Es war bereits weit nach Mitternacht. Kein Geräusch war zu hören, bis auf ihren leisen Atem. Sein Körper wurde von der bleiernen Schwere der Müdigkeit erfasst, doch seine Gedanken waren nach wie vor ruhelos.
Sie war es, die ihn beschäftigte. Wie sie da lag, von einer schneeweißen Decke umhüllt, an seine Brust gekuschelt, die dunklen Haare wie ein Fächer über dem Laken ausgebreitet. Er konnte nicht anders als sie in dem spärlichen Licht, das durchs Fenster fiel, zu betrachten. So rein, so unschuldig kam sie ihm vor. Seine Augen huschten über die feinen Gesichtszüge und blieben an der kleinen Narbe über ihrer rechten Braue hängen. Ein Überbleibsel aus Zeiten, die vergangen waren.
Die sie zusammen durchgestanden hatten.
Schließlich fiel sein Blick auf ihre geröteten, leicht geschwollenen Lippen. Diesen Zustand hatte er wohl zu verschulden, mit einem Grinsen erinnerte er sich, wie er sie noch vor wenigen Minuten küsste, als gäbe es kein Morgen.
Der Drang sie zu berühren wurde plötzlich übermächtig, und ohne sein Zutun hob sich seine Hand. Sachte fuhr er mit dem Daumen die Konturen ihrer Lippen nach, weiter zu den Wangen, über die Brauen und schließlich in ihre Haare. Diese dunkle, wunderschöne Mähne, die er von Anfang an bewundert hatte. Immer wieder durchkämmte er sie mit den Fingern und kreiste über ihre Kopfhaut.
Plötzlich stieß sie einen wohligen Seufzer aus und kuschelte sich noch näher an ihn. Dieses leise, sanfte Geräusch ließ sein Herz aufgehen vor Zuneigung. Ja, er liebte diese Frau, daran gab es keinen Zweifel. Und auch, wenn er es ihr noch nicht gesagt hatte, war er hoffnungslos verloren.
Doch das störte ihn kein bisschen.
Noch vor einiger Zeit hätte er nicht gewagt, jemanden so nahe an sich ran zu lassen. Jegliches Gefühl versperrte er so tief es möglich war. Er war kalt, eine gefühlslose Maschine, die Befehle gab und befolgte. Sein rationaler Verstand war alles, worauf er sich verließ, keine Empfindungen ließ er sein Handeln trüben. Er tat, was getan werden musste, ohne Rücksicht.
Doch sie hatte ihm gezeigt, dass es auch anders ging. Hatte ihm die Augen geöffnet, obwohl er gewaltsam versuchte, sie zu verschließen. Sein damaliges Ich hätte für sein heutiges Selbst wohl nichts als Verachtung übrig. Er wusste nicht mehr, wann genau es passiert war. Wann er sich darüber bewusst wurde, dass er sich veränderte. Dass sie ihn veränderte.
Er konnte nicht anders. Ihm war egal, ob er sie damit wecken würde, auch wenn sie sich den Schlaf verdient hatte. Mit einer Hand griff er unter ihr Kinn, nicht grob, sondern sanft. Augenblicklich schmiegte sie sich unbewusst in die Berührung, und über ihre Lippen floh ein weiteres, leises Geräusch der Zustimmung.
Vorsichtig bog er ihren Kopf etwas nach oben, kam ihr entgegen und verschloss behutsam ihre Lippen mit seinen. Diesmal war es anders, als bei den Küssen zuvor. Nicht hungrig und voller Verlangen. Er versuchte all das, was er für sie fühlte, in diese eine, zärtliche Berührung zu legen, auch wenn ihm klar war, dass das nicht möglich war.
Von der Berührung geweckt, öffneten sich ihre Lider flatternd, schlossen sich jedoch gleich darauf wieder, als sie mit ähnlicher Intensität erwiderte. Ihre Hand wanderte in seinen Nacken und sie zog ihn noch näher zu sich. Davon angespornt intensivierte er den Kuss und fuhr mit seiner Zunge leicht über ihre Unterlippe. Sofort gewährte sie ihm Einlass, kam ihm bereits entgegen. Sie umspielten einander in einem sanften Tanz, bis sie sich schließlich atemlos voneinander lösen mussten.
Leicht keuchend legte sie ihre Stirn an seine und blickte ihm tief in die Augen. Ihm war klar, dass sie in ihm lesen konnte, wie in einem offenen Buch. Seine Empfindungen wurden ihr regelrecht entgegengeschleudert.
Ein leichtes Lächeln zierte ihre Lippen, als sie ihre freie Hand behutsam an seine Wange legte.
„Womit habe ich den verdient?"
Ihre vom Schlaf etwas raue Stimme jagte ihm wohlige Schauer über den Rücken. Er sah sie an, sah diese Unschuld und Reinheit, die sie trotz der Schrecken nie verloren hatte. Die ihn aus der Reserve gelockt und ihn immer mehr zu ihr hingezogen hatten. Und plötzlich wusste er, was zu tun war. Noch nie hatte er es ausgesprochen, obwohl es ihm durchaus seit einiger Zeit bewusst war. In diesem Augenblick fühlte er sich so geborgen, so viel Zuneigung durchströmte ihn, dass er gar nicht anders konnte.
„Ich liebe dich."
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Ich Liebe Dich
Romance-Oneshot- Es war bereits weit nach Mitternacht. Kein Geräusch war zu hören, bis auf ihren leisen Atem. Sein Körper wurde von der bleiernen Schwere der Müdigkeit erfasst, doch seine Gedanken waren nach wie vor ruhelos. Sie war es, die ihn beschäftigt...