Wünsche

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Ich hörte wie die Zimmertür leise geöffnet wurde und Ben hinein trat. Ohne sich von mir zu lösen, nahm Nils etwas entgegen und nickte Ben zu, der daraufhin das Zimmer verließ und die Tür schloss. Sacht strich er mir durch mein langes braunes Haar und drückte mich ein Stück weg, sodass er mit etwas kühlem über meine Stirn fahren konnte.

In seinem Blick lag nicht die eiserne Kälte, sondern etwas wie Liebe und Glück, was mich von meinem Alptraum ablenkte und beruhigte. Mit einem Finger hob er sanft mein Kinn an, sodass ich ihm direkt in die Augen blickte. Mit dem kühlen Waschlappen, glitt er über meine Gesichtszüge und ich spürte wie gut es tat. Der kalte Schweiß verschwand langsam und mein Puls beruhigte sich wieder. Ich atmete tief ein und schloss meine Augen um mich etwas zu entspannen.

„Besser?", hörte ich ihn fragen. Ich nickte kurz, öffnete meine Augen und blickte in ein lächelndes Gesicht.

„Willst du jetzt duschen gehen?"

„Ja", sagte ich und spürte wie meine Hose an meinen Beinen klebte. Er legte seinen Arm um meine Taille und half mir aufzustehen. Ich spürte wie meine Beine immer noch zitterten, sodass ich fast wegsackte, doch seine starken Hände hielten mich fest.

„Geht?" Ich nickte schwach und wurde von ihm in das Badezimmer begleitet. Langsam löste er seine Hände von mir und achtete darauf ob ich ohne ihn stehen konnte. Sein besorgter Blick ließ ein Lächeln auf meinen Lippen entstehen, woraufhin er mich nur irritiert anschaute.

„Was?", fragte er und schaute mich mit seinen braunen Augen an.

„Mir geht's gut."

Er legte mir eine Hand auf die Stirn und fing an vor sich hin zu reden.

„Starke Stimmungsschwankungen, Schwindel, Selbstmordversuche, trinkt kochend heißen Kaffee auf Ex, hat eine Entführung hinter sich. Ja, dir geht es bestimmt super."

Ich schaute ihn grinsend an. Nun stahl sich auf seine Lippen ebenfalls ein Lächeln.

„Los geh duschen, bevor du vollkommen durchtickst."

Er wuschelte mir einmal durch meine Haare und schloss die Badezimmertür hinter sich. Regungslos blieb ich stehen und bemerkte, dass ich kaum etwas registriert hatte, als er mich ins Badezimmer geführt hatte. Seine Nähe hatte mich alles vergessen lassen. Verwundert über diese Tatsache zog ich meine Sachen aus und stellte die Dusche an. Das Wasser prasselte auf das kalte Keramik. Ich hielt meinen Fuß unter das Wasser um die Temperatur zu testen und stellte mich vollständig unter die Dusche, als ich das Wasser für Warm genug empfand.

Ich wickelte mir das flauschige Handtuch um und betrachtete meine glänzenden Augen in dem Spiegel. Mit meiner Fingerspitze fuhr ich die Konturen meines Gesichts nach und erkannte kleine Veränderungen, die mich verwunderten. In meinen Augen stand keine Verzweiflung und auch die Hoffnungslosigkeit erkannte ich derzeit nirgends an mir.

„Franzi?", ertönte Nils Stimme, woraufhin sein wunderschönes Gesicht vor meinen Augen aufblitze.

„Ja?", fragte ich und raffte das Handtuch enger an mich.

„Ich habe Klamotten für dich."

Barfuss ging ich zu der Tür und öffnete sie leicht. Nils stand mit einem Haufen Stoff auf dem Arm an den Türrahmen gelehnt. Unsere Blicke trafen sich einen Moment. Ein Schauer lief meinen Rücken herunter und lähmte mich. Nils wendete seinen leicht roten Kopf ab und hielt mir die Sachen hin.

