XVII. Erbe

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"Heilige Schei-", setzt Jimin an, doch wird durch Namjoons Hand gestoppt.

Wir alle starren in die Dunkelheit. Von dort unten kommt ein leichter Lichtschimmer, doch die Treppe ist vollkommen dunkel. Was haben meine Eltern bloß dort unten versteckt? Neugierde und Angst machen sich gleichermaßen in mir breit.

"Na wenn wir es schon gefunden haben, sollten wir auch runter gehen...", sagt Yoongi, schnippt kurz mit dem Finger und erhellt somit die kleine Kellertreppe.

"Ladys first.", höre ich hinter meinem Rücken Hoseok sagen und gehe langsam in Richtung der Stufen.

Ich halte mich am kalten metallenen Geländer fest, für den Fall, dass meine Wackelpuddingbeine mich doch im Stich lassen. Während ich hinuntergehe verwandelt sich das warme Licht der Flammen mehr und mehr in das grelle Licht einer alten Glühlampe. Hinter mir höre ich die knarzenden Stufen, als Bestätigung, dass die Jungs mir folgen. Unten angekommen stehen wir nun in einem kleinen viereckigen und vor allem leeren Raum. Verwirrt schaue ich mich um...

"Hey, schaut mal da an der Wand gegenüber!", durchbricht Taehyung die Stille.

Mit meinen Augen scanne ich die Wand ab, und tatsächlich kann ich auch etwas entdecken und zwar einen kleinen rechteckigen Kasten aus Metall.

"Ein Safe?", frage ich etwas verwirrt.

"Sieht ganz so aus... weißt du den Code?", erwidert nun Jin.

"Da ich nicht einmal von der Existenz dieses Raumes, geschweige denn dieses Safes wusste, kenne ich wohl kaum den Code..."

"Stimmt auch...", antwortet Jin und kratzt sich am Hinterkopf.

Während die anderen sich weiter umsehen, trete ich näher an den Safe heran. Er ist in die Wand eingelassen und hat keine Inschriften oder ähnliches...nicht einmal ein Zahlenschloss. An dessen Stelle befindet sich nämlich ausschließlich eine kleine viereckige Vertiefung. Verwirrt beuge ich  mich noch weiter nach vorne, bis ich plötzlich von einem grellen Licht von unten geblendet werde. Ich schaue direkt in das helle Licht, welches von meiner Kette ausgeht und diese... schwebt sogar ein Stück entfernt von meinem Hals?! Ich richte meinen Blick wieder nach vorne und wundere mich erneut über meine Dummheit. Nachdem ich es begriffen habe, nehme ich den Anhänger meiner Kette in die Hand, und drücke ihn, ohne die Kette abzunehmen, in die Vertiefung des Safes. An einem leisen Klacken höre ich, dass es der richtige Schlüssel gewesen ist.

"Leute kommt her, er ist offen!", rufe ich den anderen zu.

"Was? Wie hast du das denn nun geschafft?", fragt Jungkook erstaunt.

"Kann sie uns später erzählen, jetzt lasst uns erstmal reingucken.", sagt Namjoon und alle kommen näher heran. 

Während sie mir über die Schulter gucken, öffne ich mit einem Quietschen den Safe.

Das erste was ich sehe ist ein Haufen Gold... nicht Geld, nein sondern Gold! Ich halte mir eine Hand vor den Mund vor Erstaunen, sehe aber noch weitere Dinge. Zum einen befindet sich darin ein altes Buch mit Lederumschlag, auf dem in rot geschrieben steht "Auch die Wesen der Nacht haben Dinge zu fürchten und Regeln zu befolgen". Ich stecke es behutsam in meine Tasche und widme mich dem letzten Gegenstand, der sich im Safe befindet. Es ist ein kleiner Briefumschlag, ich drehe ihn in meiner Hand, doch es ist keine Aufschrift darauf.

"Willst du ihn nicht öffnen?", flüstert Jungkook neben mir.

"Nein. Ich möchte langsam nach Hause, ich werde mich den Dingen dort in Ruhe widmen. Hier möchte ich mich lieber nicht mehr aufhalten, dieser Ort wirkt ziemlich erdrückend."

"Ja, das verstehe ich, dann lasst uns jetzt zurück fahren.", erwidert Jungkook und legt mir eine Hand auf die Schulter.

Ich nicke einmal, stecke den Brief in meine Jackentasche und tue das Gold in den Rucksack. Da die Kette von meinem Vater der Schlüssel war, gehe ich davon aus, dass der Inhalt des Safes für mich bestimmt ist.

Langsamen Schrittes verlassen wir das Gebäude wieder, ich schließe die Eingangstür hinter mir und ohne mich noch einmal umzudrehen gehe ich zurück zum Auto. Dort angekommen setze ich mich wieder nach hinten und nehme den Umschlag aus meiner Jackentasche. Die ganze Fahrt über halte ich ihn nur in der Hand und starre ihn an. Was könnte nur darin geschrieben sein? Und von wem stammt er? Wird er mir Fragen beantworten, oder wird er nur mehr Fragen aufwerfen?

Als wir anhalten stürme ich aus dem Auto, verabschiede mich mit einem kurzen "bye" und sprinte hoch in mein Zimmer.  Hinter mir schließe ich die Tür und setze mich auf die Bettkante. Ungeduldig reiße ich den Umschlag auf und falte den Brief auseinander, mit zittrigen Händen beginne ich zu lesen...

Hallo mein Schatz,

dass du diesen Brief nun liest, bedeutet wohl, dass wir nicht mehr da sind. Das tut uns leid, wir wollten nie dass du ohne uns aufwachsen musst, aber wir haben etwas unverzeihliches getan. Ich hoffe Sejins Eltern haben gut auf dich geachtet und  du hattest dennoch eine schöne Kindheit. Wie gerne hätte ich gesehen wie du deinen Abschluss machst und auf den Ball gehst, doch im Herzen waren wir immer bei dir. Und ein Teil von uns wird auch immer in dir schlummern. Schließlich bist du etwas ganz besonderes. Auch wenn das, was deine Mutter und ich getan haben nicht richtig war, bereuen wir es dennoch nicht. Denn lass mir dir eins sagen: An Regeln sollte man sich möglichst halten, doch hören muss man auf sein Herz. Bitte denk daran zurück, wenn du schwierige Entscheidungen zu treffen hast, dein Herz wird dir den richtigen Weg weisen. Und bitte verzeih uns, dass wir jetzt nicht an deiner Seite sind, doch sei dir gewiss, du bist das wertvollste und wunderbarste Geschenk in unserem Leben.

In ewiger Liebe, dein Vater

An einer Stelle des Briefes verläuft plötzlich die Tinte und ich bemerke, dass die Ursache dafür eine Träne ist, die gerade an meiner Wange heruntergelaufen war. Schnell lege ich das Papier beiseite und stütze mein Gesicht in meinen Handflächen ab. Schluchzend versuche ich einen klaren Gedanken zu fassen. Was sollte all das bedeuten? Ich, etwas besonderes? Inwiefern denn besonders? Was hatten meine Eltern so schlimmes getan, dass sie dafür sterben mussten? Und von was für Regeln hat er bloß geredet?! Warte mal... Regeln! Schnell greife ich hinter mich und hole das kleine schwarze Buch aus meinem Rucksack, ich schlage die erste Seite auf und beginne zu lesen:

Gesetze der Vampire

§I.I       Beziehungen zwischen Vampiren und menschlichen Wesen sind verboten.

§I.II      Sollte aus einer solchen Beziehung ein Kind hervorgehen, werden die Erzeuger mit dem Tode  bestraft.

(...)

Mir stockt der Atem, ich springe auf und renne zum Spiegel, Entsetzen, Verwirrung, Wut und mehr Emotionen als ich je empfunden habe brennen in mir. Und ich kann zusehen wie mein linkes Augen sich langsam, wie fließendes Blut, von grün zu rot verfärbt. Ich starre atemlos in mein eigenes Gesicht und zähle die Fakten in meinem Kopf:

Mein Vater war ein Vampir gewesen und hat entgegen den Gesetzen meine Mutter geheiratet.

Daraus entstand ich, ein verbotenes Kind, halb Mensch, halb Vampir und vor allem... der Grund für den Tod meiner Eltern.

Vampires On Stage *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt