Kapitel 45 - „Legilimens."

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Kapitel 45 - „Legilimens."

Mit jedem Wort, das ich sagte, konnte ich sehen, wie er sich mehr und mehr versteifte. Seine Kiefer mahlen aufeinander und seine Halsschlagader pocht wie wild unter seiner Haut.
Ich bin erstaunt, wie ruhig ich bleiben kann. Mein Magen verkrampft sich zwar, aber Severus' Nähe und Wärme schaffen es, meinen Puls zu beruhigen. Auch wenn wir uns nicht berühren – er hält noch immer etwas Abstand von mir, was ich ihm sehr danke – wirkt es so, als wäre er nie fort gewesen. Als wäre ich nie fort gewesen.
„Ich-ich will es dir zeigen", hauche ich. Augenblicklich versteift er sich und reißt seine Augen auf, ehe er hart schluckt.
„Bist du sicher?", fragt er heiser, seine Stimme zittert. Ich weiß, dass er sich bereits arg zurückhalten muss. Er ist hasserfüllt.
„Ja", gebe ich mit tränenerstickter Stimme zurück und schließe meine Augen, darauf wartend, was als nächstes passiert.
„Legilimens", murmelt er und augenblicklich spüre ich, dass mein Kopf ausgefüllt wird. Es fühlt sich merkwürdig an. Als wäre ein zweites Bewusstsein in mich eingedrungen. Meine Hände krallen sich in den Stoff meiner Hose. Severus gibt mir Zeit, bis ich mich an ihn gewöhnt habe.
Ich kann nicht verstehen, wie Harry das all die Jahre mit Voldemort in seinem Kopf ausgehalten hat.
Diese Erfahrung ist intimer als alles, das ich bisher mit ihm erlebt habe. Ich habe jede Stelle seines Körpers bereits erkundet, er kennt jede meines. Aber das hier ist ein vollkommen neues Gefühl.
„Sehr schmeichelhaft, Miss Granger", röhrt er leise und ich kann das Schmunzeln in seiner Stimme deutlich hören. Erst da fällt mir ein, dass er ja alles sehen und hören kann, an das ich denke. Prompt schießt mir die Röte ins Gesicht.
„Entschuldigung", murmle ich verlegen, atme tief durch und versuche, mich auf das zu konzentrieren, was ich ihm zeigen will.
Bunte Bilder fliegen an meinem inneren Auge vorbei, gefolgt von düsteren, schmerzhaften Erinnerungen. Wir bleiben bei einem Rahmen hängen, die Szene wirkt verschwommen, ehe sie sich langsam aufklärt und wie ein Film zu spielen beginnt.

Langsam hatte ich versucht, das von der Wand rinnende Regenwasser aufzusammeln. Ich hatte meine Hände zu einer Schale geformt. Die schweren Eisenketten zogen sie immer wieder herunter, wenn ich die Kraft verlor, die Handschellen schnitten sich in meine ohnehin schon wunden Handgelenke und ließen mich vor Schmerzen stöhnen.
Aber ich brauchte etwas zu Trinken. Meine Kehle war staubtrocken und gereizt. Das viele Schreien hatte sein Übriges getan.
Schmerzen durchzogen meinen Körper, als ich meine Hände zu meinem Mund führte. Das wenige Wasser, das durch meine Finger rann, schaffte es nicht bis in meine Kehle.
Verzweifelt schrie ich auf, ließ meinen Kopf gegen die kalte Wand sinken und saß reglos da. Alle Kraft hatte meinen Körper verlassen.
Ich schreckte auf, als die schwere Eisentür aufgeschoben wurde. Mein Herz begann zu rasen, Panik floss durch meinen Körper.
„Was machst du für einen Krach, Püppchen?", höhnte er, während er mit seinem Zauberstab spielte. Sein Gesicht war noch unter der Maske versteckt, ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wer sich darunter verbarg.
„Lassen Sie mich gehen, bitte", flehte ich leise, die Tränen beschlugen meine Stimme. Er lachte.
„Nein, nein. Wir haben noch ein bisschen was zu erledigen." Mit großen Schritten kam er auf mich zugelaufen und kniete sich vor mir hin. Er stank nach billigem Fusel und Zigarettenrauch. Angewidert rümpfte ich die Nase und wich – vergeblich – nach hinten aus.
Seine Hand schnellte nach vorne und traf mich mitten im Gesicht. Ein spitzer Schrei entfuhr mir, ehe ich zusammensackte und die Ketten unerbittlich an meinen Handgelenken zerrten.
„So schöne Haut", flüsterte er leise, als er seine widerliche Hand auf die Stelle legte, die er gerade getroffen hatte.
Ich hatte meine Augen zugekniffen, wollte ihn nicht ansehen. Und da traf es mich vollkommen unerwartet.
„CRUCIO!", schrie er und keine Sekunde später hing ich wie ein zitterndes Stück Fleisch in den Fesseln. Ich schrie so laut ich nur konnte, schrie mir die Schmerzen aus dem Körper, doch sie wollten nicht nachlassen.

„Genug", knurrt Severus und plötzlich endet die Szene in meinem Kopf. Ich spüre, dass er sich abrupt aus mir zurückgezogen hat, die plötzliche Leere in meinem Hirn fühlt sich merkwürdig an.
Augenblicklich spüre ich, wie eine riesige Welle mich überschwemmt. Haltlos beginne ich zu schluchzen, dicke Tränen kullern meine Wange entlang und tropfen auf das Sofa. Ich beginne am ganzen Körper zu zittern und presse meine Augenlider fest aufeinander.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee, das alles bewusst nochmal erleben zu müssen. Immer und immer wieder schnappe ich nach Luft, während ich wie ein Schlosshund heule.
Ich spüre zwei Hände an meinen Schultern und finde mich keine Sekunde später an Severus' Brust gelehnt wieder. Und es macht mir nichts aus. Ich will, dass er mich hält. Will, dass er bei mir ist.
Ich entspanne meinen Körper und weine in Severus' Roben. Lausche seinem aufgeregten Herzschlag und seinen kurzen Atemzügen. Lasse mich von seiner Wärme und seinem Duft umhüllen und weine jede Träne, die ich die letzten Monate alleine geweint habe, noch einmal und dieses Mal ist er bei mir.
„Shhh", höre ich ihn leise sagen, während seine Finger immer wieder über meinen Rücken streichen.

*~*

Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, sie in meinen Armen halten zu können. Die ganze Wut und der ganze Hass, die eben noch meinen Körper ausgefüllt haben, sind wie verraucht. Ich habe meine Rache bereits bekommen, ich konnte dabei zusehen, wie Rodolphus das Leben aus dem Körper lief.
Jetzt gibt es nur eine Sache für mich, die es wert ist, dass ich meine Aufmerksamkeit darauf richte, und diese liegt gerade in meinen Armen.
Ich weiß nicht, wie lange ich mir gewünscht habe, dass es so sein würde, und nun ist es wahrhaftig. Ihr zitternder Körper ist fest an meinen gepresst, ihre Tränen durchnässen den Stoff an meiner Brust und auch wenn die Umstände alles andere, als ideal sind, kann ich mir für diesen Moment nichts schöneres vorstellen.
Vielleicht ist es eine Art Therapie, wenn sie die Szenen noch einmal erlebt. Wenn sie merkt, dass sie nicht mehr alleine ist. Dass jemand für sie da ist. Dass ich für sie da bin.
Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde. Und ich wusste auch, dass wir viel aufzuarbeiten hätten.
Und ich denke, dass wir einen Schritt in die richtige Richtung gemacht haben. Sie lässt sich von mir anfassen, nimmt meine Liebe endlich an. Nach langen Wochen, die ich darum gekämpft hatte. In denen ich dachte, dass sie mich nicht mehr ertragen könnte. Dass sie mir – berechtigterweise – die Schuld daran gibt.
Als sie vorhin in die Kerker zurückkam und mit mir sprach, machte mein Herz einen Sprung. Ich hatte nicht geglaubt, dass es wieder dazu in der Lage wäre, nach allem, was wir durchmachen mussten. Und doch war es das schönste Gefühl dieses merlinverdammten Planeten, als sie mich ansah und mir endlich Antwort gab.
Ich verstärke meinen Griff um ihren Körper noch einmal und vergrabe meine Nase in ihren Haaren. In ihren wunderbar duftenden Haaren, die ich so lange so sehr vermisst hatte.
Ich sauge ihren Duft ein und schließe meine Augen. Wie sehr ich mich danach gesehnt hatte.
„Ich bin da", murmle ich gegen ihre Kopfhaut. Heftige Schluchzer schütteln sie durch, sie scheint alle Tränen, die sie bereits weinte, noch einmal zu weinen.
Ich halte sie einfach, genieße ihre Wärme und ihren Duft. Es fühlt sich beinahe an, als wäre das hier das Ende. Das Ende einer langen, beschwerlichen Reise. Wie eine Offenbarung, die durch den Körper fährt und einen erkennen lässt, was wirklich wichtig ist.
„Es tut so weh", wimmert sie an meiner Brust und meine Kehle schnürt sich zu. Ich hasse es, sie so leiden zu sehen. „Es sind immer wieder dieselben Bilder. Immer wieder."
„Es wird besser werden", flüstere ich in ihre Haare. „Das verspreche ich." Sie schnieft laut, ehe sie zitternd einatmet. Sie hat sich beruhigt, nur noch vereinzelt wird ihr Körper durchgeschüttelt.
„Ich kann an nichts anderes mehr denken." Ihre Stimme klingt wackelig. Ich hauche ihr einen winzigen Kuss auf die Haare.
„Dann wird es Zeit, dass du mal etwas anderes siehst." Sie hebt ihren Kopf und blickt mich mit ihren roten Augen an. Nasse Spuren zieren ihr wunderschönes Gesicht.
„Wie meinst du das?", fragt sie leise, ehe sie sich die restlichen Tränen aus den Augen wischt. Ich ziehe einen Mundwinkel und eine Augenbraue in die Höhe.
„Für jede solcher Erinnerungen, zeige ich dir eine meiner schönsten", antworte ich leise.
„Wir tauschen sie also einfach aus?" Ihre Stimme klingt aufgeregt, beinahe sehnsüchtig.
„Wir könnten es jedenfalls versuchen", gebe ich zurück und nehme sie ein letztes Mal in meine Arme, drücke sie an mich, ehe ich sie gehen lasse, damit sie sich aufrichten kann.
„Bereit?", frage ich. Sie nickt.
„Bereit", antwortet sie mit fester Stimme. Sie hat ihren Rücken gestrafft und blickt mir tief in die Augen. Und es ist wieder so, als könnte sie bis in meine Seele blicken. Sie atmet tief durch, ehe sie ihren Zauberstab hebt. „Legilimens."

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