Kapitel 1

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„Schwachköpfe! Alles Schwachköpfe!", schimpfte er, als wir den Tatort verließen.

„Wie kann man nur so blind sein und selbst das Offensichtlichste übersehen? Der Fall war noch nicht einmal eine 3, John. Du meintest zu mir, es wäre mindestens eine 7!"

Da hatte Sherlock Recht. Ich wusste, dass er den Fall binnen Sekunden lösen würde.

„Jetzt mal ganz ehrlich John. Du wusstest, dass der Fall meiner nicht würdig ist. Warum hast du ihn trotzdem angenommen?", rief er entrüstet. „In der Zeit hätte ich ins Bart's fahren und die Proben untersuchen können!"

„Dann wäre ich aber nicht in deiner Nähe gewesen", murmelte ich verlegen vor mich hin.

Der Consulting Detective blieb ruckartig stehen und starrte mich leicht verwirrt an. Ich blieb ebenfalls stehen und schaute in diese wundervollen Augen, deren genaue Farbe ich bis heute nicht bestimmen konnte.

Langsam kamen wir uns näher. Wir schauten uns tief in die Augen. Noch ein Schritt. Unsere Körper stießen leicht aneinander. Die Luft zwischen uns schien zu knistern. Ich konnte gerade noch sehen, wie Sherlock sich langsam zu mir runter beugte, bevor ich die Augen schloss und mich ihm entgegenstreckte. Darauf hoffend, dass sich unsere Lippen endlich berührten.

Doch nichts geschah. Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah das Gesicht, des Detektives, in welchem sich ein undefinierbarer Gesichtsausdruck spiegelte, nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt.

Langsam löste er sich aus seiner Starre und ging ein paar Schritten zurück. Verwirrt und ein wenig enttäuscht schaute ich ihm hinterher, als er weiter Richtung 221b Bakerstreet eilte, die bereits in Sichtweite war. Schnell lief ich ihm nach.

Als ich ihn eingeholt hatte, hielt ich ihn am Arm fest und drehte ihn zu mir um. „Was sollte das gerade? Warum hast du... oder warum hast du nicht..." Ich brachte den Satz nicht heraus und wurde rot.

Er schaute mich lange an und sagte schließlich:"Ich will nicht, dass du in Gefahr bist, John. Und wenn sie herausfinden, dass ich dich liebe, werden sie versuchen durch dich, an mich heran zu kommen. Das kann..."

Schon lagen meine Lippen auf seinen und erstickten jedes weitere Wort, was er noch sagen wollte. „Ich liebe dich auch.", flüsterte ich, als wir uns keuchend von einander lösten.

„Aber.. aber...", versuchte er heraus zu bringen, doch ich hielt ihm einen Finger vor die weichen Lippen, welche vor wenigen Sekunden noch auf meinen gelegen hatten. „Das ist mir egal. Aber du bist es nicht. Du bist für mich das Wichtigste."

Schon lagen unsere Lippen wieder aufeinander. Sherlock drängte mich in eine Gasse, gegen eine Mauer, und begann quälend langsam meinen Hals herunter zu küssen, während ich versuchte ein Stöhnen zu unterdrücken. Ohne Erfolg. Als er aufhörte, schaute er mich grinsend an:"Zu viel für Sie, Dr. Watson?" Ich zog ihn zu mir und legte meine Lippen auf seine.

Aber irgendetwas stimmte nicht. Mich beschlich ein mulmiges Gefühl. Ich riss die Augen auf und musste mit ansehen, wie Sherlock erst immer blasser und dann durchsichtig wurde. Ich konnte nichts dagegen tun. Konnte nur zusehen, wie er sich vor meinen Augen in Luft auflöste und gänzlich verschwand.

„Sherlock! Nein! Bitte verlass mich nicht! Komm zurück!"

Mit einem Schrei fuhr ich hoch. Was hatte ich nur schon wieder geträumt? Diese Träume kamen andauernd. Entweder löste sich Sherlock in Luft auf und ließ mich alleine zurück, oder er wurde erschossen und ich hielt seinen toten Körper in meinen Armen.

Neben mir merkte ich, wie sich etwas bewegte. Kurze Zeit später sah mich Mary fragend an. „Was war es diesmal?", fragte sie mitfühlend. Ich schüttelte nur den Kopf. „Wieder das gleiche?" Ich nickte, während mir stumm die Tränen über das Gesicht liefen. Mary seufzte. Für sie musste das schwer sein, immer mit anzuhören, wie der Freund jede Nacht solche Sachen träumte. Ich stand auf und holte mir ein Glas Wasser.

Als ich ausgetrunken hatte, ging ich zurück in unser Schlafzimmer und setzte mich auf das Bett. Mary schaute mich die gesamte Zeit über an. „John. Du erzählst mir immer wieder, dass da nichts war, zwischen dir und Sherlock, dass ihr kein Paar wart und ich will dir ja glauben, aber wieso hast du dann immer diese Träume, wie ihr..." Sie brach ab und schaute mich verletzt an.

Verdammt, ich wusste es doch auch nicht. Naja, wenn ich ehrlich war wusste ich es schon...

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