Bezumyy.

12 0 0
                                    

Mikail war es leid.

Diese Leere.
Es war kein Heute-ist-nicht-mein-Tag Gefühl.
Es ist kein Jemand-hat-mich-schief-angesehen Typ von Gefühl.
Es ist definitiv keine Phase die man überlebt und später darüber lacht.
Wenn überhaupt, konnte eine Phase ein ganzes Leben lang andauern?
Kann man sich über Jahrzehnte hinweg immer gleich fühlen?
Immer dasselbe erleben? Immer dasselbe empfinden? Immer dasselbe falsche lächeln aufsetzen? Immer so tun als würde man irgendwie dazugehören?
Leer sein, aber alles viel zu intensiv spüren?

Manchmal fühlt es sich an, als würde jemand unzählig viele Glassplitter in Mika's Brust rammen und sie nach und nach, mit jedem gewonnenen Kampf herausziehen.
Verliert er ihn, den Kampf gegen sich selbst, so werden alle Scherben mit doppelter Intensität, schärfer als zuvor, wieder in die schon offenen Wunden gesteckt. Immer wieder und immer wieder. Die Wunden würden niemals heilen, sie würden sich entzünden und dich nach und nach vergiften bis psychischer Schmerz plötzlich physisch wird.

Kennst du das?
Diese Scherben in dir?

Eine Sammlung kleiner trauriger Geschichten die im Frühen Sonnenlicht wie kleine Regenbogen auf Arme und Beine projiziert werden würden. Sodass jeder von außen auch plötzlich deine inneren Wunden sehen würde.

So würde jeder es einfach Bluten lassen. Mikael selbst würde sich einfach verbluten lassen.

Immer dasselbe.
Und das sein Leben lang. Tag ein, Tag aus.

Der Mensch ist ein unglaubliches Wesen.
Man gewöhnt sich schnell an Schmerz, ihn zu akzeptieren. Lernt ihn zu lieben, als wäre es die kleine Schwester. Deine liebevolle kleine Schwester die jeden Tag aufs neue an der Tür auf dich wartet und dich mit offenen Armen begrüßt. Sie fragt wie dein Tag war, gibt dir ein paar ihrer Süßigkeiten und deckt dich zu. Ist konstant, immer da. Auch wenn sie manchmal nervt, du liebst sie, alleine für die Tatsache das sie einfach da ist, wenn es sonst niemanden gibt. Du liebst sie dafür das sie immer sofort zur Stelle wäre, wie ein Schatten.
Ihre Nähe wäre wie warmes gelbes Licht, das an einem warmen Frühlingstag auf deine Haut fällt.
Gleichzeitig würde sie sich aber auch anfühlen wie ein Dämon der dir deine Lebenskraft raubt, unbemerkt aber qualvoll. Du liebst die Qual und kannst nicht ohne sie; als würde man sich langsam einen blutenden Faden aus der Kehle ziehen der all die Jahre die stummen Worte und vergebenen Tränen abschnürte die nur ein weiteres, trauriges, feuchtes Kunstwerk auf deinem frisch gewaschenen T-Shirt hinterlassen hätten.

‚Hassliebe.' Mikail lachte.
Komisches Wort, fand er.

So ist das, der Schmerz.
Begleitet von abgrundtiefer Taubheit.
Komisch, oder?
Taub sein jedoch nie endenden Schmerz empfinden.
Nichts fühlen aber gleichzeitig auch viel zu viel.
Vielleicht wurde er von genau dieser Kontinuität so Taub?

Leer. Taub, Kalt. Überhaupt noch am Leben?
-Was macht das für einen Unterschied.

Dunkle, fast schon violette Augenringe beleuchtet vom schwachen Licht eines Smartphones. Die Ecken der Panzerglasfolie abgesplittert, die Taste zum Sperren des Telefons schon so abgenutzt das man sie kaum mehr drücken konnte. (Und das sagt schon einiges über Mikails leben aus, oder?)
Fahle, jedoch erstaunlich reine Haut gespickt von kleinen Narben aus der Kindheit.
Die Augen gerötet, glasig und geziert von dutzenden Blutroten Äderchen. Es hatte etwas Schönes an sich, etwas ästhetisch. Das Bild eines gescheiterten Möchtegerns ohne Bindung zum normalen, an Werten und Normen gebundenen Leben.
Seine Beine angezogen, mit seiner Hüfte auf der Seite liegend, die rechte Hälfte seines Gesichtes tief ins Kissen gedrückt, der Oberkörper so gedreht das er fast schon flach auf dem Bett lag. Sein Telefon in der rechten Hand. Die Linke war damit beschäftigt mit verschiedenen Fingern an der abgeknabberten Haut der anderen Finger herum zu fühlen, zu drücken und zu kratzen. Er war im typisch depressiven Dopaminscrolling gefangen bis er plötzlich einen, für seinen Algorithmus ziemlich seltsamen, Post sah.


...Wie wird man glücklich?

glück·lich
/glǘcklich/

Adjektiv

1a. - ohne Störung verlaufend "der glückliche Gewinner"

1b. - sich als günstig erweisend "es war eine glückliche Fügung"

2. - von tiefer Freude erfüllt"ein glücklicher Mensch, eine glückliche Familie"

Eine berechtigte Frage, auf die es natürlich keine pauschale Antwort geben mag, dachte er sich.

Was sollte das? Warum sah er das jetzt?

Mikail suchte nicht nach dem großen Glück, er suchte nicht nach Anleitungen, Tipps oder billigen Versprechungen. Nicht nach irgendwelchen Vitaminpillen die versprachen sein Serotonin Level anzuheben.

Er wusste nicht wonach er suchte.
Das wusste er nie.
Grübelnd legte er sogar sein Telefon beiseite.

Vielleicht Gesellschaft? Ablenkung würde es wohl eher treffen. Das war es.
Es reichte nicht mehr Netflix 24/7 im Hintergrund leise laufen zu lassen um sich nicht ganz so einsam zu fühlen.

Das Gefühl der Einsamkeit ist oftmals schlimmer ist als die sowieso schon immer präsente Leere in seiner Brust.

Mikail war der typische Backup-Freund.
Er war einer dieser Menschen der Erinnerungen für andere schafft, jedoch nie in denen der anderen vorkommt.
Der Blonde, mittlerweile 20-jährige Junge erwachsene war derjenige der Fotos und Videos aufnahm, die Erinnerung festhielt und sie Jahrelang auf dem Handy speicherte. Doch niemand wollte Fotos von ihm. Ein lustiges Video in dem irgendetwas Dummes tat. Keiner lud gemeinsame Erinnerungen auf Facebook mit ihm hoch. Keine Menschenseele präsentierte sich gerne mit ihm in ihren Storys. Er war einfach nur da, weil man sich an seine Anwesenheit gewöhnt hatte. Aber niemandem war es wirklich wichtig, ob er nun kam oder nicht.

Ein trauriger Schatten seiner selbst. Niemand merkte, wenn er schlecht gelaunt war oder ein mittlerweile alltägliches down hatte.

Wenn er überhaupt mal etwas sagte um zur Konversation der anderen beizutragen, Was er seit einigen Jahren auch gar nicht mehr versuchte, So wurde er jäh unterbrochen. Schlichtweg nicht beachtet oder sie redeten einfach los während er etwas erzähle. Er tat sich diese Pein auch nur an, um überhaupt noch soziale Kontakte zu erleben.

Jeden Tag die Frage:
Wäre Vereinsamung so schlimm?
Zu verbrennen wäre sicherlich unangenehmer.

Selbstreflexion war eine seiner Stärken.

Oft lag er dort auf der Wiese. Am üblichen Treffpunkt im Park. Um ihn herum der tosende Lärm von Autos, Kindern, die in der Ferne schrien oder lachten, der stechende Geruch eines frisch entzündeten Grills, in seiner sowieso schon empfindlichen, Nase.
Sah hinauf zu den Wolken. Dachte über das endlos helle Blau des Himmels nach, fragte sich, wo es wohl enden würde. Er verglich den Himmel so gerne mit dem Meer. Ungewiss und irgendwie furchteinflößend. Mikail mochte keine willkürlichen und unberechenbare Dinge. Er hatte es gerne einfach, geplant und strukturiert. Keine Überraschung, alles Übersichtlich und überschaubar. Er war einfach das komplette Gegenteil von Spontan.

Alles hatte seine Zeit und Reihenfolge. Besser gesagt: Musste.

Doch, so sehr er den Tageshimmel und das Meer liebte, so sehr wünschte er sich: er würde mit den Wolken ziehen können.
Keine Kinderfantasie, Nein. Sich auf Wolken legen und treiben lassen.
Er würde emporsteigen, sich in nichts auflösen, nur verlorene Erinnerungen und seine kaputte Seele würden frei über allem wandern, ihren Weg gehen und sich dorthin tragen lassen wie der Wind eben steht. Pure Freiheit und Frieden.

Mika war nicht selbstmordgefährdet.
Er würde sich niemals das Leben nehmen. Jedoch wollte er nicht so weiterleben. Nicht SO wie es jetzt war. Würde er etwas ändern? Enttäuscht über die einzige Antwort, die er geben könnte, schloss er das Kapitel in seinem Kopf. Da war es besser und natürlich auch viel einfacher sich in desillusionierte und total dumme Tagträume zu flüchten. Sein Kopf, ein selten privater Ort. Nicht zu denken was wäre, wenn jemand seine Gedanken lesen könnte.
Er dachte ZU intensiv und ZU lange nach. Es war wieder an der Zeit, das Handy zu entsperren, aber sofort.

Seine hellen, satten grünen Augen mit den signifikanten schwarzen Pigmentflecken, und dem Dicken schwarzen Rand um seine Iris waren geblendet von dem grellen Licht, das sein Bildschirm auf ihn abgab. Schmerze und trocknete langsam seine sonst immer so feucht-glasigen Augen aus. Es sah immer so aus als würden seine Augen regelrecht wie helle Sterne funkeln, oder eben nur,.. als müsse er jede Sekunde anfangen zu weinen.
Und vielleicht war dies auch die Wahrheit.

Wohin führt das?

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 15 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Insane ? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt