Ein Jahr zuvor
In einer Grundschule im Saarland ist es totenstill. Die Bilder, die tagsüber farbenfroh von den Wänden leuchten, taucht die herrschende Dunkelheit in ein trübes Grau. Kein Laut dringt durch die langen Gänge zwischen verlassenen Klassenzimmern. Doch plötzlich erklingen quietschende Schritte auf dem abgewetzten Linoleum. Sie werden lauter, finden ihren Widerhall in den dicken Wänden.
Schritte, die zu dieser nächtlichen Zeit aber auch gar nichts in dem Gebäude zu suchen haben, die so gar nicht auf das Linoleum gehören ...
Dienstbesprechung
»Wir kommen jetzt zu TOP 8, der Lehrerausflug«, verkündete Rektor Dr. Hans-Walter Küchenmeister und blätterte übertrieben geschäftig in seinen Unterlagen.
Susanne Germann – Klassenlehrerin der 4A – gähnte verstohlen. Zwei Stunden dauerte diese Dienstbesprechung nun schon. Einhundert-zwanzig Minuten, so lange dehnte sich der Monolog Ihres Rektors Dr. Küchenmeister. Wie immer fragte sie sich, warum sie überhaupt anwesend sein musste. Fragen, Anregungen – oder noch schlimmer: Kritik – waren nicht gewünscht, wie sie aus eigener Erfahrung wusste. Susanne unterrichtete seit über drei Jahren an dieser Schule. Mehrfach war sie angeeckt, weil ihrer Meinung nach Konferenzen auch dazu dienen sollten, Missstände anzusprechen und gemeinsam zu beheben. Seit zehn Jahren im saarländischen Schuldienst, stand die Fünfzigjährige kurz davor, zu resignieren und – wie viele ihrer Kolleginnen – nur noch Dienst nach Vorschrift zu absolvieren. Immer, wenn sie mal wieder die Welt retten wollte, wollte diese einfach nicht gerettet werden. Also hatte sie gelernt, in Anwesenheit ihres Rektors am besten den Mund zu halten. Das sparte in jedem Fall Nerven.
Unauffällig schob sie sich ein Stück Schokolade in den Mund. Ihr Blick glitt durch den Raum. Damit alle anwesenden Lehrer genügend Platz fanden, wurde die Konferenz in der Bücherei der Schule abgehalten. Die Bänke verteilten sich wie in den Klassenzimmern: Der Rektor stand vorn, die Tische in Reih' und Glied vor ihm. Rechts und links befanden sich die Regale mit vielen Büchern, die von den Schülern ausgeliehen werden konnten.
»Also«, holte der Vorgesetzte Susanne aus ihren Betrachtungen, »ich stelle mir vor, wir fahren zwei Tage in den Schwarzwald. Da wir nur einen Tag genehmigt bekommen, werden wir den Freitag und den Samstag dazu verwenden.«
Zum ersten Mal an diesem Nachmittag regte sich Widerspruch im Kollegium der Grundschule ›Am Schwarzweiher‹ in Blieskastel.
»Ich kann nicht einfach zwei Tage wegfahren«, wagte Sonja Roth, die Sportlehrerin, zu widersprechen. »Das würde meinen Trainingsplan völlig durcheinanderbringen.«
Sabine Kiehm, eine etwas pummelige Mittdreißigerin, pflichtete ihr bei: »Herr Dr. Küchenmeister, haben Sie daran gedacht, dass einige von uns Kinder zu Hause haben? Wie stellen Sie sich das vor?«
Den Gesichtern der meisten Anwesenden sah man ähnliche Vorbehalte gegen diesen diktatorisch in den Raum geworfenen Vorschlag an. Bei der Aussage von Ernst Gollmann, der kurz vor seiner Pensionierung stand: »Ich brauche das Wochenende zur Erholung für mich«, explodierte der Rektor.
»Das ist eine Dienstanweisung!«, brüllte der etwas zu klein geratene Mann am Pult. »Die Qualitätssicherungskommission hat festgestellt, dass an dieser Schule kein Teamgeist herrscht«, ereiferte er sich. »Und ich werde das ändern. Es geht um das Ansehen der Schule.« In einem äußerst fragwürdigen Ton setzte er hinzu: »Wir haben ja mit unserem Brennpunkt, der Dependance in Webenheim, einen denkbar schlechten Ruf.« Deutliche Zornesadern zeigten sich an seinen Schläfen. »Und deshalb werden wir diese zwei Tage im Schwarzwald durchziehen.«
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Nur ein toter Lehrer ist ein ... (XXL Leseprobe)
RandomEine Unfallserie erschüttert die Grundschule in Blieskastel. Bevor sich jemand erklären kann, was eigentlich passiert ist, stirbt eine Lehrerin. Es kristallisiert sich heraus, dass auch die vorhergehenden Unfälle massive Anschläge waren. Hauptkommis...