Als ich zu Nina's Häuschen komme, ist sie nicht zu sehen. Ich vermute, sie ist drinnen und trinkt ihren Kaffee, wie sie es am Morgen gerne tut. In den wenigen Tagen, seit Nina bei uns ist, kenn ich schon einige ihrer Gewohnheiten und Vorlieben. Okay, vielleicht habe ich bei ihr auch etwas mehr darauf geachtet, als bei anderen Bewohner der Sammelstation. Na ja, sie ist für mich nicht einfach irgendeine Bewohnerin. In kurzer Zeit ist sie mir und auch Rain, schon ans Herz gewachsen.
Als ich die Tür ihres Häuschens erreiche, sehe ich, dass sie nur angelehnt ist. Nina sitzt an ihrem Tisch vor dem Fenster, in der Hand ihre Kaffeetasse und blickt nach draussen. Obwohl da nicht wirklich viel zu sehen ist, ausser den grossen Steinbrücken. Sie scheint in Gedanken versunken.
Um sie nicht zu erschrecken, räuspere ich mich.
„Ah! Hey River!" Das Lächeln, das sie mir schenkt, erwärmt meine Brust und lässt mein Herz stolpern. Es ist, als wenn die ersten Sonnenstrahlen am Morgen, alles das mit ihnen in Berührung kommt, in goldenes Licht tauchen. Genauso fühlt sich mein Herz an. Alles scheint plötzlich um ein Vielfaches schöner und aufregender.
Ich realisiere, dass ich hier stehe und sie dümmlich anstarre. Mist! Versuche mich aus meiner Erstarrung zu lösen und wieder ruhig zu atmen. Sie muss ja nicht gleicht mitkriegen, dass ihr Lächeln genügt, mir beinahe eine Herzkasper zu verpassen.
„Hey, Nina. Alles klar bei dir?" Ich ziehe sie kurz in eine Umarmung. Ich rieche ihren Duft. Noch nie habe ich so etwas Gutes gerochen. Heublumen mit etwas Lavendel. Ihr Duft lässt mich kurz schwindlig werden, lässt beinah vergessen wo ich bin und doch weiss ich es nur zu genau. Ich steh da, halte mich an Nina fest damit ich nicht ganz von der Rolle gerate. Und genau dieses Festhalten, wirft mich noch mehr aus der Spur.
Mann! Das muss aufhören! Irgendwas löst diese Frau in mir aus, dass mich aus der Bahn wirft. Ich bin doch hier, um Nina bei Lukas zu helfen! Ich muss mich echt konzentrieren, ansonsten bin ich ihr wohl keine grosse Hilfe! Ich schüttle leicht den Kopf und löse mich von Nina.
„Na, bist du bereit, dich ins Abenteuer zu stürzen?" versuche ich einen lahmen Scherz, um zu vertuschen, dass ich grad etwas um Fassung ringe.
Nina schaut mich etwas zweifelnd an, nickt dann aber. Verdammt! Ich denke, sie hat mich durchschaut.
Ich räuspere mich ein weiteres Mal. „Na dann... bring uns doch mal zu Lukas." Ich nehme ihre Hand in die Meine und versuche mich durch ihren warmen Atem, den ich vor mir spüre, nicht noch mehr aus der Fassung bringen zu lassen. Verdammt! Ich muss mich echt zusammen nehmen, um meine sieben Sinne beisammen zu halten. Ihre Nähe ist einfach berauschend, wie ich es noch nie bei Jemandem verspürt habe.
Als ich die Augen wieder öffne, finde ich mich in einer Art Baracke wieder. Oder einem Mini-Haus. Irgendwas in der Art. Alles ist aus Holz, die Wände, die Stühle, der Tisch und das Bett. Eigentlich sieht es ganz gemütlich aus. Wenn auch ein paar Klamotten wild verstreut rumliegen.
Nina scheint sich auszukennen hier. Sie steuert geradewegs auf das Bett zu, in welchem Lukas liegt. Sie kniet vor dem Bett nieder und streicht ihm die Haare aus dem Gesicht.
Aus irgendeinem irrwitzigen Grund, gibt mir das Bild, das sich mir hier bietet einen Stich in der Brust, den ich versuche zu ignorieren.
Sie wendet sich mir zu und sieht mich hilfesuchend an.
„Siehst du? Er liegt immerzu nur im Bett. Bewegt sich nicht von der Stelle. So als sei sein Leben zu Ende und nicht meins."
Ich kann die Sorge in ihrer Stimme hören. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen macht. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen um Lukas machen muss. Ich geh zu ihr rüber und lege ihr meine Hand auf die Schulter.
„Der Verlust eines geliebten Menschen kann ähnlich sein wie der Tod selber. Als wäre ein Teil seiner selbst ebenfalls gestorben." Ich schweige einen Moment. „Aber wir werden das schon hinkriegen. Wir werden versuchen, ihm zu helfen, okay? Hast du eine Ahnung, wo er den Anhänger haben könnte?"
„Keinen Schimmer. Lass uns ihn suchen. Vielleicht im Nachttischchen oder ..." Etwas ratlos sieht sich Nina um.
Wir beginnen alles zu durchstöbern. Lassen keine Winkel aus. Nichts! Eine Nadel im Heuhaufen scheint leichter zu finden zu sein, als dieser verflixte Anhänger! Aber wir geben nicht auf. Ich will nicht aufgeben. Schliesslich bin ich hier, um Nina zu helfen.
„Sag mal, Nina. Gibt es hier kein Badezimmer? Toilette?"
Nina deutet grinsend nach draussen, wo eine noch kleinere Baracke steht. Ich öffne die Tür und geh die drei Stufen nach unten. Jetzt erst realisiere ich, dass Lukas in einer Art Holzwagen haust. Sachen gibt's! Na ja, jedenfalls hat er es sich ja ganz gemütlich eingerichtet.
Ich gehe die paar Schritte rüber zur Baracke und öffne die Tür. Ich stehe in einem kleinen Raum, der nur eine Dusche in einer alten Zinkwanne und eine Toilette mit Lavabo beinhaltet.
Und da seh ich ihn! Der Phönix liegt auf der kleinen Ablage vor dem Spiegel.
Auch ich muss mich erheblich konzentrieren, um den Anhänger an mich nehmen zu können und das, obwohl ich doch schon ein paar Jahre Erfahrung habe mit diesen Dingen. Ich schliesse die Augen und versuche die Energie, die Ausstrahlung des Amuletts zu spüren. Ich weiss, es klingt bekloppt, aber alles, jedes Ding hat seine Energie und das habe ich auch erst gelernt, nachdem ich gestorben bin.
Langsam strecke ich meine Hand aus und versuche ihn zu berühren. Beim dritten Versuch gelingts mir, ihn hochzuheben. Ein triumphierendes Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus.
Schnell geh ich rüber in den Wagen, wo Nina noch immer versucht den Phönix ausfindig zu machen.
„Hier! Ich habe ihn gefunden!" Lachend halte ich den Anhänger in die Luft.
„Wow! Danke River!" Nina kommt mit freudigem Strahlen zu mir und verpasst mir eine Umarmung. Leider war mein Innenleben wohl nicht darauf gefasst, meinen persönlichen Sonnenstrahl wieder aus nächster Nähe zu erlegen und meine Konzentration klinkt sich vorübergehend aus. Die unvermeidliche Folge ist, dass mir der Phönix aus den Fingern gleitet und mit lautem Scheppern zu Boden fällt.
Vor Schreck erstarrt stehen wir da und starren auf den Anhänger, der nun gut sichtbar direkt vor Lukas Bett liegt.
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Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018
General FictionEine Sekunde. Eine klitzekleine Sekunde, die alles beendet. Die alles auf den Kopf stellt. Nina war eigentlich recht zufrieden mit ihrem Leben. Bis zu diesem Moment, der alles verändert, dem Moment, der sie aus dem Leben reisst. Wie soll sie dami...