft weggeschubst und fiel fast in die Scherben, die auf dem Boden lagen. Doch bevor ich schmerzhaft auf diese traf wurde ich von meiner Mutter aufgefangen und in den Arm genommen. Sie drückte mich fest an ihre Brust, sodass ich über ihre Schulter gucken konnte. Ich erblickte mich in einem Spiegel und erkannte mein kindliches Gesicht. An meinem Hals lief scharlachrotes Blut langsam hinab und meine Mutter wiegte mich weinend sanft hin und her. Sie nuschelte etwas, doch ich verstand es nicht. Ich hörte ein lautes Tür knallen und wusste, dass mein Vater vorerst weg war.

Doch ich wusste, dass er wieder kommen würde. Ich sah mich erneut an und erkannte die Verzweiflung in meinen Augen.


Ich wurde unsanft wach gemacht, als mich jemand an den Schultern packte und schüttelte. Langsam öffnete ich meine Augen und erblickte das gehetzte und doch liebevoll dreinblickende Gesicht meiner Mutter.

„Franziska", hörte ich ihre wundervolle Stimme ganz nah bei mir.

Der wundervolle Geruch von Lavendel stieg mir in die Nase und ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen.

„Mama", flüsterte ich und betrachtete sie genauer. Und plötzlich erkannte ich die pure Verzweiflung in ihrem Gesicht.

„Du musst mir jetzt genau zuhören Franziska, hast du mich verstanden?"

Falten bildetet sich auf meiner Stirn und ich nickte stumm.

„Egal was Papa tut, er darf dir nichts tun. Wenn er dir etwas tut, lauf zu Mrs. Jefferson, sie wird sich um dich kümmern. Oder geh zu deinen Lehrern. Hast du verstanden? Wenn er etwas tun sollte, was du nicht willst, dann sag das jemandem. Hast du verstanden?"

Verwirrt über diese Worte und deren Bedeutung, die ich nicht verstand nickte ich. Plötzlich nahm sich mich in den Arm und presste mich eng an sich.

„Ich hoffe, dass du mich eines Tages verstehst und mich dafür nicht hasst", nuschelte sie nah neben meinem Ohr. Sie löste sich snaft von mir und drückte mir einen Kuss auf die Strin, als ich ihre Tränen bemerkte, die auf mein Kissen tropften.

„Ich liebe dich Kleines. Vergiss das nie."

Dann drehte sie sich um und stürmte aus meinem Zimmer. Ihr schwarzer langer Mantel schlug ihr leicht um die Beine. Ich ließ mich zurück in das Kissen fallen und horchte. Ein leises Klicken der Tür machte mir bewusst, dass meine Mutter gegangen war, doch ich wusste nicht wohin und wieso. Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus und mir wurde schlagartig kalt. Ich zog meine Bettdecke höher und presste sie enger an mich. Auf einmal fühlte ich mich verlassen.

Und ich wusste, dass ich meine Mutter nie wieder sehen würde.

Das war ein Abschied gewesen.


Ich schlug meine Augen auf und starrte an die weiße Zimmerdecke. Kalter Schweiß stand auf meiner Stirn und mein Atem ging unregelmäßig. Ich spürte das rauenvolle Gefühl der Verlassenheit so intensiv wie schon lange nicht mehr und jeder Zentimiter meines Körpers schien zu Zittern. Die Zimmertür wurde aufgerissen und ich vernahm die verschreckte und sorgenvolle Stimme von Nils.

„Franziska?! Was ist?"

Bevor ich etwas sagen konnte, saß er neben mir und beugte sich über mich. Eine blonde Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht.

„Alles gut. Blöder Traum", nuschelte ich vor mir hin und verdrängte die Erinnerungen die nun wieder in meinem Kopf schwirrten. Die Nacht in der meine Mutter verschwand und der Abend an dem mein Vater herausgefunden hatte, dass meine Mutter einen Liebhaber hatte.

„Ach du meine Scheiße", hörte ich Bens Stimme. Entsetzt schaute er mich an.

„Was?" fragte ich leicht verwirrt und hörte meine grauenvoll, schwach klingende Stimme.

„Was ist passiert?", fragte er nun an Nils gewandt und stürmte auf mich zu.

„Böser Traum", antwortete dieser ohne mit der Wimper zu zucken.

„Hol ihr was zu trinken", wies er Ben an, der daraufhin eilig verschwand.

„Was...?", bevor ich meine Frage aussprechen konnte, unterbrach mich Nils.

„Wovon hast du geträumt."

Ich öffnete meinen Mund, wusste jedoch nicht was ich antworten sollte. Die brauen Augen durchbohrten mich.

„Von meinen Eltern", flüsterte ich und dann fingen die heißen Tränen an mir die Wange herunter zu laufen. Bevor ich etwas machen konnte, zog Nils mich in seine Arme und hielt mich fest. Eine Geste, die ich nie so liebevoll erlebt hatte. Niemand von uns beiden sagte etwas. Wir saßen einfach nur da. Ich weinte über meine Vergangenheit, während Nils mich sanft im Arm hielt. Mehr tat er nicht und doch tat er genug.



Entführt - Gerettet aus der HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt