1. Advent - Palinside

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Leise seufzend schob Patrick die Ware über den Scanner und nannte der alten Frau vor ihm den Preis ihrer Geschenke. Schon den ganzen Tag kamen Menschen abgehetzt hier herein und gaben ihr Geld für überteuerte und unpersönliche Waren aus. Während die Dame nach ihrem Geldbeutel kramte, sah er unauffällig auf seine Armbanduhr. Es war bereits Abend, doch Schicht würde noch eine ganze Weile gehen. Zumindest war er nicht allein, denn zwei Meter weiter an der zweiten Kasse saß sein neuer Kollege, der ebenfalls schon müde die Hände in den Haaren vergraben hatte. Patrick nahm den fünfzig-Euroschein von der Frau entgegen und wechselte es ihr, bevor er sie mit einem gezwungenen Lächeln verabschiedete. Kaum war sie aus der Tür, fuhr sich Patrick laut seufzend durch die verstrubbelten braunen Haare und atmete tief durch. Er war müde, hatte Hunger und der Raum hatte gefühlte vierzig Grad. In seiner Arbeitskleidung nicht gerade angenehm. Am liebsten würde er einfach diese dämliche Uniform ausziehen und wegwerfen. „Alles in Ordnung bei dir?", fragte da sein Kollege und Patrick wandte seinen Kopf zu ihm. Der junge Mann mit den hellgefärbten Haaren sah ihn ein wenig besorgt an. Patrick nickte. „Ja, alles gut. Habe nur etwas Hunger", gab er zu. „Ich auch. Außerdem bin ich müde", ging der Mann darauf ein und richtete sich auf seinem Stuhl etwas auf. „Ich bin übrigens Sebastian", stellte er sich vor. Patrick lächelte. „Patrick. Freut mich. Stimmt das, das du dich freiwillig für den Vorweihnachtsabend gemeldet hast?" Patrick erinnerte sich, dass ein anderer Kollege ihm erzählt hatte, dass der Neue sich direkt für diesen Abend eingetragen haben soll. Sebastian nickte. „Ja. Ich meine, ich habe hier weder Familie noch Freunde, für die ich Geschenke besorgen müsste. Oder gar Zeit mit ihnen verbringen müsste", erklärte Sebastian etwas verbittert, „und du? Hättest du Pläne gehabt, wenn du nicht hier gammeln müsstest?"

„Nein. Ich wäre zuhause geblieben und hätte gezockt. Klingt vielleicht langweilig, aber definitiv besser als hier auf der Arbeit zu sein." Patrick sah ein Grinsen auf Sebastians Gesicht. „Zocken ist doch nicht langweilig", widersprach dieser, „Das hier ist langweilig." Ihr Gespräch wurde von der Türklingel unterbrochen, als ein weiterer Kunde hereinkam. Der alte Mann mit Hut und Mantel musterte die zwei kurz, bevor er zu den Regalen mit Stofftieren ging und davor stehen blieb. „Komischer Kauz", murmelte Sebastian Patrick zu und dieser musste grinsen. Sebastian hatte seine Kasse geschlossen und seinen Stuhl zu Patrick gezogen, wo er sich jetzt gemütlich drauf räkelte. „Ich könnte jetzt einschlafen", gähnte er und Patrick schüttelte den Kopf. „Bevor du schläfst, kannst du gleich noch zum BurgerKing gegenüber gehen und uns was zu essen holen. Zwei Stunden halt ich das nämlich nicht mehr aus." Sebastian dachte kurz über diese Idee nach, bevor er nach seiner Jacke griff und seinen Geldbeutel einpackte. „Aye aye, Sir! Irgendwelche Wünsche?", fragte er mit französischem Akzent und verdrehte dämlich die Augen, sodass Patrick lachen musste. Der Mann mit Hut sah irritiert von seinen Stoffteddys auf und Patrick schüttelte schnell den Kopf. „Überrasch mich", fügte er leise hinzu und sah Sebastian lächelnd hinter, wie er die Straße überquerte und sich dabei immer wieder umdrehte und Grimassen zog.
Sebastian war schon komisch drauf, aber er passte direkt zu seiner eigenen kindlichen Art. Er grinste noch immer, als der Teddymann auf einmal vor ihm stand und zwei Teddys auf dem Tresen ablegte. Patrick räusperte sich verlegen und versuchte, sein dämliches Grinsen loszuwerden, während er die Stofftiere scannte und den Preis vorlas. „Sind sie mit dem Kerl da zusammen?", brummte der Mann auf einmal, als er das Geld überreichte. Überrascht sah Patrick von der Kasse auf und unterbrach sein Rückgeld-Zusammenkratzen. „Nein, wieso fragen Sie?", antwortete er verwirrt und der Mann lachte auf. „War klar. Haben Sie seine Blicke nicht bemerkt?"

„Was für Blicke?"

„Blicke. Er starrt Sie an. Sie übrigens auch, wenn er es mal nicht tut."

„Ach ja?"

„Ja. Denken Sie mal drüber nach, junger Mann."

Überrascht schob Patrick das Rückgeld schließlich über den Tresen. „Versauen Sie es nicht. Und tun Sie mir den Gefallen und feiern Sie beide  Weihnachten nicht allein" Der Mann grinste ihn noch einmal verschmitzt an und wollte sich gerade mit den Teddys im Arm umdrehen da regte sich eine Gestalt hinter ihm. „Wer verbringt Weihnachten allein?" Es war Sebastian, der irgendwie unbemerkt den Laden wieder betreten hatte, mit zwei BurgerKing-Tüten unterm Arm. „Er hier. Er hat mir gerade erzählt, wie traurig er es findet, dass er morgen alleine ist. Sie etwa auch? Hey, wie wär's, wenn Sie den Abend zusammen verbringen? Das wäre doch eine tolle Idee, finden Sie nicht auch?", der Mann blickte freudig und eifrig zugleich zwischen den beiden Männern hin und her. Sebastians Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen und Patrick konnte sich denken, was seine Gedanken in diesem Moment waren. „Ich muss jetzt aber auch nach Hause. Schönen Abend euch noch", der Mann tippte an seinen Hut und verschwand, aber nicht, ohne Patrick noch ein letztes Mal zuzuzwinkern.

„Was war das denn", bemerkte Sebastian stirnrunzelnd und schmiss Patrick eine der Tüten zu. „Keine Ahnung", wich Patrick aus und öffnete hungrig die Tüte. Sebastian setzte sich neben Patrick und eine kurze Zeit schwiegen und kauten sie, bis Sebastian verlegen seine Tüte zusammenknüllte und sie in den Fingern hin und her drehte. „Ähm, das kommt jetzt vielleicht ein bisschen komisch, aber hast du morgen schon was vor? Ich fänd es wirklich schön, wenn wir irgendwas zusammen machen könnten", nuschelte er mit roten Wangen und Patrick lächelte. „Die Idee ist super. Gerne." Er konnte die Erleichterung in Sebastians Augen sehen und ihm vielen die Worte des Mannes wieder ein. Versauen Sie es nicht. Er knüllte ebenfalls seine Tüte zusammen und warf sie spontan in Sebastians Gesicht, der erst baff, dann lachend reagierte und seine eigene Tüte zurück warf. „Na warte!", rief Patrick und stürzte sich auf Sebastian um ihn durchzukitzeln. Etwas unüberlegt, denn sein Gewicht riss den Stuhl seines Mitarbeiters und ihn selbst mit auf den Boden. Sebastian machte das wohl nichts aus, da er durchgehend weiterlachte. Sie lagen dicht aufeinander, was beide jedoch nicht störte. Doch schon wieder kamen Patrick die Worte des Mannes in den Sinn, und er beobachtete Sebastians Augen. Er hatte aufgehört, seinen Kollegen zu kitzeln und dessen Lachen verstummte langsam. Sein Blick legte sich auf Patricks Augen fest und Patrick blieb die Luft weg, als er die Tiefe in Sebastians Augen sah. Dieser intensive Blick haute ihn um und er fuhr vorsichtig mit einer Hand vom Boden weg auf Sebastians Brust, um sich abzustützen. Durch seine Finger konnte er Sebastians Herzschlag spüren, der mehr als schnell ging. Die Mundwinkel seines Kollegen zuckten nervös nach oben und seine Wangen färbten sich mal wieder in ein zartes Rosa. Patrick hob nun auch seine zweite Hand, um vorsichtig über Sebastians Wange zu streichen. Und dann ging es ganz schnell. Patricks Kollege zog Patricks Kopf wie aus heiterem Himmel näher zu seinem und presste seine Lippen auf den Braunhaarigen.

Überrascht riss Patrick die Augen auf und war im ersten Moment zu erstarrt, um zu erwidern. Versauen Sie es nicht. Sebastian zog enttäuscht seinen Kopf zurück und wollte aufstehen, doch Patrick dachte gar nicht daran, von ihm runterzugehen. Er vergrub eine Hand verträumt lächelnd in Sebastians helle Haare und verharrte dort kurz, bis er seine Lippen erneut auf die seines Mitarbeiters herabsenkte. Es entstand eine wilde und leidenschaftliche Knutscherei, in der Patrick endlich sein gehasstes, viel zu warmes Oberteil loswurde. Er mochte Sebastians Berührungen auf seinem Körper und seine langen Küsse, und auch, wenn der Ort vielleicht nicht optimal war, war es perfekt.

Perfekt, solange bis sie beide ein vertrautes Geräusch hörten. Jemand hatte den Laden betreten. Schwer atmend lösten sie sich voneinander und Sebastian hielt Patrick sein Oberteil hin, welches er sich hastig über den Kopf zog. Sebastian war bereits aufgestanden und hatte seinen Stuhl aufgestellt, bis er den Kunden begrüßte. Auch Patrick kam jetzt hervor, auch wenn er sich sicher war, dass er gerade wie durchgevögelt aussah. Er hatte geschwollene Lippen, rote Wangen und verstrubbelte Haare. Ganz zu schweigen von seinem schief geknöpften Arbeitshemd. Ein kurzer Seitenblick zu seinem Kollegen, verriet ihm, dass nicht nur er vedächtig aussah. „Kann ich Ihnen helfen?", fragte Sebastian, als der Kunde vor ihnen an der Kasse stand.

Und als er das sagte, griff er mit seinen warmen Fingern nach Patricks Hand und umschloss sie sanft lächelnd. Patrick spürte irgendwie, dass dieses Weihnachten etwas Besonderes werden würde und er freute sich schon wie verrückt auf den morgigen Abend gemeinsam mit Sebastian.

Hallo und herzlich Willkommen zu einem kleinen Adventsprojekt vom Kellersquad. Jeden Adventssonntag wird hier ein kleiner OneShot von einem von uns hochgeladen. Seid also gespannt, wer euch den zweiten Advent versüßt! Parallel laden wir ein Buch mit einer kleinen Vorstellungsrunde hoch, in dem die jeweilige Autorin vorgestellt wird. Schaut also gerne auch dort vorbei, wenn euch die Menschen hinter den Geschichten interessieren :D
Eine schöne Vorweihnachtszeit und vergesst nicht, euch Geschenke für eure Liebsten auszudenken ;D
Liebe Grüße,
Sky

Advent 2017 - KellersquadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt