Endstation Herkules Leseprobe XXL

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Es gibt Reisen, die sind einfach unvergesslich schön.

Und es gibt Reisen, die sollte man besser gar nicht antreten, will man sie überleben ...


Fund am Herkules

›Was für ein Ausblick!‹

Hannes Germann stand auf der oberen Aussichtsplattform des Herkulesoktogons. Unter sich das Kasseler Becken, über sich die Pyramide mit der Statue des griechischen Helden Herkules, der auf ihn und die Stadt hinab zu blicken schien.

Beide Arme auf die breite Brüstung gestützt schaute Hannes wehmütig hinunter. ›Schade, dass Susanne diesmal nicht mitkommen konnte‹, dachte er, ›sie könnte mir jetzt wunderbar erklären, was ich sehe. Blöd, dass gerade keine Ferien sind und sie zu Hause bleiben musste.‹ Obwohl er sich als Reisebusfahrer immer sehr gut über die Orte informierte, die er besuchte, genoss er es, wenn seine Frau ihm die überlieferten Geschichten über ihre Heimatstadt erzählte. Bisher hatte allerdings auch sie nur den Blick vom Fuße des kolossalen Bauwerkes barocker Gartenkunst genießen können, denn der achteckige Tuffsteinbau mit der Plattform war, nach jahrzehntelangen Renovierungsarbeiten, erst seit kurzem wieder geöffnet. Aus ihren Erzählungen kannte Hannes Schloss Wilhelmshöhe und die rechts davon stehende Löwenburg. Was hatte Susanne noch davon erzählt?

Diese Burg war bereits als Ruine erbaut worden, weil einer der damaligen Landgrafen für die romantische Ritterzeit schwärmte. Mit einer scheinbar alten Ritterburg und seiner somit vermeintlich alteingesessen Familie, versuchte er sich die Kurfürstenwürde zu erschleichen.

Und Schloss Wilhelmshöhe hatte im Laufe der Geschichte prominente Gäste beherbergt. In Form des ersten Freigängers hielt man dort Napoleon den Dritten von Frankreich gefangen, nachdem dieser den deutsch-französischen Krieg verloren hatte und von den Preußen festgenommen wurde. Kaiser Wilhelm der Zweite nutzte es als Sommersitz, für sich und seine vielköpfige Familie. Es war wohl seine Reminiszenz an die Stadt, in der er einen Teil seiner Schulzeit verbrachte. Sein Lieblingsdackel ›Erdmann' liegt noch heute auf der dazugehörenden Roseninsel begraben.

Hannes hob eine Hand über die Augen und blickte in die Ferne. Dem langen Band der Wilhelmshöher Allee folgend, fiel sein Blick auf die, vor Wärme flirrende Autobahn. Erst gestern hatte er den Bus wieder einmal durch die Kasseler Berge gequält. Als selbständiger Fahrdienstleister fuhr er für verschiedene Firmen, wann immer diese zusätzliche Fahrer benötigten. Mit der rechten Hand strich er sich das windzerzauste, silbergraue Haar aus der Stirn.

Diese Woche standen für ihn fünf Tage Kassel mit dem Kegelklub ›Gut Holz‹ aus dem Bliesgau auf dem Programm. Fünf Tage angefüllt mit Theaterbesuch, Entspannung in der Kurhessentherme und Besichtigungen der verschieden Kasseler Sehenswürdigkeiten – so sah der Plan der Tour aus. Heute war Mittwoch und daher waren die Mitglieder seiner Reisegruppe in den Bergpark Wilhelmshöhe aufgebrochen. Zusammen mit dem übrigen Besucherstrom wollten sie dem Wasserlauf von den Kaskaden des Herkules' über den Steinhöfer Wasserfall, die Teufelsbrücke und das Aquädukt zum Fontänen-Teich folgen, um dort die vierzig Meter hohe Wasserfontäne, die den Abschluss der Wasserspiele bildet, mit »Ah« und »Oh« zu bestaunen. Die barocken Wasserspiele waren ein Besuchermagnet der Stadt. Weil das Wasser aber wie schon seit vierhundert Jahren, nur durch das Gefälle und ein kompliziertes mechanisches Röhrensystem funktionierte, fand das Schauspiel nur zweimal die Woche statt. Dann brauchten die Wasserreservoirs wieder Zeit, sich zu füllen.

Für Hannes bedeutete dieser Ausflug, zwei Stunden Pause, bis er seine Fahrgäste auf dem Parkplatz an der Ochsenallee einsammeln musste. Zeit, die er nutzte, um Kassel endlich einmal von ganz oben zu betrachten.

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