Blut an meinen Händen. Kein ungewohnter Anblick mehr. Es war lange her, dass ich dabei Abscheu, Trauer oder Wut empfunden habe.
Stattdessen fühlte ich tiefgehende Befriedigung. Einen Frieden, wie ich ihn schon ewig nicht mehr gefühlt habe. Vielleicht noch nie gespürt habe.
Vor meinem inneren Auge zog die traurige Miene von Mr. Crepsley an mir vorbei. Er wäre enttäuscht, sähe er mich heute. Wüsste er, was ich hier mache. Mein toter Lehrmeister war mir schon oft in den Sinn gekommen. Nur war der Stich, der einst bei der Erinnerung gekommen war, schon längst nicht mehr zu spüren.
„Das bist nicht du, Darren!“, röchelte eine schwächliche Stimme. Blut rann aus dem Mund, der diese Worte gesprochen hatte. Ein vertrautes Gesicht. Jemand, den ich mal Freund genannt hatte.
Irgendwo, in der Ferne, wahrscheinlich nur für mich hörbar, war da ein Lachen. Jemand erfreute sich an dem Schauspiel mehr, als ich.
„Du hättest dich mir nicht in den Weg stellen sollen“, meinte ich nur gelassen, „Ich habe dich gewarnt, Vancha.“
Ich sollte Schmerz verspüren. Trauer. Schließlich war der gerötete Mann, in Tierfelle gekleidet, mir mal ein Freund gewesen. Dabei sollte ausgerechnet der Fürst verstehen, wieso ich das hier tat. Es konnte keinen Frieden geben, wenn alle lebten. Der Tod war eine Gnade für all jene, die viel zu lange lebten.
„Du hast Steve getötet, um ein Monster aus der Welt zu schaffen“, brachte Vancha noch mühevoll hervor, „Dabei bist du dadurch eins geworden.“ Ich starrte nur auf den sterbenden Vampir herab.
„Ich bin der Herr der Schatten. Gnade ist mir kein Begriff mehr. Das hier ist mein Schicksal. Dein Schicksal. Euer aller Schicksal.“
Mir war dieses Wort nie ein wirklicher Begriff gewesen. Ich hatte Göttern oder dem Vampirglück für all meine Chancen gedankt. Erst als mein Vater mir offenbart hatte, wie viel dieser doch gesteuert hatte, war die Erkenntnis nach und nach gesackt. Mein Leben hat nie in meiner Hand gelegen, sondern in der meines Erzeugers. Ein Vater würde er nie sein, dafür hatte ich meinen richtigen Pa.
Aber es war der Mann, den ich eines Tages töten würde. Allein der Gedanken an ihn, dieses heuchlerische Monster, ließ mich puren Hass empfinden. Salvatore Schick sollte an dem Ungeheuer verrecken, welches er geschaffen hatte.
Vancha befeuchtete seine Lippen, wollte wohl etwas sagen, aber stattdessen kam ein Schwall weiteren Blutes hervor.
Wie Meister Schick es gesagt hatte. Vanchas Tod hatte sich von alleine ergeben. Mein Sehnen nach dem Stein des Blutes hatte ihn dazu gebracht, sich mir in den Weg zu stellen. Dabei waren die Vampire genauso dem Tod geweiht, wie die Vampyre. Wie die Menschen.
„Sei siegreich noch im Tode“, kicherte ich leise und hob mein Schwert an.
Gnade war mir kein Begriff mehr. Aber schon seitdem ich Steve damals aus dem schwarzen Herzen gezogen hatte, war mir klar gewesen, dass es nichts mit Gnade zu tun hatte, den letzten Todesstoß zu versetzen. Es ersparte einem lediglich eine Menge Warterei und ein letztes Aufbäumen. Ich wollte mich nicht unnötig verletzten.
Ich schaute in Vanchas Augen, als ich ihm den letzten Schwertstich ins Herz versetzte. Ich sah dabei zu, wie das Leben aus ihm wich. Er war ein aufrichtiger Vampir gewesen. Seine Seele würde nicht in den See der Seelen gelangen.
Wer sollte sich mir schon in den Weg stellen? Ich war der Herrscher über alles. Keiner, der seit jeher meinen Weg in tödlicher Absicht gekreuzt hatte, hatte überlebt.
Einst hatte ich getötet, um mein Leben zu verteidigen. Um einen Krieg zu gewinnen, der keiner gewinnen konnte. Heute tötete ich, weil es mir gefiel. Ich habe meinen Fehler mit Darius nachgeholt. Der Bengel hatte geheult, als ich ihn gefunden habe.
Meine Schwester hätte es mir sicher nicht verziehen, würde sie noch leben. Aber darum brauchte ich mich nicht zu sorgen. Die Vampyre waren eine sehr geeignete Ausrede für das Ableben meiner menschlichen Familie gewesen.
Manchmal fragte ich mich, ob es meine eigene Idee gewesen war, oder ob Meister Schick mir den Weg eingeflüstert hatte. Es gab Tage, da konnte ich es nicht unterscheiden. Schicksal war der falsche Begriff für mein Leben. Ich war in einem Reagenzglas gezüchtet und mein Leben lang an Fäden gehalten worden. Erst mit Steves Tod hatte ich an Freiheit gewonnen.
Ich ließ das Schwert zurück in die Scheide gleiten und beugte mich vor, um die Lider des Fürsten zu schließen. Würde mir jemand glauben, schiebe ich diesen Tod auf die wenigen Vampyre, die noch übrig waren? Niemand würde es in Frage stellen, wenn ich dementsprechend das Schauspiel übte.
Es war ein Fehler gewesen, Vancha meinen Plan zu offenbaren. Den Stein des Blutes an mich zu nehmen, um ihn zu vernichten, war meine offizielle Äußerung gewesen. Dabei waren Vampire nichts besseres, als Vampyre oder Menschen. Ich war nichts Besseres. Aber gleichzeitigkonnte ich nicht anders. Wollte es nicht mehr anders.
„Sie konnten fliehen“, erzählte ich später im Berg der Vampire. Die Fürstenschaft war im Krieg gesunken. Sie vertrauten mir immer noch, die Naivlinge, doch noch konnte ich das nutzen. „Vancha hat hart gekämpft. Er opferte sein Leben, damit ich überleben konnte.“
Die Kunst des Lügens war es, eine Wahrheit mit einzubauen. Denn letzteres war die Wahrheit. Seitdem ich ein Vollvampir war, kurz nach dem Triumph über Steve, hatte ich dieselbe Macht wie jeder andere Fürst auch. Mithilfe des Steins des Blutes konnte ich das Vertrauen nutzen und die Welt nach meinen Maßstäben richten.
Es hatte Mal Zeiten gegeben, in denen ich die nahe Zukunft gefürchtet hatte. Die Einöde, die sich mir mit Harkat offenbart hatte, war mir einst grausam erschienen.
Aber wie viel Blut vergoss man dort? Wie viele Unschuldige konnten sterben, wenn es keine Unschuldigen mehr gab?
Es gab so viel, was Steve mit seinem Ableben aus mir gezogen hatte. Damals habe ich Meister Schick von mir gestoßen und war zu meinen Freunden geeilt. In dem blinden Hass hatte ich ein Massaker angerichtet, von dem noch heute gesprochen wurde.
Es hatte mir einen Ruf eingebracht. All die Vampets und Vampyre, die damals gefallen waren, hätten sich ergeben. Aber keiner dieser Bastarde verdiente das Leben. Jeder Atemzug mehr wäre eine Verschwendung gewesen.
Ich hatte Debbie geküsst und Harkat umarmt. Jubiliert mit denen, die ich einst mal Freunde und Familie genannt hatte. Wer von ihnen wohl noch lebte? Evra war mit seiner Familie geflohen, sobald die Wogen sich geglättet hatten.
Jetzt, wo ich auf dem Weg in die Zivilisation war, fragte ich mich, wann sich das denn geändert hatte? Ich hatte geschworen mich gegen mein eigenes Ich zu wehren.
Ein Lächeln glitt über meine Lippen. Es war sinnlos gewesen, mich zu wehren. Das Monster war schon immer dagewesen und heute bin ich froh, es akzeptiert zu haben. Zufriedenheit hatte es in meinem Leben nie von Dauer gegeben. Steve Leonard war mein Untergang gewesen. Wäre es anders gekommen, wäre der Cirque du Freak damals nicht in meine Heimatstadt gekommen?
Kichernd versuchte ich mir ein besseres Leben vorzustellen. Es gab kein besseres Leben.
Ich tat, was ich wollte. Wann ich es wollte und wie ich es wollte. Die Treue, die ich einst meinem Clan gegenüber empfunden habe, war ins Nichts zerfallen. Vampire waren nicht besser als Vampyre und Menschen die grausamsten aller Arten.
Meine Seele war ohnehin verdammt. Wieso nicht wenigstens Spaß dabei haben?
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Herr der Schatten
FanfictionEin kleiner OneShot zu der Frage, was aus Darren geworden wäre, hätte er sich nicht selbst geopfert.