"Lauf", rief er mir zu. Doch ich konnte nicht mehr.
"Schneller", kam es wieder von ihm. Ich will doch, aber ich konnte einfach nicht.Wir liefen schon gefühlt seit Stunden. Mein Mund war trocken, die Beine waren schwer, meine Seitenstiche brachten mich fast um und ich bekam kaum noch Luft. Und was, wenn ich einfach stehen bleibe?, schoss es mir durch den Kopf. Nein. Dafür war es zu spät. Es war zu viel passiert. Ich konnte nicht zurück. Zurück zu meiner Familie, zu meinen Freunden, zu meinem alten Leben.
Wie konnte es nur so weit kommen? Alles war, wie immer und dann aufeinmal war nichts wie vorher. Ich drehte mich um und sah sie. Sie kamen auf uns zu.
"Mia, beeil dich!", rief er.
"Ich kann verdammt nochmal einfach nicht mehr!", rief ich Sebastian voller Verzweiflung zurück. "Wenn sie dich jetzt schnappen, dann war alles um sonst!"
Verdammt noch mal, ich wusste sehr wohl, was auf dem Spiel stand. Aber das brachte jetzt auch nichts mehr, mir das unter die Nase zu reiben.
Im Gegenteil. Ich bekam nur noch mehr Panik, wenn das überhaupt noch möglich war.Wir rannten mit einem ungeheuren Tempo durch die Stadt. Überall, wo wir vorbei liefen, schauten uns nur leere Gesichter entgegen.
Keine Emotionen. Nichts.
Wie ich diese Gesichter hasste. Wie konnte man nur keine Gefühle zeigen?
Mir war klar, dass es nicht die Schuld der Personen war, dass sie keine Emotionen zeigten, ja, nicht einmal welche besaßen, aber wenn ich diese Gesichter sah, wollte ich einfach nur weg.
Fort von hier.
Fort von dem ganzen verquerten System.
Tag ein, Tag aus, keine Gefühle zeigen. Wie hatte ich das nur so lange durchgehalten? Nur bei Sebastian konnte ich offen sprechen und fühlen."Mia!" Seine panische Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
Ich schaute mich um und bemerkte, mit großem Schrecken, wie weit ich zurückgefallen war. Schneller! Schneller!
Das war das einzige, was ich denken konnte, als ich versuchte aufzuholen. Meine Lungen brannten, wie Feuer und ich hatte das Gefühl, gleich Bewustlos zu werden. Aber ich rannte weiter. Immer weiter. In der Ferne konnte ich bereits den Bahnhof sehen und den Zug.
Unseren Zug!
Der uns wegbringen würde. Fort von all dem hier.Wir kamen näher.
500 Meter. 400. 300, gleich geschafft, bald war alles vorbei. 200. 100...
Ein Schuss ertönte, ich hörte Sebastian meinen Namen schreien und dann wurde alles Schwarz.
War ich tot? Lebte ich?
Ich konnte es nicht sagen. Alles war dunkel. Kein Licht. Ich wollte nicht sterben! Ich musste doch zu Sebastian! "Mia? Bitte mach die Augen auf. Bitte. Alles ist vorbei. Wir haben es geschafft. Wir sind frei. Wir können ein neues Leben beginnen. Aber du musst die Augen aufmachen. Bitte. Für mich... Für dich... Für das Baby..."Die Worte drangen zu mir herüber. Ganz leise. Aber ich konnte sie klar und deutlich verstehen. Ich musste zu ihm! Ich muss! Ich kann ihn nicht alleine lassen! Nicht jetzt!
Ich sah ein kleines Licht auf mich zukommen. Es wurde größer und größer. Je mehr Licht auf mich einflutete, um so deutlicher konnte ich den Schmerz in meiner Schulter fühlen und schließlich wurde alles in hellem Licht erstrahlt.Und dann öffnete ich die Augen und sah in das Gesicht von Sebastian, welches nur Zentimeter von meinem entfernt war...
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Emotionslose Gesichter
Short StoryEine Stadt ohne Gefühle. Kein Ausweg. Oder doch? Alle Bildrechte vorbehalten.