Kapitel 18

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Das Wochenende zog sich hin. Es bestand gefühlt nur aus Essen und das machte mich wahnsinnig. Ich machte heimlich Sport auf meinen Zimmer wenn Jess nicht da war. 
Heute ist Montag. Heute startet der Horror. Gestartet mit der gehassten Waage. Wieder einmal war Luisa zuständig. Heute war mein gesamter Flur dran, also auch Jess. Diese schien das wenig zu interessieren.
Als sie rauskam zuckte sie nur mit den Schulter.
„Wie machst du das Jess, dass dich das kalt lässt?" fragte ich sie.
„Mein Gewicht interessiert mich wenig. Hauptsache ich halte es und das tue ich. Und man sieht mir mein Gewicht nicht an."sagte sie und lächelte.
„Ich wünschte ich könnte das." murmelte ich. Sie legte mir behutsam eine Hand auf die Schulter.
„Das wirst du noch. Und nun Abmarsch mit dir Luisa wartet schon."
Ich schlurfte in den Raum.
„Guten Morgen Lia. Einmal wie immer." sagte sie und zwang sich an Lächeln auf. Ich nickte stumm.
36,7kg. Lia so geht das nicht weiter. Du bekommst zwar Deinen Ernährungsplan, aber du kannst dich doch nicht zu Tode hungern. Das bereitet mir Sorgen." sagte Luisa.
„Klar als würden Sie sich um mich sorgen." Ich verdrehte genervt die Augen. Luisa schnalzte mit der Zunge.
„Lia es ist mein Job, dass du auf den Weg der Genesung kommst. Ich will niemanden was böses." sagte sie während sie meine Vitalwerte maß.
Ich sagte nichts. Ich war innerlich aufgewühlt und wollte sie nicht unnötig beleidigen.
„Deine Vitalwerte sind extrem niedrig Lia. Ich werde dir heute einen Termin beim Hausarzt geben lassen, der sich alles nochmal genau anschaut. Du hast übrigens eine Blutentnahme vor den Frühstück. Jess hat die bestimmt gezeigt wo das ist oder?" sagte Luisa. Ich schüttelte darauf den Kopf.
„Dann lass es dir gleich zeigen und hole den nächsten rein." sie lächelte gezwungen. Ich lief schnell raus. In mir stieg die Wut. Ich kann diese Frau nicht leiden!

Als ich Jess mein Herz ausgeschüttet habe, während wir uns fertig gemacht haben, versuchte sie mich aufzumuntern. Schließlich geht es uns allen am Anfang schlecht und die Sorge um die körperliche und psychische Schwäche ist größer als bei manch anderen Patienten, die schon länger da sind.
Wir gingen gemeinsam nach unten.
„Hier ist das Arztzimmer. Wir sehen uns gleich beim Essen." sie lächelte und ging dann. Zum Glück saß ich mit Jess an einem Tisch.
Ich klopfte an der Tür, bevor ich sie öffnete. Drinnen war eine junge Frau. Ich glaube kaum das sie eine Ärztin ist.
„Guten Morgen. Du musst Lia sein. Ich nehme dir zur Kontrolle Blut ab. Das ist am Anfang immer so. Außerdem wurde uns das empfohlen bei den Werten vom Krankenhaus." sagte sie und lächelte. Normalerweise habe ich keine Probleme mit Blutentnahme aber seit der Magersucht ist das anders.

„Und fertig. Nun kannst du zum Frühstück." sagte die Frau. Ich nickte, was die schwarzen Punkte nur noch mehr tanzen ließen.
„Tschüss." sagte ich und zwang mir ein Lächeln auf. Am besten ich überspiele das Ganze. Es geht ja bestimmt wieder weg.
Doch diesmal war es anders. Ich taumelte den Gang entlang und musste mich an der Wand abstützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ich nahm die zwei Treppenstufen, die zum Haupteingang führte. Mein Kopf tat weh, da ich mich so konzentrieren musste hinzuschauen.
Meine Sicht war komplett versperrt.
„Lia ist alles in Ordnung?" fragte mich eine Stimme, ich konnte sie nicht zu ordnen. Sie kam aus den Speisesaal.
„Ja. A-Alles okay." antwortete ich. Dann gaben meine Beine nach und alles war wieder komplett schwarz.

Ich spürte wie jemand mich mit leichten Schlägen auf die Wange zurückholte. Ich öffnete die Augen. Vor mir kniete einer der PED's.
„Mensch Lia was machst du bloß für Sachen? Wenn dir während der Blutentnahme schwindelig wird , hast du das umgehend zu melden!"
Ich lag immer noch auf den Boden und nickte. Mein Hinterkopf pochte.
„Aber sie holen jetzt bitte nicht den Notarzt oder?" sagte ich mir leiser Stimme. Der PED schüttelte den Kopf.
„Nein aber wir haben den Hausarzt verständig, der untersucht dich gleich. Dein Frühstück verschieben wir nach hinten." sagte er.
„Julien ist alles klar bei Lia?" fragte Luisa. Julien stand auf und reichte mir seine Hand. Er ließ mich hochziehen.
„Scheint der Kreislauf zu sein." meinte Julien. Ich hielt mich nur leicht fest und versuchte das schwanken selbst auszugleichen.
Juliens Telefon klingelte. Wahrscheinlich war es der Arzt, der jetzt Zeit hatte.
„Dann geht es für dich einmal zurück ins Arztzimmer. Herr Scholl hat jetzt Zeit für dich." sagte Julien und richtete seine Brille. Luisa begleitete uns.
Nachdem ich mich auf die Liege gelegt hatte, ging Julien.
„Wir haben abgemacht, dass du dein Frühstück während der Morgenrunde bekommst. Ich nickte. Ich hasse dieses Schwindelgefühl!
Ein Mann Mitte 50 betrat das Arztzimmer.
„Guten Tag ich bin Herr Scholl. Man hat mir mitgeteilt, dass deine Vitalwerte sowie dein Kreislauf ziemlich schwach sind,hm?" sagte Herr Scholl. Ich zuckte mit den Schultern. Sie machen daraus ein Drama und ich mache mir daraus recht wenig.
„Sowas kann schwere Hintergründe haben. Aber ich würde den Schwerpunkt auf die Anorexie setzen."
„Naja aber dagegen kann man ja körperlich wenig machen." sagte ich als er untersuchte.
„Durchaus schon. Man kann Vitamine oder Aufbaupräparate verschreiben. Vitamin B12 und Dy wäre die beste Wahl, vor allem da Veganer starke Mangelerscheinungen in der Hinsicht haben." er zwinkte mir zu. Na herzlichen Dank aber auch.

„Körperlich an sich kann ich nichts schwerwiegendes Feststellen. Warten wir die Laborwerte ab und ein EKG sollte noch gemacht werden. Sonst lasse ich die Vitamin B12 Spritzen verschreiben und das wichtige ist , dass du wieder beginnst vernünftig zu Essen. Lass dir hier helfen Lia." Herr Scholl lächelte. Ich nickte.

Bei der Morgenrunde bekam ich dann meine erste Mahlzeit nach langen. Und als mir Julien den Teller hinstellte bekam mich die Angst. Verzweifelt sah ich auf den Teller.
„Das schaffe ich niemals!" Krätze ich. Jess neben mir legte ihre Hand auf meine.
„Doch Lia das schaffst du. Müsli ist nicht so schwer. Du musst kaum kauen." sie lächelte. Anniese, Marie und Mell nickten mir zu.
„Lia deine Zeit läuft." sagte Julien. Ich konnte einfach nichts sagen. Ich hatte einen Kloß im Hals.
„Julien das ist Lias erste richtige Mahlzeit nach wahrscheinlich sehr langer Zeit. Es fällt ihr verdammt schwer. Seien Sie nicht so hart zu ihr." antwortete Annika. In meinen Augen bildeten sich Tränen. Als mich Julien ansah , nickte ich.
Er seufzte. „Gut aber versuche Dein Bestes okay?" sagte er.
„J-Ja." stammelte ich und wischte mir über die feuchten Augen.
Langsam tat ich alle Zutaten vom Müsli in eine Schüssel. Eine Banane, Soyamilch,Chiasamen und Früchtemüsli. Ich nahm den Teelöffel und nahm den ersten Bissen. Einerseits ekelte ich mich doch andererseits...nein! Soweit bin ich noch nicht! Ich ließ den Löffel sinken.
Alle gucken mich an als wäre ich ein Auto.
„Könnt ihr bitte aufhören mich anzugucken, das macht mich wahnsinnig unsicher." sagte ich verbittert. Sie wendeten ertappt ihre Blicke ab.

Die Morgenrunde war vorbei und ich saß immer noch an meinen Müsli.
„Lia ich möchte nicht unhöflich werden aber deine Zeit ist um. Du hast nicht mal die Hälfte geschafft." Julien guckte mich kritisch an.
„Das ist aber auch eine riesige Portion!" sagte ich deprimiert. Er schüttelte den Kopf.
„Nein Lia das war eine ganz normale Portion. Wenn nicht sogar noch weniger als wir anfangs normalerweise geben." Julien verschränkte die Arme.
Ich nahm mein Müsli und brachte es weg. Was bringt es mir das jetzt aufzuessen? Gar nichts. Dadurch wirst du nur fett Lia.

Laut meinen Therapieplan habe ich jetzt meine erste Therapiestunde bei Frau Dohrmann.
Ich klopfte an der Tür.
„Wie waren deine ersten Tage bei uns?" fragte Frau Dohrmann mich.
„Ganz okay aber so wirklich hilfreich war es noch nicht, ganz im Gegenteil." sagte ich.
„ Ich weiß der Anfang ist schwer aber du brauchst Zeit um dich an unser Konzept zu gewöhnen. Du wirst sehen es wird dir gefallen."
„Dann sollten die PED's auch freundlicher sein. Momentan sind sie viel zu überführsorglich. Ich meine sogar der Arzt meinte, dass mit mir alles okay sei." ich schaute grimmig drein.
„Nein so ganz stimmt das nicht. Dein Körper ist geschwächt Lia. Er sagte nur dass es nichts schwerwiegendes ist. Du musst zu Kräften kommen." sagte Frau Dohrmann und schüttelte den Kopf.
„Aber was ist wenn ich mich nicht bereit fühle? Was ist wenn ich zu große Angst davor habe?" sagte ich.
„Lia ich weiß deine Angst nur zu gut, aber du möchtest doch nicht sterben oder ?"
„Nein. Aber Ana hat mich fest im Griff. Einfach alles geschieht wie sie es will. Meine Bemühungen sind sinnlos." sagte ich traurig.
„Es haben einige Patienten vor dir geschafft gesund zu werden Lia. Es ist nicht hoffnungslos." sagte sie behutsam.
Vielleicht hatte sie recht. Aber wie sollte ich an meiner Kopfstimme arbeiten? Wie sollte ich Ana loslassen können, wenn sie mir doch so viel gibt?
Fragen über fragen.
„Lia ich glaube fest an dich. Und ich bin da wenn es schwierig wird. Du bist nicht alleine. Gebe den ganzen eine Chance , okay ?" Frau Dohrmann lächelte.
„Okay aber versprechen kann ich nicht, dass es auf Anfang funktioniert." sagte ich.
„Das weiß ich Lia, aber es freut mich dass du den ganzen eine Chance gibst. Wir wählen noch deine Therapien heute. Hast du dir was überlegt?" sagte sie.
„Kunst und Musiktherapie wäre toll und Yoga. Außerdem interessieren mich die Sporttherapien und das Emotionstraining. Und die Tanztherapie." sagte ich und lächelte.
„Der Sport wird noch warten, aber das andere werde ich einrichten lassen." sagte Frau Dohrmann und lächelte.
In mir stieg ein klitzekleines bisschen die Hoffnung.

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Neues Kapitel neues Erfahrungen. Das Kapitel viel mir schwer zu schreiben, da es mir gerade allgemein nicht so gut geht aber ich hoffe es gefällt euch 😊

Liebe Grüße Rike 🐢✌🏻

Perfect for you! [Geschichte einer Magersucht]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt