Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen es Leiza besonders schwer fiel, aufzustehen, sich etwas zu essen zu machen, sich anzuziehen und zur Arbeit zu gehen.
Hätte sie eine Arbeit gehabt.
Das war jedoch nicht mehr der Fall. Sie hatte vor einem halben Jahr ihren Job in einer Marketing Firma an den Nagel gehängt.
Erstens wurde sie mies bezahlt. Und zweitens musste sie sich auf Lentil konzentrieren.
Durch das - zwar geringe, aber dennoch gute - Erbe ihrer Eltern könnte sie es sich leisten, für eine Weile die Arbeit schleifen zu lassen.
Doch was Leiza heute dazu veranlasst, sich die Decke weiter über den Kopf zuziehen, war nicht die Aussicht auf einen weiteren Tag mit Recherchen und billigem Kaffee. Vielmehr war es das Wetter.
Die Sonne schien.
Nun wird sich so mancher fragen, was Leiza wollte. Sonne war doch gut. Wahrscheinlich galt das für achtzig Prozent der Menschen. Nicht so für Leiza Smallwood. Sie verabscheute die Sonne und die Wärme. Schon immer.
Ihre Haut war zu blass, so dass jeder Sonnenstrahl ihrer Haut krebsrot verfärbte.
Doch der Hauptgrund war, dass Sonne jeden Menschen glücklich machte und es so aussah, als wäre die Welt in Ordnung.
Das galt für normale Menschen.
Menschen, deren Eltern noch lebten.
Menschen, deren Jobs gut bezahlt und zufrieden stellend waren.
Menschen, deren Brüder nicht in malaysischen Staatsgefängnissen saßen und auf den Tod warteten.Leiza stöhnte kräftig auf und schaute ein wenig unter der Decke hervor. Nichtsdestoweniger hatte sie einen vollen Terminplan. Sie musste die Koffer packen, weiter über malaysische Sitten lesen und sich vielleicht auf ein klärendes Gespräch mit ihrer einzigen Freundin und Vertrauten treffen.
Diese Freundin und Vertraute war gleichzeitig Leizas Nachbarin Irena. Sie besaß - für alle Fälle - eine Kopie von Leizas Testament.
Sie hatte das so lange mit Petersen besprochen und beide waren am Ende auf den Zweig gekommen, dass es besser wäre, so etwas zu klären.
Sollte Leiza etwas zu stoßen, so würde ihre komplette Wohnungseinrichtung an Irena übergehen, die damit machen könne, was sie wolle. Der Rest ihres Erbes solle an eine Organisation für Kriegsopfer gehen.
Und dann gab es da noch einen Brief. Einen Brief, der an Lentil gehen solle.
Dieser Brief besagte, dass Leiza, bei Zustellung des besagten Schreibens tot sei. Dass sie bei dem Versuch ihn - also Lentil - zu retten, drauf gegangen sei. Dass sie ihn liebe und alles dafür getan hätte, ihn zu befreien. Dass sie weiß, dass er unschuldig sei. Und dass sie es jederzeit wieder für ihn tun würde.
Petersen hatte das Testament einem befreundet Notaren gegeben, der auch sein eigenes und das seines Journalistenfreundes aufbewahrte.
Einerseits machte es Leiza Angst, dass es gefährlich sei. Doch andererseits tat sie es nur für Lentil.
»Hmpf«, stöhnte sie und schob sich langsam aus dem Bett heraus und tapste ins Bad.
Eine Stunde später stand sie eine Etage weiter unten vor der Tür von Irena.
Diese öffnete wie immer schwungvoll und im Bademantel. »Komm rein.«
Leiza folgte ihr in das Wohnzimmer, welches gleichzeitig auch das Schlafzimmer und die Küche war.
Die Wohnung sah genauso aus wie ihre eigene. Klein und schäbig. Es gab zwei Räume. Das Bad und das Wohn-, Schlaf-, und Essenzimmer.
Die Fenster waren groß, aber nur eins ließ sich offenen und es roch immer nach Zigarettenrauch und Kaffee.»Wie geht's dir, Leiza?«, fragte Irena und bot Leiza den einzigen Stuhl an.
»Die Sonne scheint«, sagte sie und richtet ihren Blick nach draußen.
Irena nickte wissend und zog einen Zigarette aus einer Schachtel. Fragend hielt sie diese auch Leiza hin, die ablehnte. Wie immer.
»Wie war das Treffen gestern?«
»Er konnte nicht. Es bleibt alles wie besprochen bei nächsten Mittwoch.«
»Warst du beim Amt?«
»Morgen, zwölf Uhr.«
Als Amerikanerin brauchte Leiza ein Besuchervisum vom Auswärtigen Amt um nach Malaysia fliegen zu können.
»Hast du diesen rasenden Reporter schon kennengelernt?«
»Nein, und nenne ihn nicht so.«
»Warum nicht? Das wird womöglich seine Chance auf den Pulitzer Preis, he?«
»Soll mir recht sein, so lange er dafür sorgt, dass Lentil im Gespräch ist. Je mehr Menschen davon wissen, umso mehr gerät Kawari unter Druck.«
Kawari war der Vorsitzende für die Abteilung des Todestraktes im Staatsgefängnis und somit der größte Fels im Weg von Leiza.
»Du weißt, dass ich gegen diese Reise bin, oder?«
»Natürlich. Du hast es bestimmt tausend Mal erwähnt, Irena, aber ich habe keine Wahl. Ich würde mir nie verzeihen, wenn er ... na ja, du weißt schon ...«
Auszusprechen, dass Lentil möglicherweise sterben konnte, wollte sie nicht.
»Und ich werde dir nie verzeihen, wenn dir was zu passiert. Also sieh zu, dass du deinen Arsch heil wieder in Portland landest. Natürlich mit Lentil! Trotzdem, pass auf dich auf!«
Irena nahm Leizas Hand in ihre und drückte sie ganz fest. Das war ihre Art Leiza zu zeigen, dass sie sie lieb hatte. Gefühle waren nicht so Irenas Ding.
»Ich werde mein Bestes geben.«
»Das wird wohl reichen müssen.«
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Broken Strings
AdventureAcht Jahre sitzt der Bruder von Leiza Smallwood bereits im Todestrakt eines malaysischen Gefängnisses - unschuldig! Jetzt macht sich seine Schwester auf den Weg um ihn zu holen. Was anfangs leicht erscheint, wird immer schwieriger. Je weiter sie ins...