Mir bleibt augenblicklich die Luft weg und die Leere erfüllt meinen Körper. Meine Augen weiten sich und ich falle auf die Knie. Ich nehme nicht mehr wahr, was um mich herum passiert. In meinem Kopf findet nur noch ein Wort Platz. Fairy. Meine Augen bleiben trocken. Ich weiß selbst nicht ob ich um Fairy trauere. Es ist im Grunde nicht die Trauer um sie. Es ist die Tatsache, dass jemand gestorben ist. Jemand, den ich kannte. Jemand, mit dem ich mich unterhalten habe. Jemand, der so jung war. Zu jung, um zu sterben. Ich sehe alles verschwommen vor mir als ich mich wieder aufrichte. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergeht bis sich die Klasse wieder beruhigt hat. Eine Stunde... zwei Stunden... Jedenfalls vernehme ich die Stimme unserer Lehrerin. "Der Unterricht wird heute für euch ausfallen. Und... Fairys Beerdigung ist in drei Tagen." Ich nehme meine Tasche und taumele ohne ein weiteres Wort aus dem Klassenraum. Ich spüre die Blicke der anderen auf mich gerichtet, aber der Unterricht ist beendet, ich habe jedes Recht zu gehen. Ich ziehe meine schwarz-weiß gestreifte Decke, die ich als eine Art Mantel benutzte, während dem Gehen über und verlasse das Gebäude. Ich verspüre auf einmal nur noch Müdigkeit. Ich entschließe mich dafür, den Feldweg an der Schlucht entlang zu gehen. Ich möchte nicht nach Hause. Ich möchte allein sein. Ich spüre, dass ich schneller werde. Ich renne, werde schneller und noch schneller, ich glaube, so schnell bin ich noch nie gelaufen, aber es tut gut. Ich bin wütend auf alles und jeden, ich renne immer weiter, nach einigen Minuten werde ich aber langsamer und erst jetzt fällt mir auf, dass mein Herz schnell und hart gegen meine Brust pocht und ich kaum noch Luft bekomme. Ich lasse mich auf das Gras fallen und lege mich auf meine Decke. Ich sehe Vögel am Himmel, die kühle Brise und die frische Luft umgibt mich und ich schließe die Augen mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht. Ich öffne sie nach einer Weile wieder. Alles was ich höre, ist der Wind, der mir um die Ohren pfeift. Ich bin schon so weit genug von allem anderen entfernt, aber ich sehe mich zur Sicherheit nochmal um und sehe niemanden. Ich glaube, ich bin verrückt, denn irgendetwas in mir möchte unbedingt schreien. Einfach schreien. Und nicht aus Trauer, oder Trübsinn, oder Wut. Ich weiß selbst nicht wieso. Ich tue es einfach, um alles aus mir heraus zu lassen, bis ich komplett lehr bin. Die Stille um mich herum ist beängstigend. Deswegen schreie ich wirklich, und es tut gut. Ich verstumme als ich plötzlich ein anderes Geräusch höre. Es sind Schritte! Panisch sehe ich mich um und setze mich auf, es darf mich einfach niemand gesehen und gehört haben. Es kommt tatsächlich eine Gestalt auf mich zu, und ich könnte fast wieder schreien. Denn vor mir steht niemand anderes als Fairy, und zwar quicklebendig. Ich gehe einen Schritt rückwärts, wage es nicht, ihr ins Gesicht zu sehen. Eigentlich glaube ich nicht an Geister und so ein Zeug, aber ich habe das beunruhigende Gefühl, dass das, was ich zu Gesicht bekommen würde, dann doch irgendwie... Ich drehe mich um, renne aber nicht weg. Ich bleibe an der gleichen Stelle stehen und kneife die Augen zusammen. "Jooky...", höre ich ein Krächzen hinter mir. Das war ganz klar Fairys Stimme gewesen. Ganz langsam drehe ich mich um. "Du... du lebst?", meine Stimme zittert, aber ich sehe ihr nun wirklich ins Gesicht und ich sehe kein Geistergesicht oder auch nur annähernd so etwas. Ich sehe Fairy, ihr Gesicht ist verweint und sie hat einen riesigen Kratzer quer übers Gesicht, er zieht sich von ihrem linken Augen hinunter bis zu ihrem rechten Mundwinkel, und doch lächelt sie schwach. Sie nickt leicht, und ich kann wirklich nicht anders, ich fange an zu strahlen und umarme sie. Sie ist eigentlich nicht wirklich meine Freundin, aber irgendwie freue ich mich dann doch, dass sie lebt. Tränen schießen mir in die Augen und ich bete, dass ich jetzt nicht auch noch anfange zu weinen. Aber das tue ich. Und Fairy tut es auch, denn meine rechte Schulter ist bald so nass, dass ich es durch den Pullover spüre. Als wir uns wieder voneinander lösen, sehe ich sie eine ganze Weile einfach nur fassungslos an. Dann sprudeln meine Fragen einfach nur aus mir heraus. "Aber... deine Leiche wurde doch gefunden. Und deine Beerdigung ist auch schon geplant. Und... was ist überhaupt passiert?" Ich wische mir mit dem Ärmel über das Gesicht und sehe Fairy erwartungsvoll an. Sie sieht zu Boden. "Als ich gestern bei dir Zuhause war, wollte ich es dir eigentlich schon sagen. Ich weiß, wir sind eigentlich keine Freundinnen. Aber... ich habe hier überhaupt