Eine weiße Friedhofskatze

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Das Blattwerk raschelte. Die Nacht war herbstlich frisch – meine Socken waren allerdings etwas nass von all den Pfützen hier auf dem Friedhof, was mit jedem Schritt, den ich tat, in meinen Schuhen matschte. Ich weiß nicht mehr, wer mich auf die Idee gebracht hatte mitten in der Nacht auf den Friedhof zu gehen. Aus wirklich allen Geschichten gruselte es mich vor Friedhöfen. Das furchtbarste aber war, dass ich jeden Moment dachte irgendein Steinzeitskelet schleiche sich von hinten an einen ran. Das hab ich zwar überstanden, aber dafür kommt Neil nicht wieder und da sitz ich jetzt: auf der anderen Straßenseite unter einer beleuchteten Bushaltestelle. Im Friedhof konnte ich nicht warten – zu gruselig. Es ist ein ewiger Zwist. Auf der einen Seite will ich nicht meine Augen schließen, den ich könnte sehen, dass sich jemand an mich heran schleicht. Aber wenn ich meine Augen schließe, stelle ich es mir vor. Vorstellen ist schlimmer, weil in Wirklichkeit schleicht sich niemand an mich ran. Normalerweise. Also lass ich meine Augen offen und schaue strickt geradeaus. Nicht nach rechts und links. Das hab ich vorhin einmal gemacht und dann nie wieder. Rechts von mir hängt nämlich die Silhouette eines aufgespießten Schweins, die Vorstellung mal wieder prägt mir das Bild ein, die Augen würden leuchten. Wenn ich aber hin schauen würde, da bin ich mir sicher, würden die Augen tatsächlich blutrot aufleuchten! Links von mir hängt ein abblätterndes Zirkusplakat. Ausgerechnet das Auge des Clowns war komplett herausgefetzt –

Moment. da raschelt etwas hinter der Mauer. Irgendwas Kleines. Mein Herz schlägt schneller. Am Ende ist es nur eine Katze. Warum müssen Friedhofskatzen auch schwarz sein? Das Haltestellenlicht funzelt. Hinter dem Friedhofstor erscheint der Schatten einer Katze – eine Katze! Und dann, noch ein Rascheln, huscht ein kleiner Fleck hervor. Der große Schatten springt zur Seite und eine kristallweiße Katze erscheint hinter dem Friedhofstor. Eine weiße Katze! Das jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken, der meine Füße am Boden einfriert. Ich schau gerade aus auf die Mauer, immer das Tor im Blick. Die Katze frisst. Und dann, komplett unerwartet ertönt das krächzende Geräusch eines zweiten Tiers – direkt unter mir. Ohne, dass ich etwas dagegen hätte tun können, stand ich auf der Bank. Eine Tigerkatze! Diese ganzen Katzen. Mein Blick wandert zurück zu der weißen Katze und diese schaut auf. Erst schaut sie den kleinen Tiger unter mir an und dann – dann mich. Ihre Augen glänzen, sie sind schal blau. Mir kommt der Gedanke an eine ausgeblichene Kinderpuppe, die ich in en Kindertagen besaß. Ihre Augen waren auch ausgeblichen. So starrte sie mich immer teilnahmslos an.

Als die weiße Katze faucht, kann ich das Fleisch hören, dass von ihrem Mauseschmaus noch zwischen ihren Zähnen hängt. Der Tiger unter mir ist verschwunden. Als ich wieder aufschaue, ist auch die andere Katze weg. Mir schaudert es bei den Gedanken an das kleine Zwischenspiel. Ich setzte mich wieder. Unter der Bank ist nichts mehr. Kein Tier ist mehr zu sehen. Erstaunlich, wie schnell die doch verschwinden konnten – erstaunlich erschreckend schnell.

Eine weitere Viertelstunde vergeht, es ist schon fast 3 Uhr. Je länger man unbeschäftigt ist, umso mehr schaurige Sachen fallen einem ein. Zu jedem Geräusch und Geruch schleicht sich eine gruselige Idee an: das Quietschen des Schweins, der kühl zitternde Wind, das Rascheln auf dem Boden, das Knacksen im Haltestellenlicht. Immer geradeaus!

Okay, um ehrlich zu sein, ich mache mir riesige Sorgen um Neil. Ich hab ihn jetzt aber schon 10 Mal angerufen und er antwortet einfach nicht! Vielleicht sollte ich dir die Geschichte erzählen: wir beide haben bei der Stadtrally mitgemacht und der Abgabetermin ist morgen um 9 Uhr. Und obwohl der Zeitraum sehr knapp bemessen war haben wir doch fast alle Hinweise innerhalb der Woche gefunden. Der oben an Schloss Pellberg hat mir am besten gefallen. Na jedenfalls, den letzten haben wir hinter der Schwimmbadhalle gefunden heute Abend und der führt uns zur Endstation in den Friedhof. Jetzt weißt du ja Bescheid: wir wollen gewinnen und uns fehlen noch 2 Zettel, der eine im Friedhof und der andere – tja wer weiß! Naja, es sind eigentlich nur noch Neil und ich, unsere Gruppe bestand zuvor noch aus 3 Leuten, aber Neils Freundin Ally hatte sich mit ihren Freundinnen verabredet. Naja, vielleicht hatte sie sich genau deshalb verabredet, um nicht mit in den Friedhof gehen zu müssen. Dabei ist sie sogar relativ taff, aber wer wirklich mal des Nachts auf einem Friedhof ist, dem vergeht der könnte das verstehen. Und dann nur allein. Oder, allein zu zweit, aber wirklich Angst nehmend ist eine Gruppe erst ab 3 Personen aufwärts. Ich kann es also verstehen...

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⏰ Last updated: Oct 07, 2017 ⏰

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Der Friedhof von JonderheimWhere stories live. Discover now