Schicksalhafte Nacht

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Prolog 1

Es war stockfinster und eiskalt.
Die Baumkronen der majestätischen Wälder neigten sich bedrohlich im Wind und warfen lange, tanzende Schatten auf den Boden. Dennoch hielt sich ein Nebel hartnäckig zwischen den Baumstämmen und kroch langsam und unbeirrt in das Unterholz. Der Nebel legte einen feuchten Schleier um die Büsche, wodurch die Nacht besonders kühl wurde. Die Mäuse kauerten in ihren Bauten, die Rehe versteckten sich eng aneinander gedrungen in ihren Laubbetten und die Fledermäuse suchten an dunklen, windstillen Orten Schutz vor der nassen Kälte. Es herrschte eine bedrohliche Totenstille und der sonst so lebhafte Wald schien wie ausgestorben. In dieser Nacht hätten alle Uhren still stehen können - doch die Stille trügte.

Der heulende Wind, der die Baumkronen erzittern ließ, trieb ihm die Tränen in die Augen. Sein Gesicht erstarrte beinahe durch die feuchten Nebeltropfen, die wie scharfe Eiskristalle über seine Haut schrammten. Auch seine Beine schmerzten und waren schon lange müde, doch an Rast war nicht zu denken. Plötzlich hörte er einen leisen Aufschrei hinter ihm und ein Ellenbogen fiel ihm unsanft ins Kreuz. Er biss die Zähne aufeinander und stöhnte leise auf. Er drehte sich in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war und sah sie besorgt an. Die Frage hing unausgesprochen in der Luft, doch sie erwiderte seinen Blick nur mit einem schwachen Lächeln - es war jedoch keine ehrliche Geste, denn ihr schmerzverzerrtes Gesicht sprach Bände. Liebevoll gab er ihr einen Kuss auf die Wange und nahm sie an die Hand. Trotz allem hielt sie den Atem an und schluchzte kaum hörbar. Nach ein paar Schritten jedoch hielt er es nicht mehr aus. Er drehte sich erneut um und drückte ihr das kleine, mit Decken umschlungene Bündel entschlossen in die Hände. Ihren verzweifelten Blick in diesem Moment würde er wohl nie vergessen. Er sah sie mit einem liebevollen, aber dennoch strengen Blick an. Aufgeben kam nicht in Frage. Sie warf ihm einen peinlich berührten Blick zu, und trotz Dunkelheit sah er ihre Tränen in den Augen. Er strich ihr über die Wange und nahm sie in den Arm. Sie standen dort einige Momente, dicht umschlungen und wärmten sich gegenseitig mit dem Kind in der Mitte. In der Ferne waren allmählich Hufe zu hören, sowohl auf dem Schotterweg als auch im Unterholz. Sie weinte stärker - diesmal jedoch aus Angst. Ohne zu zögern hievte er sie auf seine Arme. Sein Körper war müde, doch er konnte sie nicht zurücklassen. Er lief also los, so schnell ihn seine Beine durch das Unterholz trugen. Sie umschlang seinen Hals und drückte das Kind fester an sich. Da sie nun nicht mehr selbst lief, wurde sie von Minute zu Minute schläfriger und ihr drohte eine Unterkühlung. Nun standen auch dem tapferen Mann die Tränen in den Augen. An ein Feuer war im Moment noch nicht zu denken.

Nach einem weiteren, qualvollen Kilometer durch das Unterholz war ein Flussrauschen von Weitem zu hören. Er änderte die Route und steuerte entschlossen auf den Fluss zu.
Als er das Ufer erreichte, hielt er jedoch einen Moment inne und ihm rutschte das Herz in die Hose. Der Fluss ist nicht an vielen Stellen passierbar. Bei dieser Dunkelheit den Fluss zu durchqueren, war sehr riskant.
Ihm war bewusst, dass nur ein falscher Schritt das Schicksal derer besiegelte, die ihm am wichtigsten waren. Doch dieser Tod war weniger grausam, als was ihnen blühte, falls die Verfolger zu ihnen aufschlossen. Er setzte den ersten Fuß an und sank tiefer in den Fluss als erwartet. Bis zu den Knien steckte er nun im Wasser.
Jeder Schritt war mühsam. Die Strömung hatte sich im Winter verstärkt und die Angst jagte ihm einen Schauer nach dem Anderen über den Rücken.
Es war ihm heiß und kalt zugleich und seine zugefrorenen Adern tauten auf.

Seine Anstrengungen zahlten sich aus. Er sah das Ufer der anderen Seite, legte seine Frau auf sicherem Grund ab, bevor auch er aus dem Wasser kletterte und sich erschöpft auf den Waldboden fallen ließ. Eine Minute saß er dort, regungslos, erschöpft und ungläubig. Er starrte auf das Wasser und lachte verhalten. Er wusste selbst nicht warum.
Aus Erleichterung? Ironie?
Doch standen ihm die Tränen in den Augen.
Er ließ sich fallen und blieb auf dem Boden liegen.

Die Huftritte wurden immer lauter und das andere Ufer wurde von Laternen geflutet. Er bekam die Ankunft der Verfolger nur noch am Rande mit und verlor beinahe das Bewusstsein. Seine Frau atmete schwer, schien sich aber von ihrem Sturz zu erholen. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie einmal fest. So lagen sie beide am Flussrand, regungslos und ausgelaugt.

Minuten später verschnellerte sich sein Puls und Adrenalin strömte erneut durch seinen Körper. Er fuhr erschrocken hoch und sah seine Frau neben sich, schon fast ausgekühlt. Er nahm den Jungen an sich und suchte Feuerholz in dieser so feuchten Nacht. Er schaffte es, ein kleines Feuer zu entfachen, was sie durch den Rest dieser Nacht bringen sollte. Er schlief ein, mit ihr und dem Kind in den Armen.

Als die ersten Sonnenstrahlen auch den Waldboden erreichten, wurde er langsam wach. Doch er sollte nicht darauf gefasst sein, was ihn in den frühen Morgenstunden bereits erwartete. Vorsichtig setzte er sich auf, öffnete seinen Mantel und wagte einen Blick auf den in Decken eingepackten, kleinen Jungen. Er schlief friedlich und es schien ihm gut zu gehen. Der junge Mann schloss seine Augen und genoss das Rauschen des Flusses für einen Moment, lauschte den Vögeln, die langsam wieder durch die Baumkronen huschten und ignorierte die Schmerzen an seinem Körper. Er öffnete seine Augen und atmete tief durch. Er beobachtete, wie die Atemwolke sich seinen Weg zu den Baumkronen in den Himmel bahnte und wie die Sonnenstrahlen jeden einzelnen Tropfen anstrahlten und zum leuchten brachten. Das Kind wurde wach, quengelte und riss den jungen Mann aus seinen Gedanken. Er wiegte das Kind in seinem Arm und sah sich um. Sie sind in der Nacht gut vorangekommen und haben durch die Flussüberquerung sogar eine Abkürzung genommen. Das Portal konnte nicht mehr weit entfernt sein.

Er drehte sich um zu seiner Frau und betrachtete sie. Sie lag am Feuer und schlief friedlich. Er musterte sie, wie er es schon etliche Male getan hatte. Er bewunderte jedes noch so kleine Detail ihres Körpers. Ihre goldenen, langen Haare, ihre spitzen Ohren, die grünen Augen, die Stupsnase und jede einzelne Sommersprosse.

Er beobachtete sie ein paar Minuten, als ihn die Erkenntnis traf wie ein Messer ins Herz. Er hielt die Luft an, stand auf und taumelte zu ihr hinüber. Er kniete sich neben sie und legte eine Hand auf ihre Wange. Alles um ihn herum verstummte, selbst das klägliche Schreien seines Sohnes drang nicht mehr zu ihm durch. Er starrte sie eine Minute lang an, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

Doch ihre Atemwolke blieb aus. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 10 ⏰

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