KAPITEL 6 - ZERSTÖRUNG

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"Lass sie doch schlafen", höre ich eine Stimme von weit entfernt. "Sie ist doch sicher noch erschöpft. Reden kannst du später noch mit ihr." Ich höre ein tiefes Grummeln. "Das Mädchen schläft jetzt schon seid drei Tagen. Sie muss etwas trinken und essen." Ich öffne meine Augen und sehe zwei Männer vor mir stehen, die sich lebhaft unterhalten. Einer der beiden starrt mich an. "Na bitte, sie ist wach.", blafft er. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Mein Körper schmerzt immer noch. Aber ich fühle mich nicht mehr ganz so schlaff wie vor drei Tagen. So lange hatte ich den beiden Männern nach zumindest geschlafen. Ich hole Luft. "Was ist passiert?", frage ich, aber meine Stimme ist nur der leise Hauch eines Krächzens, ich bin mir fast sicher, dass sie es nicht gehört haben. "Stell keine Fragen. Ruh dich aus und hör zu. Du kannst nicken oder den Kopf schütteln wenn wir dich was fragen." Einer der Männer funkelt mich böse an und ich nicke steif. Oder versuche es zumindest. "Gut", fährt der Mann fort. "Wie wir alle wissen sind wir hier in die totale Katastrophe verwickelt die den Tod der Menschheit bedeutet. Wir stehen kurz vor dem Weltuntergang, uns bleibt nur noch wenig Zeit ein bewohnbares Gebiet zu schaffen wo die Überlebenden unterkommen können um wenigstens noch eine Weile zu überleben." Ich sehe den Mann fragend und geschockt zugleich an, aber ich verstehe nicht ganz. Weltuntergang? Er seufzt und sieht zum anderen Mann. "Siehst du Mark, ich hab dir gesagt sie kann sich nicht erinnern." Der andere Mann, Mark, zuckt nur mit den Schultern und schaut mich stumm an. "Nun", fährt der wieder andere fort, "die Erde hat aufgehört sich um ihre eigene Achse zu drehen. Wir können von Glück reden dass sie nicht von jetzt auf gleich stehen geblieben ist sondern erst nur jede Stunde je 0,2 Stundenkilometer langsamer geworden ist. Das haben wir eigentlich nicht gespürt. Hätte sie nicht langsam gebremst, wären wir alle tot. So waren es nur 103 Stundenkilometer, die euch nach Osten geschleudert haben. Die Erde verlangsamt sich schon seit einem Jahr... Wir haben das vor einigen Monaten herausgefunden, wollten aber keine Panik verursachen und haben niemandem etwas gesagt, niemand war gewarnt. Hast du dich nicht gewundert wieso Tag und Nacht plötzlich so unregelmäßig war und es manchmal bis tief in die Nacht hell war, oder sogar gar nicht dunkel wurde?" Ich zucke zusammen als der Mann das sagt. Die Erde ist stehen geblieben? Panik steigt in mir auf. Auf Tag und Nacht habe ich eigentlich gar nicht so geachtet. "Wir haben uns vor zwei Wochen aufgemacht und haben alle Menschen aufgesammelt die uns über den Weg gelaufen sind. Unsere Organisation hat in diesen Wochen insgesamt 7892 Menschen gefunden und hierher gebracht. Diesen tiefen sicheren Keller haben wir gebaut, mit 10000 Sicherheitsgurten an denen man sich festschnallen kann wenn es losgeht. Hier ist alles einigermaßen sicher verbaut. Zur Sicherheit ist hier eben auch ein Krankenhaus eingerichtet. Elektrischen Strom gibt es hier nicht, es ist alles batteriebetrieben. Wir sind mit der Wissenschaft wegen dem Druck in nur einem Jahr sehr weit gekommen und haben erstaunliche Dinge herausgefunden. Hier unten werden wir vorerst alle bleiben. Einige Rettungstrupps sind noch unterwegs, um Überlebende aufzusammeln. Bis jetzt haben wir erstaunlicherweise 438 Menschen gefunden, die meisten sind ungefähr in deinem Alter und einige etwas älter, aber Kleinkinder und alte Leute haben es größtenteils nicht geschafft" Er seufzt. Ich denke blitzartig an meine Familie. Meine Eltern und Caddy. Und überhaupt alle anderen die mir etwas bedeutet haben. Louise. Fairy. Sie sind wahrscheinlich alle tot. Mein Herz pocht laut gegen meine Brust und ich habe das Gefühl, dass mein Kopf anschwillt und gleich platzt. Panik steigt in mir auf, Furcht vor der Wahrheit. Vor ein paar Tagen habe ich es nicht einmal für möglich gehalten, dass Fairy tot sein könnte. Jetzt sind es alle. "Ich weiß, dass sind viele Informationen auf einmal. Ich bin übrigens Gof, dein Arzt." Er runzelt die Stirn. "Möchtest du etwas essen? Du bist ganz blass" So fühle ich mich auch. Ich schüttle den Kopf. "Na gut. Wir sehen später nochmal nach dir. Ruh dich aus." Ich schüttle wieder den Kopf. So kann ich mich nicht ausruhen. Nicht, bevor ich mit Sicherheit weiß, ob meine Familie und Freunde leben... "Ach nein? Ach, da fällt mir noch ein, fürs Register der Überlebenden: Wie heißt du und wie alt bist du?" Jetzt darf ich auf einmal sprechen. "Jocelin Americans, 14", krächze ich. "Americans? Ich glaube wir hatten schon ein Mädchen mit diesem Namen. Die haben wir am Morgen der Katastrophe noch aufsammeln können, ihr geht es gut. Wie heißt sie doch? Irgendwas mit K... Katti oder so. Vielleicht auch mit C. Catti." Mein Herz fängt an schneller zu pochen. "Caddy?", frage ich aufgeregt. "Ja, könnte sein. Ich kann sie rufen, dann kann sie dich besuchen." Ich nicke begeistert und Gof holt eine Art Minnie-Mikrofon aus seiner Hosentasche. "Caddy Americans, bitte in Krankenzimmer 0097 kommen." Es ist ohrenbetäubend. Gof sieht mich an. "Sie sollte demnächst da sein. Wenn du übrigens wissen willst, in welcher gesundheitlichen Verfassung du bist, sag bescheid." Ich nicke schluckend. "Nun..." Gof kramt in einer Schublade neben meinem Bett. "4 deiner Rippen sind gebrochen, eine davon doppelt, deine linke Schulter ist völlig ausgekugelt, rechter Ellenbogen zertrümmert. Ein schweres Schleudertrauma im Nacken und doppelter Bruch deines linken Schienbeins, allerdings ist dein rechtes Bein abgesehen von ein paar blauen Flecken und Schrammen unversehrt. Dein linker Arm ist gequetscht, aber keine Knochenbrüche und dein linker Zeigefinger ist angebrochen. Die Gehirnerschütterung ist zum Glück nicht so schlimm. Das war's denke ich. Naja, dauert ein bisschen bis du wieder auf den Beinen stehst." Mein Herz pocht laut und ich lasse Gofs Worte noch einmal durch meinen Kopf gehen. Ellenbogen zertrümmert. Ich spüre einen dicken Klos in meinem Hals. Früher, als kleines Kind, hatte ich mir mal den Daumen gebrochen. Ich kann mich daran erinnern, wie schlimm ich es fand, immer darauf achten zu müssen und dauernd ins Krankenhaus zu fahren. Aber das war nichts im Vergleich hierzu. Ich hörte ein Piepsen. "Oh, das Mädchen ist da", sagt Gof und öffnet die Tür. Ein riesiger Stein fällt mir vom Herzen als ich Caddy strahlendes und erleichtertes Gesicht sehe und ich lächele auch. Ich würde ihr am liebsten entgegenrennen, weiß aber genau, dass das nicht möglich ist. Stattdessen kommt sie auf mich zu und beugt sich über mich. Mir steigen die Tränen in die Augen als sie mich vorsichtig umarmt. "Oh, Jooky", schluchzt auch sie. "Ich dachte wirklich, ihr wärt alle... ihr hättet es alle nicht mehr geschafft! Ich hab' fast die ganze Zeit durchgeheult, ich bin so froh dass du lebst!" Sie lehnt sich zurück und sieht mich mit verweintem Gesicht an. Ich kann nicht dagegen tun, mir rinnen auch schon Tränen über's Gesicht. "Was ist mit Mama? Und Papa?", krächze ich mit meiner schwachen Stimme. Caddy schüttelt traurig den Kopf. "Von ihnen hab ich nichts gehört. Sie haben es wohl nicht geschafft" Ihre Worte lassen meinen Kopf fast zerplatzen, ich habe das Gefühl, innerlich zerquetscht zu werden. "Nein!", hauche ich. Caddy nickt. Und das ist wie ein Kommando, denn ich fange noch schlimmer an zu weinen. 

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Ich muss blinzeln, denn Gof strahlt mir plötzlich mit einer grellen Lampe mitten ins Gesicht. Caddy sitzt auf meiner Bettkante und sieht ihm schweigend dabei zu. Ich habe mich wieder etwas erholt, nachdem ich vor ein paar Stunden Caddy getroffen habe, habe ich noch mal ein bisschen geschlafen. Und Gof hat mich gerade mit der Lampe aufgeweckt. Mir fällt das erste Mal sein etwas merkwürdiges Aussehen aus - er hat braune Locken die ihm bis zu den Schultern herabhängen, grüne stechende Augen und eine leicht krumme Nase. Doch was mich ein bisschen verwirrt, sind seine vielen Sommersprossen. Mit den Bartstoppeln in seinem Gesicht sieht er außerdem nicht gerade frisch aus. Das ist er wahrscheinlich auch nicht. "Aufwachen. Jetzt musst du wirklich was trinken. Und essen. So dürr wie du schon bist" Ich gehe gar nicht auf seinen Kommentar ein, ehrlich gesagt ist mir das im Moment egal. Ich nicke stumpf und muss wieder an meine Eltern denken. Da springt Caddy auf. "Mir fällt da was ein! Warte, ich bin gleich zurück!" Und schon stürmt sie aus dem Zimmer. Gof folgt ihr stirnrunzelnd, wahrscheinlich holt er etwas zu Essen. Ich spüre tatsächlich dass mein Magen lehr ist. Aber das ist mir im Moment egal. Ich warte stattdessen auf Caddy und Gof. Ich muss an Lou und Fairy denken und kann nur hoffen, dass es ihnen gut geht. - Dass ihnen nicht das Gleiche wie meinen Eltern zugestoßen ist. Ich spüre den dicken Klos wieder in meinem Hals und fange an Sekunden zu zählen, um mich abzulenken. Bei 345 kommt Caddy in das Zimmer gepoltert. Und das nicht allein. "LOU!", kreische ich, oder zumindest habe ich vor es zu kreischen. Denn meine Stimme hat sich noch nicht ganz erholt und es ist leider wieder nur ein etwas heiseres Krächzen. Aber ich glaube man kann mir meine Begeisterung anmerken. Lou kommt mit mattem Lächeln im Rollstuhl auf mich zugefahren. "Hey", begrüßt sie mich strahlend. "Warum bist du im Rollstuhl? Was ist bei dir passiert?", frage ich. Lou überlegt kurz bevor sie antwortet. "Man fand mich unter einem Baumstamm, meine Beine waren anscheinend dort eingeklemmt. Seltsamerweise hat mein Körper keinen Schaden genommen." Sie sieht traurig zu Boden, mir fällt außerdem auf dass diese Erklärung ihren Rollstuhl nicht erklärt. "Hm... bis auf meine Beine eben. Sie waren ja eingeklemmt, und jetzt... spüre ich sie nicht mehr. Und ich werde sie wohl auch nie wieder spüren laut den Ärzten." Ich sehe sie mitfühlend an. "Dann kannst du ja nie wieder laufen. Es tut mir so leid für dich Lou." Sie zuckt mit den Schulter aber sofort erfüllt wieder ein Lächeln ihr Gesicht. "Hauptsache wir leben noch. Irgendwann wird das wohl wieder. Meine Eltern sind auch hier, sie wurden am Morgen aufgesammelt. Sie haben sogar Peak mitgenommen!" Ich kann auf ihrem Gesicht ablesen, dass sie das riesig freut. "Oh Jooky, ich hatte die ganze Zeit solche Angst, dass du es nicht geschafft hast..." Ich nicke schwach. "Wer hat es noch geschafft?", frage ich "Von denen die ich kenne?" "Fairy hat es jedenfalls geschafft, sie ist noch nicht wohlauf, liegt noch im Bett, wird sich aber wohl wieder erholen. Und ich meine, ich habe Tino gesehen. Er geht auf Krücken, sieht aber sonst ziemlich unverletzt aus. Ich glaube, sie haben ihn noch aufgesammelt. Das würde aber nicht seine Krücken erklären. Naja." Fairy lebt! Mein Herz fängt aufgeregt an zu pochen. Und Tino kenne ich zwar nicht wirklich, trotzdem freue ich mich irgendwie, dass auch er wohlauf ist. Lou fährt fort. "Naja, sonst habe ich noch niemanden gesehen." Sie sieht irgendwie traurig aus. "Ich weiß auch nicht, was mit meiner Cousine ist."

Darkness - Letzte HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt