Als ich erwachte, war es bereits dunkel draußen. Die Nacht brach anscheinend an.
Mit einem fürchterlichem Kopfschmerz stand ich auf und begab mich ins Bad um mir das Gesicht noch einmal ordentlich durchzuwaschen.
Im Haus war es komplett still. Es schienen alle zu schlafen. Das laute Schnarchen, welches mich zusammenzucken ließ, bestätigte mir das dann. Ich weiß noch die alten Zeiten vor Oli, wo wir uns immer zu dritt über Papa lustig gemacht haben, weil sein Schnarchen so ungewöhnlich laut und schreckhaft war. In den alten Zeiten, wo uns unsere Eltern noch Liebe geschenkt haben, statt Hass. Früher haben wir auch immer zusammen schöne Familienabende gehabt, heute sind diese Familienabende dazu da, um Oli zu beschenken und eine Art Gottheit aus ihm zu machen.
Oft dachte ich an die alten Tage, wo alles noch so schön war, wo ich noch... glücklich war. Eine kleine Träne kullerte mir über das Auge. Ich strich sie weg und begab mich wieder in mein Zimmer.
Ich legte mich auf mein Bett und blieb einfach liegen. Ohne etwas zu machen, ich lag einfach dar. So wie oft auch. Ich machte nie etwas anderes. Im Bett liegen, schlafen oder am MacBook etwas nachgucken. Mehr hatte mein Leben anscheinend einfach nicht zu bieten.
Ich dachte über so viel nach, so viel wichtiges und so viel unwichtiges. Mein Kopf bekam einfach keine Pause.
Ich dachte nach über meine Familie. Was wird passieren, wenn ich alt genug werden würde um auszuziehen, was mache ich dann? Schließlich hatte ich keinen außer meiner Schwester, doch das reichte mir. Ich konnte mich immer auf sie verlassen und sie sich auf mich.
Erst dann fiel mir plötzlich auf, dass ich fast nichts über ihr Leben wusste. Ich wusste nur sie war meine Schwester und war immer für mich da und hat sich immer um mich gekümmert.
Es tat mir irgendwie weh, dass ich immer von ihr immer Hilfe erlangte, aber sie nie in irgend einer Hinsicht von mir.
Ein anderer Gedanke ging an Sam und Chloe verloren. Ich war immer noch enttäuscht von Sam, da ich ihr einfach nicht glauben konnte, dass sie nichts davon gewusst hat.
Chloe wiederum hat es nicht geleugnet, ihre Blicke am Morgen machten auf einmal Sinn und ich glaube sie hat ihr Gewissen nicht ertragen. Ich fragte mich, warum gerade sie Mitgefühl mit mir empfand.
Plötzlich schoss eine Idee durch meinen Kopf. Ich rannte zu meinem MacBook, riss ihn auf und durchströmte die Seiten des Social Networks. Da war es. Ein Post. Von Sam.
>>SEHT AUCH DAS AN OMG HAHAHAHAH! Was ein Lappen, es ist einfach zu lustig 😂😂😂<<, stand unter dem Bild, wo ich mit der Scheiße im Gesicht rumlief.
Wie konnte mir sowas antun?! Ich wusste nicht wie zu denken oder zu handeln. Ich hatte schon das Gefühl, dass sie log, aber dass sich dieses Gefühl bestätigt, hatte ich nie erwartet.
Ich schloss wiedermal mein MacBook und entschied mich dann im Bett liegen zu bleiben. Meine Gedanken kreisten sich nur noch um den Verrat von Sam.
So langsam wurde ich von der Trauer in den Schlaf gerissen. Diese Nacht hatte ich nicht geträumt, komischerweise, ich träume eigentlich immer.
Zum Morgen dröhnte in meinen Ohren mein Wecker. Mittwoch. Zeit für Schule.
Seufzend stellte ich meinen Wecker ab und überlegte ob ich doch zur Schule soll, ich könnte eine Krankheit vortäuschen. Obwohl, Mama und Papa würde es sowieso nicht interessieren, ob ich nun Zuhause bleibe oder nicht.
Ich entschied mich dagegen. Ich wollte zur Schule, ich konnte mich ja nicht schließlich das ganze Leben lang davor verstecken. Ich würde selbstbewusst und normal durch die Schule laufen, niemandem meine Unsicherheit zeigen.
Nachdem ich meinen inneren Konflikt aufgenommen und aufgelöst habe, stand ich auf und ziehte mich um, packte meine Tasche und machte mich im Bad fertig und verließ dann alleine das Haus. Wie jeden Morgen.
Ich nahm den selben Bus und wie immer stieg Chl- Stimmt! Chloe fuhr ja mit mir Bus, so hoffte ich auf eine Gelegenheit mit mir zu reden, doch diese Gelegenheit brauchte ich gar nicht, da sie sich direkt neben mich saß.
Irrtiert betrachtete ich ihr zärtlich rotes Haar, was bis zu den Schultern reichte, sowie ihre meerblauen Augen mit einer kleinen Stupsnase und den schönsten Lippen, welche ich jemals gesehen habe.
Sie lächelte mich unwohl an, die Situation schien ihr unangenehm zu sein, also machte ich den ersten Schritt.
>>Hey?<<, fragte ich nervös.
>>Hey...<<, ihre Stimme war kaum zu hören und es war so als wäre ihre komplette Energie verschwunden.
>>I-<<
>>Hör zu, ich wusste von der ganzen Sache schon vorher und es tut mir so unendlich leid. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, da ich Angst hatte, dass ich so enden würde wie... Du.<<, unterbrach sie mich energisch.
>>Ist schon in Ordnung Chloe.<<
>>W-wa-wa-was?! Wie, was, wo? Wovon redest du da? Nichts ist in Ordnung! Was sie mit dir gemacht haben.<<, sie brach in Tränen aus.
>>Hey, hey, hey. Ich sagte es ist in Ordnung und ob es in Ordnung ist, ist meine Entscheidung. Die Aktion an sich ist echt, wie soll ich sagen, beschissen? Doch du... Du warst die einzige, welche Mitleid hatte. Du warst die einzige, die nichts gepostet hat. Du warst die einzige, die mitgefühlt, in einer Welt der Kaltherzigkeit.<<, versuchte ich sie zu besänftigen.
>>Ich denke die Schuld wirst du mir nicht wegnehmen können. Ich bin doch einfach so sauer auf diese blöden Wich** dafür, dass sie so eine dumme Aktion abziehen und so sauer auf mich dafür, dass ich nichts dagegen getan hat.<<
>>Es war eine gegen Alle. Du hattest keine Wahl.<<
>>Doch hatte ich und ich habe mich falsch entschieden. Es tut mir Leid, Leo.<<
>>Vergeben und vergessen. Ich bin so schon froh, dass sich jemand um mich schert, also.<<
Sie lächelte gebrochen und sagte den Rest der Fahrt beschämt nichts mehr. Keiner unterbrach die peinliche Stille und wir beide blickten auf den Boden. Ab und zu trafen sich unsere Blicke, doch diese wanderten dann auch wieder sofort zum Boden.
An der Haltestelle wo wir auszusteigen haben, drückten wir beide gleichzeitig den STOP-Knopf und unsere Hände trafen einander.
Beschämt zogen wir beide sie weg und standen rot angelaufen auf.
Als wir aussteigen schaute sie noch einmal mit ihren viel zu wunderschönen Augen zurück.
>>Auf Wiedersehen. Ich hab jetzt Frau Santi und du weißt ja, der passt keine Unpünktlichkeit.<<
>>Kenn ich. Viel Glück mit der, ich hab jetzt Herr Riese. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass seine Witze so riesig dumm sind wie sein Name.<<, diesen Witz bereute ich innerhalb einer Nanosekunde und wollte für das peinliche Gelaber einfach nur untergehen.
Zu meiner Überraschung lachte sie. Das beliebteste Mädchen der Schule lachte über einen schlechten Witz von mir. Von mir, dem Opfer schlecht hin.
Sie lief zur Schule, während ich noch wie angewurzelt dar stand und geschockt war denn je.
Nach mehreren Minuten konnte ich all meine Gedanken wieder fassen und begann mich fortzubewegen. Auf dem Weg zu meinem Raum, wurden mir die dümmsten Kommentare an den Kopf geworfen. Doch das war mir alles egal, mir war nur noch wichtig, dass Chloe über einen Witz von mir gelacht hat.
Als ich den Raum eintrat, war klar: ich war zu spät. Und direkt kam Herr Riese mit einem seiner lächerlichen Witze an.
>>Herr Meisel, wo waren sie denn? Mussten sie noch ein wenig... Meiseln?<<, er selber brach in einem krampfhaften Lachen aus, doch kein anderer.
>>Ich glaube, der musste sich noch die sch***e aus der Fre**e schmieren<<, alle fingen an zu lachen, außergewöhnlicherweise blieb Herr Riese ernst.
>>Wer war das?<<, fragte er ernst.
Anscheinend hat es bereits die Lehrerschaft auch mitbekommen.
>>Keiner? Gut, dann brauche ich ja auch nichts mehr hören. Sie können sich hinsetzen, Herr Meisel<<
Mit einem leisen 'Danke' setzte ich mich auf meinem Platz.
Jetzt hieß es Zeit für Physik, Zeit zum Schlafen eigentlich, aber die Blicke, Sprüche und geheimen Gelächter die auf mich richteten, ließen es nicht zu.
War das jetzt mein Leben? War ich jetzt nur noch ein running gag? War ich jetzt noch schlimmer als ein Nichts? Wer war ich denn überhaupt noch?
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Flucht in andere Welten
Novela JuvenilEine Geschichte, welche von Selbstfindung, Fehlern, Hass, Liebe, Familie und vielem mehr handelt. Begleitet den Protagonisten bei seiner Reise durch eine verzerrte Welt, welche nichts als Grausamkeit und Schmerz kennt. Begleitet den Protagonisten mi...