Erste Stunde. Phillip (mit einem p) hält heute einen Vortrag über den Kohlenstoffkreislauf. Herr Schreiner hat uns deshalb einen Raum mit Smartboard besorgt. Den Physikraum. Ich hasse es, wenn Lehrer so etwas machen. Dann setzen sich alle immer irgendwo hin und ich komme jedes Mal in Verlegenheit, weil ich niemanden finde, der neben mir sitzen will. Ich weiß nicht einmal woran das liegt. Ich stinke nicht. Ich quatsche die anderen im Unterricht nicht voll. Ich bohre nicht in meiner Nase (anders als Mark, der seine Popel immer unter seinen Stuhl schmiert). Heute frage ich gar nicht erst, ob jemand neben mir sitzen will, sondern gehe gleich allein nach hinten. Phillip (mit einem p) spricht sehr leise und nuschelt ein wenig.
„Heute möchte ich meinen Vortrag über den äh Kohlenstoffkreislauf halten."
Fette Lüge! Jeder weiß, dass seine Mutter persönlich zu Herrn Schreiner gegangen ist und ihn gebeten hat, Phillip (mit einem p) seine Note durch einen Vortrag verbessern zu lassen. Phillip (mit einem p) ist der, der den Klassendurchschnitt jedes Jahr ein bisschen nach unten zieht. Ich weiß nicht ob er stinke-faul oder einfach nur dumm ist. Die Tür geht auf. Sie kommt herein.
„Es tut mir so leid Herr Schreiner. Mein Fahrrad hatte einen Platten, da musste ich laufen", sagte sie außer Atem.
„Setz' dich." Herr Schreiner kann ihr nicht böse sein. Niemand könnte das. Sie ist einfach zu schön. Jeder will ihr gefallen. Ich will es zumindest. Sie geht durch die Reihen. Hat einen Gang wie eine Fee. Kommt nach hinten. Guckt sich um. Neben mir ist noch ein Platz. Neben Mark auch. Sie setzt sich ohne zu zögern neben mich. Warum nicht neben Mark? Warum ich? Rieche ich wenigstens gut? Habe ich was zwischen den Zähnen? Nein. Heute kein Mohnbrötchen gefrühstückt. Sehe ich gut aus? Oh Gott, ich weiß es nicht. Sie sitzt neben mir!
„Was habe ich verpasst?", flüstert sie.
„Ähm...Phillip mit einem p möchte uns gezwungenermaßen einen Vortrag über den Kohlenstoffkreislauf halten." Sie lacht. Mist. Was habe ich gesagt? Lacht sie mich aus? Ich starre auf ihren perfekten Mund. Ihre Lippen sind mit roten Lippenstift nachgezogen. Aber nicht so, dass es billig aussieht, sondern so, dass sie aussieht wie ein Model aus den zwanzigern Jahren. Ihre Zähne sind strahlend weiß und gerade.
„So hat er sich mir auch vorgestellt. 'Ich bin Phillip. Mit einem p.' Glaubst du seine Mutter hat den Vortrag für ihn ausgearbeitet?" Oh. Das habe ich gesagt. Ich grinse zurück.
„Könnte ich mir fast vorstellen." Sie kicherte vor sich hin und ihre mandelförmigen Augen funkeln. Sie streicht sich das seidige Haar zurück und nimmt einen Stift aus ihrer Federtasche, um mit zu schreiben. Ihre Hände sehen aus, als würde sie sie jeden Tag eincremen. Ihre Nägel sind nicht zu lang und nicht zu kurz. Sie hat sie mit Klarlack lackiert. Das wirkt bei ihr so prinzessinenhaft, wie es bei anderen kein Nagelstudio der Welt hinbekäme. Ich verliere mich heimlich in dem Anblick ihres Profils. Sie ist so vollkommen, dass ich mich neben ihr wie ein Schimpanse fühle. Die Stunde geht fast zu schnell vorbei. Sie steht auf.
„Wir könnten uns ruhig öfter nebeneinander setzen, Emilia!", sagt sie.
„Ja, gern."
Ich nickte und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Stört's dich, wenn ich schon vorgehe?"
„Ach, Quatsch."
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The Fear Of Being Forgotten
PoesieTexte Gedichte Worte Gedankenfetzen, die es wert sind niedergeschrieben zu werden, aber zu klein sind, um eine Geschichte daraus zu weben. Vielleicht findet ihr euch in dem ein oder anderem Text wieder. || Genau wie Augustus Waters (The Fault In Our...