niemanden, und ich brauchte eine Person, der ich mich anvertrauen konnte, und irgendwie... dachte ich dann an dich." Leichte Röte schießt ihr ins Gesicht und ich muss leicht schmunzeln. Ich fühle mich aber auch irgendwie wieder gewollt. "Deswegen hab' ich dir von deiner Schwester ausrichten lassen, dass ich heute nicht in der Schule bin. Mehr konnte ich ihr nicht sagen, aber ich wollte nicht dumm dastehen wie eine fünfjährige, die ihre Freundin besuchen will die dann aber nicht da ist." Sie lächelte schwach aber ihr Blick war müde. "Jedenfalls habe ich das ganze lange vorbereitet. Die zerfetzte Leiche... ich habe Klamotten von mir zerrissen und Fleisch mit Knochen besorgt, das Risiko war nur, dass sie das Fleisch untersuchen oder meine Mutter nicht weiß, welche Klamotten ich trage oder... ach, ich weiß auch nicht wieso sie wirklich dachten, dass das meine Leiche wäre. Denn es gab ja noch nicht einmal einen Kopf. Früher oder später wird wahrscheinlich auffallen, dass das nur ein totes Schwein in meinen Klamotten war. Ich hab dem Schwein übrigens meine Schuhe und meine Kappe angezogen, denn die kennt meine mutter ja... hoffentlich. Ach, irgendwie erzähl ich ja völligen Quatsch. Ich hab selbst nicht geglaubt, dass das funktioniert. Hat es aber. Naja, ich bin weggelaufen. Weil meine Eltern mich... es ging mir einfach etwas zu weit, ich wollte es nicht weiter mitmachen. Mein Vater ging letztendlich schon mit dem Messer auch mich los. Daher auch der... Kratzer" Ich reiße die Augen auf. "Dein Vater ging mit dem Messer auf dich los? Das hättest du anzeigen können!" Fairy nickt betroffen. "Sie haben zu viel getrunken. Ich will, dass sie auch mal erfahren, wie es ist, wenn man einfach nicht mehr weiter weiß. Vorerst sollen sie glauben dass ich tot bin. Und wenn ich so weit bin, werde ich sie anzeigen. Ich bin mir sicher dass es nicht mehr lange dauern wird, bis jemand andere sich meine angebliche Leiche ansieht. Es war im Grunde nur meine Mutter, die es gefunden hat. Ich weiß auch nicht... aber die Puzzleteile passten zusammen." Ich nicke langsam. "Und was habe ich jetzt mit der ganzen Sache zu tun? Ich meine, wenn sie das ganze herausfinden, kommst du doch sowieso irgendwo... ins Heim oder so." Fairy seufzt. "Aber genau das will ich nicht! Ich werde von nun an allein leben. In der Wildnis. Und ich wäre froh wenn du mir hilfst" Ihre Augen glitzern. Aber sie kommt mir in diesem Moment wirklich einfach nur kindisch und dämlich vor. Ich unterdrücke nur mit Mühe einen hysterischen Lachanfall, denn so etwas denken sich 10-jährige, aber doch keine jugendlichen Mädchen! "Meine Güte, Fairy. Tut mir leid wenn ich das jetzt so sage, aber deine Idee ist ein wenig kindisch und total... ach, ich weiß auch nicht, aber..." Ich kann es nun nicht mehr zurückhalten und ich fange an zu kichern, woraus sich schnell ein Lachen entwickelt. Fairy sieht mich verletzt an. "Du verstehst das ja nicht!", ruft sie und ich verstumme, mir tut das ganze echt ein wenig leid. "Du wurdest von deinen Eltern nie so behandelt! Du bist glücklich in deiner Familie aufgewachsen!" Ich denke an den Moment, an dem uns verkündet wurde, dass Fairy tot war. "Weißt du eigentlich, wie schlimm das für uns alle war, als unsere Lehrerin uns gesagt hat, dass du tot bist! Wir dachten es wirklich! Und einige denken es immer noch! Du hättest dieses Problem ganz anders lösen können, denn das war nun wirklich... ach es tut mir leid Fairy, was du alles durchmachen musstest und überhaupt. Aber lass uns einen Diel machen: Wir warten bis morgen. Doch spätestens dann werde ich deinen Eltern und allen anderen bescheid geben, dass das ganze ein Irrtum war und ich werde deine Eltern anzeigen. Es war nämlich nicht... wirklich gar nicht gut was sie gemacht haben. Morgen Abend ist diese Feier, du kannst hinkommen und uns alle überraschen. In Ordnung?" Langsam, ganz langsam nickt Fairy und ich setze mich auf den Boden und deute neben mich. Fairy setzt sich und ich lege einen Arm um sie. Sie fängt an zu schluchzen und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Sie war verschwunden, hat mich nur für kurze Zeit in dem Glauben gelassen, sie sei tot. So absurd die Situation ist - ich habe sie gefunden.
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...der nächste Teil folgt
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Darkness - Letzte Hoffnung
Science FictionWas würdest du tun, wenn die Erde plötzlich aufhört sich zu drehen und alles zerstört wird? Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass dir nicht mehr viel Zeit bleibt, bis die Welt untergeht? Als Jooky in diese vollkommene Katastrophe verwickelt wir...