„Sorry, ich wusste nicht, dass..", fing er an, brachte den Satz jedoch nicht zu ende.

„Danke", murmelte ich und schaute Nils nach, der sich schnellen Schrittes ins Wohnzimmer stahl, ohne sich noch einmal umzublicken.

Leise und leicht zittrig schloss ich die Tür und schlüpfte in die Jeans und das T-Shirt, das Nils mir gebracht hatte. Durch das Fenster in dem Badezimmer sah ich, wie sich die Sonne leicht rötlich färbte und dem Horizont entgegen glitt.

„Bin mit Brownie draußen!", hörte ich Ben durch die kleine Wohnung Nils zurufen, der nicht antwortete.

Eine Tür wurde geschlossen und das Bellen von Brownie erstarb. Plötzlich war es Still und mit jedem Schritt den ich tat, hatte ich Angst etwas hervorzubringen, das eigentlich nicht gesagt oder gefühlt werden sollte. Ich schloss die Holztür hinter mir und schritt über den Holzboden in das Wohnzimmer. Meine Schritte wurden von einem leichten Knarren begleitet. An einer stabilen Holzsäule sitzend, erblickte ich Nils, der von dort den Sonnenuntergang betrachtete. Schweigend ging ich zu ihm und ließ mich neben ihm nieder. Eine Zeit lang sagten wir nichts und betrachten nur die grelle Sonne, die den Wald mit ihrem Licht einfärbte.

„Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hättest?", fragte er mich und durchbrach somit die Stille um uns herum.

„Den Weltfrieden", sagte ich ironisch und erntete von Nils ein Lachen.

„Weltfrieden ist unmöglich."

„Ich weiß. Dazu gibt es zu viele Idioten auf diesem Planeten."

„Also, was würdest du dir wünschen?", beharrte er, blickte mich jedoch nicht an.

„Ich würde mir einen Ort wünschen, an dem ich weit weg bin von meinem Vater. Niemand der mir in mein Leben pfuscht oder mich enttäuscht. Ein Ort, der mich verzaubert und mir voll und ganz gehört. Den Niemand mir nehmen kann."

„Was ist mit deiner Mutter?"

Ich legte meine Stirn in Falten und konzentrierte mich auf ein Blatt, das von einer leichten Brise davongetragen wurde.

„Ich will das Leben, das meine Mutter sich aufgebaut hat nicht zerstören."

„Findest du nicht, dass du ein Recht auf sie hast?"

„Ich will kein Recht auf sie haben. Und so doof es sich anhört, aber sie ist nicht mehr meine Mutter. Nicht weil ich sie nicht liebe oder weil sie mich verlassen hat, sondern weil ich sie vergessen habe. Sie ist nur noch ein Gesicht für mich ohne eine große Geschichte. Nur noch die Person die mich geboren hat."

Erneut legte sich Stille über uns.

„Und was wünscht du dir?", fragte ich nun Nils, der neugierig das Spiel der Sonnenstrahlen betrachtete.

„Dasselbe."

Er drehte seinen Kopf zu mir und betrachtete mich durch eine blonde Haarsträhne. Seine Haut bekam durch das abendliche Sonnenlicht einen Rotstich, doch seine braunen Augen veränderten sich kein bisschen.

„Nur noch ein Tag", flüsterte er leise und nahm meine Hand. Ich schluckte den Kloß herunter, der in meinem Hals steckte. Wir wendeten unsere Blicke nach draußen und beobachteten die letzten Sonnenstrahlen.

„Kannst du mir eins versprechen?"

„Was?", fragte ich leise.

„Mach keine Dummheiten, wenn ich nicht mehr da bin."

Ich sah wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand und uns langsam in Dunkelheit hüllte.

„Versprochen", sagte ich und spürte wie er meine Hand fest drückte, ehe das Bellen von Brownie uns aus den Gedanken riss.



Entführt - Gerettet aus der HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt