Heute (7)

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„Herr Reinelt. Herr Reinelt!", reißt mich die Stimme von Frau Steiner aus meinen Gedanken. „Äh ja?" Ich blinzle und versuche mich wieder ins Hier und Jetzt zu versetzen. „Sollen wir für heute Schluss machen?" Als ich ihr antworten will merke ich wie trocken mein Mund und meine Kehle sind und wie schnell mein Herz schlägt. Ich spüre Schweißtropfen in meinem Nacken, obwohl mir nicht warm ist. Ich möchte nicht aufhören. Doch andererseits möchte ich gerade nur zurück zu Petra. Ich muss sie sehen. Muss sehen, dass sie wirklich hier ist und nicht nur ein Trugbild. „Ähm...ich..." Ich weiß nicht was ich sagen soll. Es ist als würde meine Zunge die Worte verschlucken sobald ich sie aussprechen will. „Sie haben seit einer viertel Stunde kein Wort mehr gesagt und nur noch in die Ferne gestarrt", erklärt sie und überrascht mich damit etwas. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich aufgehört hatte zu reden. Der Drang nach meiner Frau zu sehen gewinnt schließlich und ich nicke. „Ja ich denke es reicht für heute." „Okay gut", meint meine Psychologin mitfühlend lächelnd, legt ihren Block auf den Boden neben ihrem Suhl und erhebt sich. Auch ich stelle meine Beine wieder auf den Boden und erhebe mich nachdem ich tief durchgeatmet habe. „Bis dann. Und ruhen sie sich aus", verabschiedet sie sich mit einem Handschütteln von mir. „Tschüss", erwidere ich und gehe hinaus in den Flur. Am Empfangstresen mache ich noch einen Termin für morgen Nachmittag aus und mache mich dann auf den Nachhauseweg.
Als ich durch unsere Haustür trete ist es kurz nach fünf. Ich stelle meine Schuhe ins Regal und mache mich auf den Weg in die Küche um mir was zu trinken zu holen. „Schatz?", rufe ich und erhalte prompt eine Antwort: „Wohnzimmer!" Ich drehe sofort um und laufe zu ihr. Petra liegt mit angezogenen Beinen und an die Lehne gelehnt auf der Couch und liest ein Buch. Als ich näher trete hebt sie den Kopf und lächelt sanft. „Hey." „Hey", antworte ich und beuge mich über die Rückenlehne um ihr einen Kuss zu geben. „Wie geht es dir?", fragt sich ernst und mustert mein Gesicht. „Ganz okay. Ich denke wir sind bald durch. Noch zwei oder drei Termine denke ich." „Ah ok. Schön." Doch man hört wie wenig ihr das gefällt. Ich weiß sie wünscht sich das ich auch ihr gegenüber so offen wäre, doch ich kann nicht. Meine Angst ist zu groß, dass Petra zu geschockt von allem sein wird. Und ich kann sie nicht verlieren. Nicht noch einmal. Irgendwann werde ich es ihr erzählen, aber Stück für Stück. „Petra. Ich...", beginne ich leise und schuldbewusst, doch sie unterbricht mich mit sanfter Stimme in der man den Schmerz jedoch heraushören kann. „Ist schon gut Andy. Ich verstehe das du mir nicht alles erzählen willst, doch ich wünschte du wärst wenigstens etwas offener." Sie wendet sich wieder ihrem Buch zu, spricht jedoch leise weiter. „Ich weiß nicht wie ich mich manchmal dir gegenüber verhalten soll, weil ich einfach nicht weiß warum du gerade so anders bist. Ich will doch nur so viel wissen das ich dir helfen kann. Es macht mich fertig dich leiden zu sehen und nicht genau zu wissen warum, dir nicht helfen zu können und das Gefühl zu haben, das du dich immer weiter von mir entfernst." Eine Träne läuft ihr über die Wange und ich umrunde schnell die Couch um mich vor sie zu knien. Sie schaut kurz zu mir als ich in die Hocke gehe und dreht ihren Kopf dann sofort weg. Ich strecke meine Hand aus, lege sie auf ihre von mir abgewandte Wange und drehe ihr Gesicht sanft zu mir. Mit dem Daumen streiche ich die einzelne Träne weg, während ich in Petras Augen schaue in denen sich der Schmerz und die Hilflosigkeit spiegelt. Es tut mir weh sie so zu sehen und ich würde es so gerne ändern, doch ich kann nicht. Die Angst allein zu sein ist größer und verdrängt alles andere. Ich beuge mich vor und drücke meine Frau fest an mich. „Es tut mir leid, dass ich dir so viel Kummer bereite und ich wünschte ich könnte es ändern, doch das ist leider nicht so einfach. Ich verspreche dir ich werde dir irgendwann alles erzählen. Ich möchte dich nur nicht verlieren. Ich liebe dich über alles." Petra krallt sich in den Stoff meines Shirts und vergräbt ihr Gesicht in meiner Halsbeuge. „Ich liebe dich auch. Ich will dich auch nicht verlieren. Nicht noch einmal." Eine Zeit lang sitzen wir so da, halten uns einfach nur fest und spüren die Anwesenheit des anderen bis Petra sich etwas von mir löst. „Für heute...", beginnt sie, „...für morgen...", setze ich fort, „...für immer", beenden wir gemeinsam den letzten Satz unseres Eheversprechens. Dann verbinden sich unsere Lippen zu einem Kuss voller Liebe, Schmerz, Angst und Glück.

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt